Kapitel 4

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Weihnachten rückt näher ...

POV. Tim

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich froh darüber, dass das letzte Hockey-Spiel vor Weihnachten ausgefallen war. Die letzten Tage waren für mich wie eine Reise in die Vergangenheit. Von unzähligen Gesprächen über unsere Kindheitserlebnisse, bis hin zu schönen Momenten bei den gemeinsamen Abendessen, hätte meine Weihnachtspause nicht besser sein können.

Heute Morgen hatte Reeva während des Frühstücks beschlossen, dass wir in Dreierteams gegeneinander auf dem Eis antreten. Doch anstatt Eishockey zu spielen, sollte das Ganze in Form einer Schneeballschlacht ausgetragen werden.

Also schlossen sich die Mädchen gemeinsam mit Amar zu einem Team zusammen, während die anderen beiden mit mir ein Team bildeten.

»Ist das nicht ein Bisschen unfair?«, merkte Lio an. »Schließlich sind wir Profis.«

»Hey, du Clown!« Oh je, da hatte er wohl einen wunden Punkt bei meiner Schwester getroffen. »Unterschätz mich gefälligst nicht!«

Direkt nach ihrer Standpauke flitzte sie auf's Eis und legte eine perfekte Eislauf-Figur nach der anderen hin. In einer grazil aussehenden Drehung kam sie vor Lio zum Stehen und stemmte dabei selbstsicher die Hände in die Hüften.

»Hast du mir noch irgendwas du sagen, Frischling?« Anschließend boxte sie ihm spielerisch in die Schulter. »Oder können wir endlich loslegen, damit ich euch fertigmachen kann!«

Gesagt, getan. Jedes Team positionierte sich auf einer Seite des Sees, um Schneebälle zu formen, ehe Reeva das Startsignal gab und es damit offiziell losging.

Während die Jungs in meinem Team versucht hatten, alle Schneebälle auf Romy abzufeuern, konzentrierte sich das Team meiner Schwester auf Lios Vernichtung. Aber leider war Lio zu schnell für sie und nahm eine scharfe Kurve auf dem Eis nach der anderen.

»Bleib gefälligst stehen, du Feigling!«, rief meine Reeva ihm hinterher. Dabei war sie für einen kurzen Moment lang unaufmerksam und bekam den wohlmöglich größte Schneeball aller Zeiten ab. »Oh nein! Ich wurde getroffen!«

»Nein, Reeva!«, rief Romy ihr theatralisch zu.

Daraufhin nutzte ich die Gunst der Stunde, um mich von hinten an sie heranzuschleichen. Blitzschnell umfasste ich ihre Taille und drückte ihr den Schneeball mitten ins Gesicht, woraufhin sie anfing zu, wie wild zu kreischen und um sich zu schlagen.

»Das ist so unfair, Tim!«, fauchte sie. »Wir hatten vorher ausgemacht, dass wir niemanden festhalten!«

»Von dieser Regel höre ich zum ersten Mal!« Dann sah ich zu Amar und den anderen Jungs, die mir alle mit demselben, schelmischen Grinsen entgegenblickten. »Habt ihr von so einer Regel gewusst?«

»Also ich nicht«, bestätigte Tony, der sich gemeinsam mit Lio meine Schwester krallte, ehe sie an den Rand fuhren, um Reeva in einen gewaltigen Schneehaufen zu werfen.

Amar folgte ihnen und feuerte dabei seine restlichen Schneebälle auf Tony ab.

Ich hingegen legte meine Lippen an Romys Ohr und hauchte ein leises: »Sorry, Romy. Aber das ist die Retourkutsche dafür, dass du und Reeva euch beiden Schneeballschlachten gegen mich verschworen habt.«

Sie kicherte. Dann löste sie sich schlagartig aus meinem Klammergriff und fuhr in die Mitte des Sees, als sie plötzlich ausrutschte und hinfiel. Die anderen fingen an zu lachen. Und auch ich verzog meine Mundwinkel, bis ein merkwürdiges Geräusch in meinem Trommelfell widerhallte, - ein Knacken. Ein immer lauterwerdendes Knacken, das nur dann ertönte, wenn die Eisfläche eines Sees oder Flusses drohte, einzureißen.

»Keiner geht auf's Eis!«, schreie ich wild gestikulierend. Daraufhin verstummen die anderen und blicken mir mit besorgter Miene entgegen.

Reeva verstand sofort und krallte sich vor Angst in Tonys Unterarm. »Romy, du darfst dich auf keinen Fall bewegen!«

Doch Romy schien den Ernst der Lage nicht zu begreifen. »Wieso, was ist los?«

Sie richtete sich langsam auf, woraufhin das Knacken lauter wurde. Nun wurde auch ihre bewusst, dass irgendwas nicht stimmte.

»Du musst dich sofort wieder hinlegen, Romy!«, schrie Reeva, die immer panischer wurde. »Nur so kann sich dein Gewicht auf dem Eis verteilen!« Glücklicherweise tat sie, was meine Schwester ihr aufgetragen hatte.

»Ruft sofort die Feuerwehr an!«, rief ich an das andere Ende des Sees. Lio zückte sofort sein Smartphone und tat, was ich sagte. Allerdings wusste ich, wie lange die Feuerwehr bis zu diesem See brauchen würde. Das Haus meiner Eltern war etwas weiter abgelegen und bis die Straßen nach dem Schneesturm von letzter Nacht wieder freiwerden würden, könnte es dauern. Auch einen Hubschrauber zu schicken könnte Romy unter Umständen das Leben kosten.

Also tat ich, was ich tun musste. In zügigen Schritten lief ich zu jener Seite des Seeufers, die am wenigsten weit von Romy entfernt war. Dort angekommen, zog ich einen meiner Schlittschuhe aus und legte mich flach auf das Eis.

»Was hast du vor Tim?!« Reeva war besorgt, was ich durchaus nachvollziehen konnte. Aber jetzt war einfach nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

Die anderen eilten ebenfalls zu der Stelle, an der ich mich befand. Dann sagte Amar: »Wenn du mir ein Zeichen gibst, ziehen wir dich vom Eis runter!«

»Auf keinen Fall!«, hielt ich dagegen. »Je mehr Gewicht auf dem Eis ist, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass es einbricht!«

»Bitte sei vorsichtig, Bruderherz!«

»Mach dir keinen Kopf, Reev. Ich schaffe das, versprochen.« Langsam arbeitete ich mich nach vorne. Währenddessen versuchte ich, mich mit Romy zu unterhalten. »Alles klar, Romy?«

»Ja«, antwortete sie ruhig. »Mir geht's gut.«

»Ich bin gleich bei dir, ich muss nur noch ein winziges ...« Erneut der Klang von reißenden Eisplatten.

»Tim!«

»Nichts passiert, Reeva! Nichts passiert ...« Die letzten Worte klangen mehr wie ein dünner Windhauch. »Romy, ich hab's fast geschafft. Du musst langsam deinen Arm über den Kopf strecken. Sobald du die Kufe meines Schlittschuhs umfassen kannst, musst du dich mit all deiner Kraft daran festhalten. Verstanden?«

»Ja, verstanden.«

Sie tat, was ich ihr sagte und ich zog sie Stück für Stück zurück. Ich hatte das Gefühl, dass es eine halbe Ewigkeit dauerte, bis Amar und die anderen endlich nach meinen Fußfesseln greifen und uns sicher ans Ufer ziehen konnten.

Daraufhin fiel uns Reeva weinend in die Arme. »Oh mein Gott! Zum Glück ist euch nichts passiert!«

Romy zeigte keine Reaktion. Erst hatte ich angenommen, dass sie unter Schock stehen würde. Doch dann löste sie sich aus Reevas Umarmung, drehte sie sich zu mir um und sah mir tief in die Augen. Sie fixierte mich mit ihren stahlgrauen Iriden ehe sie ihre Hand an meine Wange legte und ein kaum hörbares »Danke, Timmy« wisperte.

 Sie fixierte mich mit ihren stahlgrauen Iriden ehe sie ihre Hand an meine Wange legte und ein kaum hörbares »Danke, Timmy« wisperte

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Between Mistletoes and FireworksWhere stories live. Discover now