Eine verzwickte Aufgabe

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"Soll ich es jetzt probieren?", fragte Mel später am Nachmittag Laura. Sie saß auf Silver und ritt an den Stangen vorbei, die Laura und sie im Gras ausgelegt hatten. Mel schien mit vollem Eifer dabei zu sein. "Ja, versuch es mal." Laura tätschelte Sternenschweifs Hals. "bring ihn dazu, nicht wieder stehen zu bleiben." Mel lenkte Silver auf die Stangen zu und drückte ihm sanft die Fersen in die Seiten. Der kleine Apfelschimmel schaute fragen zu Sternenschweif, dann schritt er tapfer darüber. "Er hat es tatsächlich gemacht!" Mel war ganz überrascht, doch Laura erwiderte: "Ich habe es dir doch gesagt. Versuch es gleich noch einmal." Das tat Mel auch. Nachdem Silver erst im Trab und dann im Galopp zehnmal über die Stangen gegangen war, strahlte Mel übers ganze Gesicht. "Vielleicht bringe ich ihn am Ende doch noch dazu, zu springen." Sie saß ab und umarmte Silver ganz fest. "Du bist so mutig! Ich bin stolz auf dich." Silver schnaubte und Laura fand, dass er sehr zufrieden aussah.

Nachdem sie beide Ponys abgesattelt und zum Grasen auf die Weide gebracht hatten, gingen Laura und Mel zum Heuschober, um nach Minny und ihren beiden Kätzchen zu sehen. Sternchen und Krümel waren wach. Sie spielten in ihrem Unterschlupf im Heu, ihre Köpfchen sahen fast zu groß für die flauschigen, schwarzen Körper aus. "Wie kannst du sie bloß auseinanderhalten?" Für Laura sahen die beiden Kätzchen genau gleich aus. "Sternchen hat einen weißen Fleck auf ihrem Bauch." Mel hob das Kätzchen, das ihr am nächsten war, hoch. "Sieh her." "Stimmt." Laura lachte, als sie die weißen Haare auf dem kleinen Bauch sah. "Möchtest du sie mal halten?", fragte Mel. Laura nickte eifrig und Mel reichte ihr Sternchen. Die kleine Katze blickte Laura genau in die Augen. Dann miaute sie mit so weit aufgerissenem Mäulchen, dass Laura ihre rosa Kehle sehen konnte. "Na du", murmelte sie. "Du bist wirklich süß." Sternchen kuschelte sich vertrauensvoll in Lauras Arme. "Hat Silver das heute nicht super gemacht?", fragte Mel Laura glücklich. "Oh ja. Er war wirklich toll. Ich bin sicher, dass er irgendwann seine Furcht vor dem Springen überwinden wird." "Das hoff ich auch", erwiderte Mel. "Ich wünschte nur, es würde bis zum Turnier am Samstag passieren. Jade und Monica haben so gemein über ihn geredet. Das Einzige, was sie zum Schweigen bringen könnte, wäre, dass Silver bei dem Turnier springt." Sie schaute Laura hoffnungsvoll an. "Glaubst du, wir können das bis Samstag schaffen?" "Ja, vielleicht. Ich drücke jedenfalls ganz fest die Daumen. Mit ein bisschen Glück und ganz viel Üben müssten wir das eigentlich hinkriegen", erwiderte Laura. Auf dem Heimweg dachte Laura unentwegt über Mels Worte nach. Silver könnte mit etwas Hilfe wahrscheinlich wirklich seine Furcht überwinden, aber wer wusste schon, wie viel Zeit sie dafür brauchen würden? Es könnte ewig dauern und so lange würden Jade und Monica Mel immer weiter ärgern. "Wenn wir Silver doch ganz schnell seine Angst nehmen könnten", wünschte sie sich. Laura erinnerte sich an das, was Sternenschweif über seine magischen Kräfte gesagt hatte: Er besaß zwar einige, wusste aber nicht, welche. Vielleicht konnte er Silver doch auf magische Weise helfen. Doch wie sollten si das herausfinden? Mit einem Schlag wusste Laura die Antwort. Dass sie nicht eher daran gedacht hatte! Außer ihr kannte doch noch Frau Fontana Sternenschweifs Geheimnis. Sie war es gewesen, die Laura das alte Buch mit dem Zauberspruch für die Verwandlung gegeben hatte. Wenn ihnen jemand helfen konnte, dann Frau Fontana. Kaum war Laura wieder auf dem Hof angekommen und Sternenschweif auf seiner Koppel, suchte sie aufgeregt ihre Mutter, die gerade am Computer arbeitete. "Könntest du mich bitte zu Frau Fontanas Buchhandlung fahren, Mama?" Frau Foster runzelte verwundert ihre Stirn. "Warum, was willst du bei ihr?" Laura wusste nicht, was sie antworten sollte. "Ich... Ich wollte Frau Fontana etwas fragen. Es ist für eine Hausaufgabe. Ich dachte, dass Frau Fontana mir dabei vielleicht helfen könnte." "Hm, ja. Ich wollte sowieso in die Stadt fahren, ein paar Besorgungen machen. Während ich alles erledige, könntest du zu Frau Fontana gehen." "Super!", rief Laura begeistert. 

Noch bevor ihre Mutter richtig eingeparkt hatte, stürzte Laura beinahe schon aus dem Auto. "Ich hole dich dann in der Buchhandlung ab", konnte ihre Mutter gerade noch hinter ihr herrufen. Dann sauste sie zu der Buchhandlung mit dem verschnörkelten goldenen Ladenschild. Ein Glöckchen ertönte, als sie die Tür öffnete. Der weiche, mit Rosen gemusterte Teppich gab unter Lauras Schritten sanft nach und ein leichter Duft nach schwarzen Johannisbeeren hing in der Luft. Frau Fontanas Buchhandlung war wirklich ein verwunschener, magischer Ort! Walter, Frau Fontanas kleiner schwarz-weißer Terrier, kam auf Laura zugelaufen, als sie den Laden betrat. Laura begrüßte ihn und beugte sich hinunter, um ihn zu streicheln. Als sie sich wieder aufrichtete, stand auf einmal Frau Fontana wie durch Zauberhand vor ihr. Ihr Gesicht war von Falten durchzogen, aber ihre blauen Augen strahlten wach und freundlich. "Guten Tag, Laura! Wie kann ich dir helfen?", erkundigte sich Frau Fontana. Laura zögerte. Es war gar nicht so einfach, mitten am helllichten Tag ein Gespräch über Einhörner anzufangen. "Na ja, ... ähm..." Frau Fontana blickte über ihre Schulter zu den Leuten, die in einem der Bücherregale stöberten. "Gehen wir doch hinüber in die Kinderbuchecke. Walter lässt es mich schon wissen, wenn ich hier vorn gebraucht werde." Der schwarz-weiß gefleckte Terrier sprang mit einem Satz auf den Tresen und setzte sich mit gespitzten Ohren neben die Kasse. Er schien jedes Wort verstanden zu haben. Laura folgte Frau Fontana zu den Büchern für Kinder am anderen Ende der Buchhandlung. Ein Sessel und viele gemütliche Kissen auf dem Boden luden zum Schmökern ein. "Wie geht es Sternenschweif?", wollte Frau Fontana wissen, als sie sich im Sessel niederließ. "Dem geht's gut." Laura senkte verschwörerisch die Stimme. "Frau Fontana, Sternenschweif und ich versuchen, meiner Freundin Mel und ihrem Pony zu helfen. Es hat so furchtbare Angst, zu springen." Rasch erzählte Laura, was sie von Silver wusste. "Wissen Sie vielleicht, ob Sternenschweif ihm mit seinen magischen Kräften helfen kann?" Frau Fontana lächelte. "Sternenschweif hat viele Zauberkräfte, Laura. Aber mehr darf ich dir nicht verraten. Jedes Einhorn muss seine magischen Fähigkeiten selbst entdecken." Sie beugte sich vor und ergriff Lauras Hände. "Mach dir keine Sorgen, Laura. Sternenschweif kann dem Pony helfen. Aber er braucht dich, um herauszufinden, wie. Du bist die Freundin eines Einhorns, weil du ein gutes Herz hast und an die Kraft des Zaubers glaubst. Nutze deine Fähigkeiten, dann werdet ihr gemeinsam Sternenschweifs Zauberkräfte entdecken." Mit diesen Worten ließ sie Lauras Hände los und richtete sich auf. Der ernste Ausdruck verschwand aus ihrem Gesicht und sie lächelte versonnen. "Woran denken Sie?", wollte Laura wissen. "An die Zeit, als ich mit einem Einhorn befreundet war", antwortete Frau Fontana. "Bei uns hat es damals auch eine Weile gedauert, bis wir herausbekommen haben, über welche Magie mein Einhorn verfügt. Und ich war damals genauso ungeduldig wie du." "Sie waren auch mit einem Einhorn befreundet?" Laura blieb vor Erstaunen fast die Luft weg. Sie wusste, dass Frau Fontana schon einmal ein Einhorn gesehen hatte, aber sie hatte ihr nie erzählt, dass sie auch einmal eine Einhorn-Freundin gewesen war. "Ja, auch ich hatte einmal ein Einhorn", erwiderte Frau Fontana mit sanfter Stimme. "Doch das ist lange her." Eine Frage nach der anderen schoss Laura durch den Kopf. Wie war Frau Fontanas Einhorn wohl gewesen? Wie hatte es geheißen? Warum waren die beiden nicht zusammen? Doch bevor sie mit all diesen Fragen herausplatzen konnte, bellte Walter. "Bitte entschuldige, ein Kunde braucht meine Hilfe." Frau Fontana erhob sich. Mit diesen Worten ging Frau Fontana zur Kasse, an der ein Kunde schon wartete. Die Ladentür öffnete sich, Frau Foster kam herein und grüßte. Laura lief zu ihr hinüber. "Hallo, Mama!" "Bist du so weit, mein Schatz?" Laura nickte. Sie schaute zur Ladentheke hinüber, wo Frau Fontana gerade dabei war, die Einkäufe des Kunden einzupacken. "Auf Wiedersehen, Frau Fontana", rief sie. Die Ladenbesitzerin schaute hoch. "Auf Wiedersehen." Sie lächelte Laura zu. "Und viel Glück!"

Sternenschweif - Sprung in die NachtWhere stories live. Discover now