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Wenig später befinden wir uns erneut in den Fluren. Zu meinen Schuhen, hat sich auch ein dicker Pullover gesellt, den ich mir über mein dünnes Shirt geschmissen habe. Er fällt über meinen Po und wird auf der Mitte meines Oberschenkels, von der engen Leggings abgelöst, die ich trage. Obwohl es hier drinnen recht warm ist, weiß ich nicht, wohin der Franzose mich führt. Wir laufen schon seit Minuten wortlos durch die verwinkelten Gänge der Villa. Ohne ihn würde ich mich hier nie zurechtfinden. Wie macht er das nur? Das Haus ist ein wahres Labyrinth.
»Wo führst du mich hin, Napoleon?«, frage ich, als wir an der Kellertreppe vorbeilaufen. In diesem Teil der Villa war ich noch nie. Ich folge ihm weiter den Flur hinab bis zu eine der unzähligen Türen. Am Ende des Gangs, zweigt sich ein weiter ab. Wo der hinführt, ist mir ein Rätsel.
Timéo hält vor einer Flügeltür inne. Ein Passcode schützt den Raum. Er schiebt sich zwischen mich und das Bedienungsfeld, dann piept es mehrmals. Nur am Rande bekomme ich mit, wie er sein Auge vor eine kleine Kamera hält und den Finger auf einen Sensor legt. Wow. Was auch immer dahinter sein muss, muss wahnsinnig viel Wert sein, wenn er es so schützen will.
»Iris Sensor?«, frage ich ihn skeptisch und ernte einen bösen Blick. »Sei still, kleine Polizistin. Wenn du weiter so neugierig bist, wirst du nie erfahren, was hinter dieser Tür liegt«, macht er mir klar. Er weiß, dass er mich damit hat, weil meine Neugier siegt. Grummelnd senke ich meinen Kopf und starre auf die Türklinke, die sich soeben mit einem Klicken entriegelt. Timéo öffnet die Tür, und deutet mir mit der Hand einzutreten.

Neugierig betrete ich das Zimmer, dessen Ausmaße mir erst bewusstwerden, als ich hineintrete. Meterhohe Decken, überall Bücher und Regale. Eine Reling umfasst das obere Stockwerk, auf das eine Wendeltreppe führt. Die eine Hälfte des Raumes schaut aus wie eine alte Bibliothek. Die restliche Hälfte, ist geschmückt mit Kunstwerken. Dunkle Wände und goldene Lichter, die die Gemälde ausstrahlen. Mein Kopf fällt in den Nacken, und ich betrachte das große Glasfenster, auf dass der Regen niederprasselt. Es hört sich beruhigend an.
Die Tür fällt hinter uns ins Schloss und verriegelt sich erneut. Im Raum riecht es nach Papier und Leder. Darüber hinaus stelle ich fest, dass es recht kühl ist. Der Pullover kommt mir also zugute. Auf dem Absatz drehe ich mich herum und sehe, das Timéo an einem Display neben der Tür fummelt.
»Was ist das hier?«
»Meine Sammlung«, erklärt er und lässt von dem Bildschirm ab. Er wendet sich dem Raum zu und deutet mit einer ausschweifenden Geste auf das, was sich uns bietet. »Die wichtigsten und berühmtesten Werke, die je von Menschenhand geschaffen wurden.«
Sprachlos wandern meine Augen über die Regale. In der Mitte des Raumes, befinden sich Schaukästen, und was ich darin sehe, raubt mir den Atem. Mit geöffnetem Mund trete ich an das Glas heran und platziere meine Finger an der kalten Barriere. »Du bist wahnsinnig«, wispere ich fassungslos, denn ich weiß verdammt genau, was sich vor mir befindet. Mein Herz macht einen Satz und ich glaube, mir wird übel. Der Klos in meinem Hals, wächst zu beachtlicher Größe an.
»Ich weiß lediglich diese Dinge zu schätzen«, erklärt er und tritt langsam neben mich. Kopfschüttelnd blicke ich auf die Edelsteine hinab und weiß nicht so recht, was ich noch sagen soll. Das, was er hier verbirgt, ist atemberaubend.
»Willst du sie anprobieren?«
Ich schnaube und ein Lachen überkommt mich. Es ist eigentlich nicht lustig, aber aus Verzweiflung entkommt mir dieser laut. »Ist das dein Ernst Timéo?«, frage ich fassungslos. Ich kann doch nicht einfach -
Sein schulterzucken lässt mir die Kinnlade herunterklappen. Er meint es verdammt ernst.
»Wieso nicht? So eine Gelegenheit wirst du nur einmal bekommen, chérie.«
Er schnappt sich desinteressiert ein paar Samthandschuhe und zieht sie sich über. Er tut ja so, als würde wir über Modeschmuck sprechen! Aber das, was unter den gläsernen Kästen steckt, ist echt. Es ist echt und wahnsinnig wertvoll. Die Absurdität dieser Situation ist nicht zu verkennen. Ich stehe in Frankreich, im Haus eines Mannes, der krumme Dinge dreht und er fragt mich, ob ich Kronjuwelen anprobieren will? Ist er von allen guten Geistern verlassen?
»Diese Dinge gehören in ein Museum!«
»Das hier ist ein Museum, Amelia. Glaubst du wirklich, ich hätte das geklaut? Ich habe sie gezahlt. Es braucht nur einen geldgeilen Museumschef, nur einen dieser Geier, um zu bekommen, was man will. Mir wurde es angeboten. Hättest du es besser gefunden, sie wären nach China oder nach Saudi-Arabien gegangen? Zu einem Scheich, der dessen Kostbarkeit nicht zu schätzen weiß? Zu einem Investor, der sie in zwanzig Jahren für Milliarden verkauft hätte? Sie wohlmöglich auseinandergenommen?«

Seine kalte Stimme jagt mir einen Schauer über den Rücken. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Der Ausdruck in seinen Augen spiegelt so viel wider. Ich weiß nicht, was ich zuerst aus ihnen lesen soll. Grimmig wendet er sich dem Schaukasten zu und entsichert ihn. Das Glas fährt hinauf, und entblößt die funkelnden Steine. Timéo greift vorsichtig danach. Ohne mich nur noch einmal zu fragen, setzt er mir das gute Stück auf den Kopf, und ich reiße die Augen auf. Wie versteinert stehe ich da, traue mich nicht mehr, mich zu bewegen. Es wiegt schwer auf meinem Kopf. Wenn mir jetzt jemand den Puls überwachen würde, dann würde er sicher feststellen, dass ich kurz vor einem Infarkt stehe. Adrenalin pumpt durch meinen Körper und lässt mich belebt fühlen. Trotz dessen habe ich solch eine Angst, mich zu bewegen, dass ich zittrig Luft aus meinen Lungen stoße.

Timéos Augen ruhen auf meinem Gesicht. Er lässt seine Hände langsam sinken, und der Blick in meinen Augen wird panischer. »Nicht! Wenn sie fällt, dann-«
»Sie wird nicht fallen, chérie. Sie passt dir wie angegossen«, beruhigt er mich. Leider verlangsamt das mein Herz kein bisschen. Ich versuche an mir hinaufzuschielen, aber sehe natürlich nichts von dem, was da auf meinem Kopf sitzt. Der Franzose legt seine Handschuhe in aller Seelenruhe ab, was mir sagt, dass er sie so schnell nicht wieder von meinem Kopf nehmen will. »Bitte Timéo, ich-«
»Beruhig dich doch, Amelia. Du wirst sie nicht kaputt machen. Sie ist sehr alt und in gutem Zustand«, spricht er beruhigend auf mich ein. Aber gerade deshalb, sollte sie nicht auf meinem Kopf sitzen. Um Gottes willen.
Timéos Hände finden schließlich an meine Wangen. Vorsichtig hält er mein Gesicht in seinen Händen, ein schiefes Lächeln schmückt seine Lippen. »Als wäre sie für dich gemacht«, murmelt er nachdenklich. Er wirkt in sich gekehrt, als würde er seinen eigenen Gedanken nachgehen. »Bitte«, wispere ich erneut. Wieso versteht er es nicht?
»Über vierhundert Diamanten und feinstes Weißgold. Weißt du, wem die mal gehört hat?«, fragt er mit rauer Stimme. Er wirkt so ruhig und gelassen, dass ich meine Schultern unterbewusst langsam absinken lasse. Seine ruhige Art, geht auf mich über, obwohl sie das nicht sollte. Ich habe schreckliche Angst, dass dieses fragile Stück Geschichte auf meinem Kopf, bricht.
»Ja«, hauche ich atemlos. Ich habe sie einmal in echt gesehen, da hat Queen Elizabeth sie getragen.
»Zarin Alexandra von Russland bekam sie zu ihrem 25. Hochzeitstag geschenkt. Bei der Revolution wurde sie aus dem Land bis nach England geschmuggelt, wo sie in die Hände der britischen Monarchen überging«, erzählt er und steckt mir eine Haarsträhne hinter dem Ohr fest. Das grün in seinen Augen sprudelt mir nur so entgegen wie ein tropischer Regenwald. So sattgrün wie der Amazonas.
»Wieso hast du sie?«
»Wie gesagt, gekauft.«
»Aber woher?« Sie befand sich in den Händen der britischen Königsfamilie. Wie kommt jemand wie er, an solch ein Stück? Diese Frage beantwortet er mich. Stattdessen betrachtet er mich weiter, als wäre ich eines seiner kostbaren Museumsstücke. Ich verstehe ihn nicht, wünschte ich könnte in seinen Kopf schauen, um wirklich zu erfahren, was in ihm vorgeht.
Er küsst mich. Vorsichtig und so unglaublich sanft, dass ich mich für einen Moment in dem süßen Geschmack seiner Zuneigung verliere. Mein Herz schlägt flatternd auf, und ich kann es nicht stoppen. Niemals.

King of Marseille | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt