Kapitel 13

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Es ist 17 Uhr und nervös trete ich von einem Fuß auf den anderen. In den letzten Jahren wurde es für mich zur Normalität, mir abends um diese Zeit eine schwarze Skinnyjeans, schwarze Turnschuhe und den schwarzen Pullover mit dem in Rot abgedruckten Logo der Bar anzuziehen und mich auf den Weg zur Arbeit zu machen. Egal wie sehr ich den Job als Barkeeper hasse, diesen Schritt habe ich schon lange nicht mehr hinterfragt. Er wurde irgendwann zur Normalität und zum Alltag. Wie die Tasse Kaffee nach dem Aufstehen. Doch heute ist es anders. Denn egal, wie dieser Abend ausgeht: Es wird das letzte Mal sein, dass ich meine Arbeitskleidung trage und mich auf den Weg in die Bar mache. Mich von untervögelten Kerlen anglotzen lasse wie die Sahnetorte während einer Diät. Ich mir dumme Sprüche darüber anhören muss, dass ich viel zu heiß für diesen Job bin und ich als Frau lieber zu Hause am Herd oder mit Kind auf dem Arm sein sollte. Obwohl ich Schiss vor heute Nacht habe, freue ich mich auch. Denn so oder so werde ich nach dieser Schicht frei sein. Frei von diesem erniedrigenden Job auf Mindestlohnbasis. Frei von den Erwartungen der Gesellschaft und dem Druck der Bank. Frei von dem Gestank nach Alkohol und billigem Parfum. Frei von diesem Leben.

Seufzend ziehe ich mir Mantel und Stiefel an und öffnde die Haustür. Gerade als ich rausgehen möchte, spüre ich Lucas' Hand auf meiner Schulter. Nicht sexuell, sondern freundschaftlich, und ein ehrliches Lächeln legt sich auf meine Lippen. Egal, was das zwischen uns ist und wie wir zueinander stehen: Heute Abend riskieren wir beide unser Leben. Grund genug, als Team zu fungieren. "Viel Glück, Clara", ertönt seine Stimme neben mir und der Druck auf meiner Schulter wird etwas stärker. "Ich weiß,  dass deine Fähigkeiten viel zu früh auf den Prüfstand gestellt werden und das tut mir leid. Normalerweise werden Halbvampire frühzeitig über ihre Gene informiert und haben genug Zeit, sich auf alles vorzubereiten. Aber du hast ein besonderes Talent. Denk nur daran, wie leicht dir deine erste Manipulation fiel oder wie gut du im Nahkampf bist. Das sind deine beiden besten Vampirstärken, auf die du bauen solltest. Außerdem bist du sehr tough und ich weiß, dass du es schaffen wirst."

"Danke, Lucas", erwidere ich mit einem ehrlichen Lächeln und nicke. Er hat recht. Vielleicht habe ich nicht viel Erfahrung als Halbvampir, aber ich bin sehr geübt im Umgang mit frauenfeindlichen Typen. Und ich werde es schaffen! "Ich wünsche dir und Erik auch viel Erfolg. Wir sehen uns nachher." Mit einem zuversichtlichen Gefühl im Magen, drücke ich Lucas einen Kuss auf die Wange und betrete die kühle Abendluft.  Der Himmel strahlt in einem wunderschönen Orange und die bunten Blätter tanzen um meine Füße herum. In den Baumkronen höre ich einige Vögel zwitschern und mehrere Eichhörnchen kreuzen meinen Weg. Würde ich mich heute Abend nicht einem Mörderkommando stellen, könnte es ein friedlicher, schöner Abend werden. Genussvoll halte ich einen Moment inne und schließe meine Augen. Nehme die Schönheit der Natur mit meinen geschärften Sinnen wahr. Erlaube es mir, die angenehme Luft in meine Lungen strömen zu lassen. Mit jedem Atemzug füllen sich meine Lungen mit Zuversicht. Lassen mein Herz ruhiger schlagen und mich klarer sehen. Auch wenn es mir noch immer widerspricht in wenigen Stunden auf Leben und Tod zu kämpfen, akzeptiere ich dieses Schicksal. Denn egal, was ich die letzten Jahre durchgemacht habe. Ich bin nicht bereit, heute Nacht zu sterben. Und die Menschen, die eventuell als Gäste anwesend sein werden, haben es auch nicht verdient, als Zufallsopfer zu enden!

Entschlossen stoße ich die Tür zur Bar auf und betrete ein letztes Mal meinen Arbeitsplatz. Der Geruch diverser Spirituosen schießt mir direkt in die Nase und einen Augenblick presse ich angewidert die Lippen aufeinander. In den letzten 15 Monaten habe ich diesen Gestank ausgeblendet, doch meine geschärften Sinne erinnern mich nun daran. Ich vernehme das leise Summen der Deckenlampe und kann es kaum erwarten, hier zu verschwinden. Mit einem tiefen Atemzug setze ich mein falsches Lächeln auf und gehe hinter die Bar. Kaum habe ich Tasche und Mantel abgelegt, steht mein Chef hinter mir. "Clara, wie schön, dass du wieder fit zum Arbeiten bist. Es war wirklich anstrengend, Geschäftsführer und Barkeeper zu sein und die Aushilfe konnte nicht jede deiner Schichten füllen. Pass in Zukunft besser auf, bevor du wieder einmal auf nassem Boden ausrutscht. Herrgott nochmal, deine Tollpatschigkeit kann ich wirklich nicht gebrauchen. Achte darauf, dass du dich nicht mehr verletzt, wenn du nicht willst, dass eine bessere Servicekraft dich ersetzt und ich dich zur Aushilfe degradiere. Es gibt genügend Personal, das dankbar für eine bezahlte Tätigkeit ist. Ich hoffe also, ich kann dich mit den Gästen alleine lassen."

Oja, mein liebenswerter und stets besorgter Chef! Wie sehr ich ihn in den letzten Tagen doch vermisst habe. NICHT! "Ja, Herr Lemburg", murmle ich und strecke meinen Rücken durch. "Ich habe alles im Griff, versprochen!" Ein letztes Mal mustert er mich von oben bis unten, bis er zögerlich nickt und Richtung Tür verschwindet. Immerhin ein Idiot weniger,  um den ich mir die nächsten Stunden Gedanken machen muss. Routiniert platziere ich mich hinter der Theke und befreie die Flaschen von ihrer feinen Staubschicht. Meine Güte, was wurde hier eigentlich während meiner Abwesenheit gemacht? Ehe ich über meinen Chef fluchen kann, vernehme ich ein Räuspern hinter mir. Schief lächelnd drehe ich mich zu dem Gast um und erstarre innerlich. Ich habe den  jungen Mann noch nie in meinem Leben gesehen und weiß nicht einmal, wie er heißt. Doch das elektrisierende Kribbeln in mir warnt mich davor, ihm zu nahe zu kommen. Instinktiv spüre ich, dass er einer der Jäger ist, und lasse langsam meinen Blick an ihm herabwandern. Er hat blonde, lange Haare, die zu einem ordentlichen Dutt zusammengebunden sind. Sein überaus muskulöser Körper steckt in einem schwarzen Hemd und in einer schwarzen Lederhose. Seine grauen Augen fixieren mich kalt, aber eine Waffe hat er nicht gezogen. Ob er wohl hier ist, um die Lage zu checken?

"Guten Abend", begrüße ich ihn möglichst freundlich und tue so, als hätte ich keine Ahung, wer er ist oder was er vor hat. Mit pochendem Herzen schenke ich ihm ein strahlendes Lächeln und deute mit einer ausladenden Geste auf die überteuerten Spirituosen im Regal. "Was möchten Sie trinken?"

Seine Stimme ist ebenso kalt wie seine Augen und schneidet wie ein gefährliches Messer durch die Luft. "Guten Abend, Clara", erwidert er süffisant und tut so, als müsse er meinen Namen von dem Namensschild an meinem Pullover ablesen. "Ein wunderschöner Abend heute, nicht wahr? Passend für eine anstehende, kleine Privatfeier. Sei doch so lieb und bereite mir einen Moskow Mule zu, während ich auf meine Freunde warte. Weißt du, wir haben heute etwas Spektakuläres zu feiern und was ist eine Party ohne den passenden Alkohol?"

"Wie wahr", murmle ich und unterdrücke das säuerliche Gefühl, das zusammen mit meiner Magensäure aufkommt. Ich muss cool bleiben und darf mir nichts anmerken lassen. Lucas hat damit gerechnet, dass sie einen Lockvogel vorschicken werden. Sollte er mich durchschauen und die anderen Jäger warnen, steht unser gesamter Plan auf der Kippe. Und das darf nicht passieren! Entschlossen trete ich einen Schritt zurück, um den Drink zuzubereiten, bevor ich Lucas eine Nachricht schreibe. Lasset die Spiele beginnen!

Im Bann der DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt