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AMELIA

Ich bin erleichtert, als er mir das kostbare Stück endlich wieder vom Kopf nimmt und es zurück hinter dem dicken Glas verschwindet. Es fühlt sich an, als hätte man einen Klotz Beton von meiner Brust genommen. Timéo streift sich seine weißen Handschuhe ab und verstaut sie in einer Schublade unter dem Kasten. »Was befindet sich noch in deiner Sammlung? Woher hast du so viel Geld?«, möchte ich wissen. Sein Konto muss mehr Nullen haben, als ich je zu Gesicht bekommen habe. Das ist unglaublich. Wer ist Timéo Moreau? Womit verdient er sein Geld?
»Mein Urgroßvater war in einer Kolonie in Afrika als General tätig. Während der Kolonialzeit haben sie viele Sklaven verschifft und in der Welt verteilt. Einen Großteil davon an Großbritannien verkauft, auch ans Königshaus«, erzählt er ehrlich. Mir die dunklen Geheimnisse seiner Familie zu erzählen, scheint mir sehr persönlich zu sein. Trotzdem entschied er sich dazu, es mir zu erzählen.
»Er war Franzose?«, nehme ich an. Timéo nickt.
»Ja. Sein Vater hat für den französischen Königshof gearbeitet und sein Sohn mit dem Sklavenhandel Geld gemacht.«
»Blutgeld«, werfe ich ein. Wieder ein Nicken.
»Nach seinem Tod, hat mein Großvater alles geerbt. Sklaven gab es nicht mehr und so hat er in den Zwanzigern mit Orientreisen sein Geld verdient.« Timéo schlendert gelassen durch den Raum. Ich folge ihm und sauge dabei jedes noch so kleine Detail seiner Worte ein. Es klingt wahnsinnig spannend, wie eine Geschichte, die man nicht mehr aus der Hand legen kann.
»Er brachte schätze aus dem Osten und reiste in alle Welt. In Ägypten forschte er mit einem Team in alten Grabkammern. Sie haben dort Schmuck und die anderen Gaben geraubt. Jahrelang gab es einen eigenen Saal, im Haus meiner Großeltern. Die Villa war voll mit antiken Stücken.«
Grabräuber. Sein Großvater hat geschichtlich relevante Artefakte gestohlen und er erzählt es, als wäre er Kaugummi kauen gegangen. Ja, Timéos Stimme klingt recht amüsiert und trotzdem überhöre ich die Ernsthaftigkeit in seinen Worten nicht. Er ... bereut es. Tut er das?

Er hält vor einem Rahmen neben einem Bücherregal inne. Darauf zu sehen ist ein schwarz-weiß Porträt einer Gruppe, vor den Pyramiden. Das in der Mitte, muss sein Großvater sein. Sie ähneln sich. »Aber er ist gestorben, nicht? Wenn nicht, muss er sehr alt sein«, spekuliere ich mit schief gelegten Kopf. »Schon vor einigen Jahren.«
»Was ist mit den Artefakten passiert?« Ob die immer noch in der besagten Villa liegen?
»Ich habe sie an Museen gegeben. Die meisten sind in Ägypten, einige in Großbritannien und der Rest im Louvre«, erzählt er. Das beeindruckt mich wirklich. Jeder andere, hätte sie einfach behalten, aber er hat dafür gesorgt, etwas Gutes mit ihnen zu tun.
»Deshalb kanntest du den Direktor des Louvre so gut«, stelle ich fest. Wenn ich mich an den Abend der Gala zurückerinnere, fällt mir auf das sie sich vertraut vorkamen. Mir war nie ganz klar, wieso dieser Kerl ausgerechnet ihm die Juwelen anbot. Jetzt weiß ich, wieso. Weil Timéo ihnen diese Artefakte überlassen hat.
Meine Augen huschen zu ihm. Er starrt auf das Bild, nicht merkend das ich ihn von der Seite ansehe. Der Franzose hat etwas Gutes mit dem Erbe seiner Familie getan. Er hat versucht, die Taten, die seine Vorfahren begangen haben, wieder gutzumachen. Fühlt er sich schuldig? Hat er deshalb all diese Schätze hier?
»Falls du jetzt denkst das gehört auch meiner Familie«, wendet er ein und deutet mit dem Finger auf den Raum, »dann irrst du dich.«
Ich frage mich, ob er meine Gedanken lesen kann.
Hoffentlich habe ich nicht laut gedacht.
»Zeigst du mir den Rest?«, bitte ich ihn mit einem zögerlichen Lächeln auf den Lippen. Den Funken, den ich in seinen Augen erkenne, lässt mich hoffnungsvoll werden. Timéo ist kein schlechter Mensch. Ich weiß zwar noch immer nicht, was er in der Stadt für ein Unwesen treibt, aber erkenne das Gute in seinen Augen. Er ist kein schlechter Mensch. Ein besserer, wie ich all die Zeit gedacht habe. Vielleicht muss ihm das mal jemand klarmachen.

»Hier lang, du hast noch nicht die Gemälde gesehen, die wir aus Paris mitgebracht haben.«
»Und wo sind die?«
»Ein Teil hier, ein Teil in meinem Schlafzimmer. Ich habe sie lieber bei mir, um sicher zu sein, dass sie nicht gestohlen werden«, erklärt er und leitet mich weiter. Wir laufen an einigen edlen Rahmen vorbei. Einige namenhafte Künstler kenne ich sogar. Beeindruckend.
»Sind das alles Originale?«
»Oui chérie. Ich stelle mir doch keine Kopien hin.«
Wow. Da Vinci, Van Gogh und Picasso schmücken die Wände. Einige der namenhaften Gemälde hängen in den Museen der Welt aus. Als Nachbildung wie es mir scheint, wenn Timéo der rechtmäßige Besitzer dieser Meisterwerke ist. Er muss Milliarden investiert haben.
Durch den Raum schlendernd, komme ich vor einem ganz besonderen Gemälde zum stehen. Die Lndschaftsmalerei in Gelb und Blautönen, zieht mich in seinen Bann wie ein Strudel.
»Kennst du die Geschichte hinter dem Bild?«
Ich schüttle ehrlich meinen Kopf und neige ihn anschließend zu Timéo, der neben mir stehengeblieben ist und den Rahmen mit einem faszinierten Blick anschaut. »Das ist das einzige Gemälde, was Van Gogh zu Lebzeiten verkauft hat. Ich habe "der rote Weinberg" von einem privaten russischen Händler aus Familienbesitz.«
»Sein einziges?«, hinterfrage ich.
»Ja«, bestätigt er und neigt seinen Kopf zu mir, »kaum zu glauben das jemand mit solch einem Talent, arm gestorben ist. Er hat nie geglaubt, dass er es beherrscht.«
»Das ist ... traurig«, gestehe ich. Eine wahrlich traurige Geschichte, die er mir erzählt. Unsere Blicke kreuzen sich, er schaut mir so tief in die Seele, das ich schwören könnte gleich tief in seine sehen zu können. Alles was ich sehe, ist Leid und Opfer. Dabei ist der Dschungel in seinen Augen so lebendig grün.
Unbemerkt trete ich einen Schritt zurück. Ihm so nah zu sein, löst noch immer etwas Unbehagen in mir aus. Vielleicht ist es auch nur Nervosität, weil alles an ihm mich einlullt. Selbstschutz, könnte man fast schon sagen.

»Lass mich dir jetzt die besten Stücke zeigen. Dafür müssen wir in den ersten Stock«, schlägt er schließlich vor und zieht mich an der Hand zurück zur Tür. Mein Herz macht einen Satz, wenn ich daran denke das ich gleich zum erste Mal, sein Schlafzimmer betreten werde. Noch nie zuvor war ich im ersten Stock der Villa. Nach einigen Minuten in denen wir durch die verzweigten Flure gelaufen sind, befinden wir uns zurück im Eingangsbereich der Villa und erklimmen die Stufen. Einige Zimmermädchen kommen uns mit vollen Wäschekörben entgegen. Sie grüßen uns höflich auf französisch.
Hier oben wirkt es wie im Rest des Hauses. Lange Flure, dessen Wände mit Gemälden geschmückt sind und von gesinnten Spots erhellt werden. Tür nach Tür, so viele das ich kaum noch zählen kann. Wie auch im unteren Teil der Villa, ist es hier oben wie in einem Labyrinth. Von außen schaut das Gebäude unscheinbarer aus, da viele Büsche und Palmen den Blick auf die Mauern versperren. Doch die Villa muss über tausend Quadratmeter haben, so viel ist sicher.

Timéo hält vor einer Tür inne, sie den anderen gleicht. Wie er sie alle voneinander unterscheiden kann ist mir ein Rätsel. Auch hier befindet sich ein Display auf dem er herum tippt, bevor das Schloss sich entriegelt und er die Tür leise öffnet. Im Raum dahinter ist es dunkel. Er verschwindet fast darin, als er ihn als erstes betritt. Ich folge ihm nur zögerlich, da ich nicht weiß, was mich erwartet. Hinter mir fällt sie ins Schloss und bevor die Gedanken an die Dunkelheit im Keller der Karakovs mich erneut einholen, fahren summend die Rollläden zu meiner linken nach oben und entblößen die umwerfende Aussicht auf die Stadt. Eine große Glasscheibe zieht sich über die gesamte Seite des Zimmers, über die Ecke bis sie eine Glastür hinauf auf eine Dachterrasse trifft. Gleich daneben führt ein langer Flur nach hinten in ein Bad, vermute ich. Ein großes Bad steht links von mir, auf der rechten befindet sich eine Lounge. Hinter ihr schmücken Kunstwerke die Wände. Hier befindet sich auch das, was wir in Paris ersteigert haben. Hinter einer dicken Glasscheibe hängt da Vincis Gemälde sicher verkleidet. Bestrahlt mit warmen Licht, funkelt das Meisterwerk des Italieners um die Wette mit drei anderen, ebenfalls hinter gläsernen Kästen angebrachte Werke.
»Darf ich vorstellen-« Timéo hebt seine Hand zu einer ausschweifenden Geste, »Vermeers "Das Mädchen mit dem Perlenohrring", da Vincis "Salvator Mundi", und "Der Schrei" von Munch.«

Wenn mir unten in der Bibliothek nur ein bisschen die Kinnlade heruntergeklappt ist, dann spätestens hier ganz.
Das. Ist. Der. Pure. Wahnsinn.
»Timéo das... das darfst du nicht!«, stoße ich empört aus. Das ist unglaublich. Auch wenn ich nur wenig Ahnung von Kunst habe, diese Werke kennt jeder. Sie sind so berührt, dass tagtäglich Menschen zu ihren Ausstellungsorten pilgern, dabei sind sie dort nur Replikas von denen, die hier hängen. Wie konnte er die Welt all die Jahre nur so austricksen? Das ist unglaublich!
»Ich kann aber«, antwortet er mir. Die Hände in die Taschen gesteckt, lehnt er lässig gegen einer Kommode. Er tut ja so, als sprechen wir über eine hunderteilige Krawattensammlung und nicht über das. Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben ehrlich sprachlos.
»I-ich weiß nicht was ich sagen soll«, gestehe ich ihm ausatmend. Meine Augen huschen immer wieder über die drei Kunstwerke, als würde mein Kopf denken, er würde mich verarschen. Aber nach all dem, was er mir heute über seine Familie erzählt hat, bin ich sicher, dass dies hier echt ist.
Unfassbar. Dieser Idiot.

»Sag am besten gar nichts, chérie«, raunt er mir plötzlich ins Ohr. Er ist mir schleichend nähergekommen, und ich habe ihn nicht einmal bemerkt. Mist. Hinter mir stehend, fährt er mit seinen Händen meine Taille hinab. Gott. »Wieso hast du mir das hier gezeigt?«, frage ich. Ein winziges Keuchen entweicht mir, als seine weichen Lippen plötzlich auf meinen Hals treffen. Meine Schlagader pocht aufgeregt gegen seinen Mund, und ich weiß, das er spürt, wie nervös ich bin. Jeden anderen hätte ich von mir gestoßen. Timéo hingegen, will ich enger an mir fühlen.
»Ich habe es dir in Paris versprochen, weist du noch? Du wolltest es sehen.«
Ich erinnere mich daran, auch wenn der Abend etwas verschwommen ist. »Mhm, ja. Aber wieso? Wieso mir?« Flatternd fallen meine Augen zu, als er intensiver an meinem Hals saugt. Er weiß genau, was er tun muss. Das macht es nur schwerer für mich.
»Das erzähle ich dir ein anderes Mal, chérie«, verspricht er leise. Mit einem Ruck dreht er mich in seinen Armen herum. Es kommt so plötzlich, dass meine Hände barsch gegen seinen Brustkorb prallen. Ein laut entweicht mir, er hebt mich an und lässt sich mit mir auf dem Schoß rückwärts aufs Bett fallen.
Seine Augen fixieren die meine, als könne er sie festhalten. Grün trifft auf braun und meine Welt droht einen Moment stehenzubleiben. Ein wohliger Rausch packt meinen Körper und lässt mein Herz kräftig aufschlagen. Seine dunklen Haare sind ihm auf die Stirn gefallen und ich nehme all meinen Mut zusammen, um sie ihm aus dem Gesicht zu streichen. Sie sind butterweich und duften herrlich nach ihm.
»Küss mich, Amelia Moreau«, fordert er rau, und mein Herz macht erneut einen kräftigen Sprung. Ich lehne mich über ihn, presse meine Lippen auf die seine. Seine Hände pressen meine Mitte gegen seine Hose, und ich spüre deutlich, was ich in ihm auslöse. Was tust du nur mit mir Timéo Moreau?

King of Marseille | 18+Where stories live. Discover now