Kapitel 5

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Meine Knie fangen an zu zittern und mein Magen rebelliert. Zum Glück habe ich seit Stunden nichts mehr gegessen! Alles in mir beginnt sich zu drehen und irgendetwas nimmt mir die Luft zum Atmen. Ich möchte fliehen, gleichzeitig schaffe ich es nicht, mich in Sicherheit zu bringen. Meine Beine sind wie betäubt und verweigern mir jeglichen Befehl. Völlig regungslos starre  ich das Wesen vor mir an, das in seiner gefährlichen Gestalt jegliche Schönheit verloren hat. Als wisse Lucas, was in mir vorgeht, verwandelt er sich innerhalb von Sekunden wieder in den charmanten, jungen Mann zurück.

"Clara", murmelt er leise und streckt zögerlich seine Hand aus. "Lass mich dir helfen und alles erklären." Seine Stimme dringt wie durch Watte zu mir durch. Eine Seite in mir will ihn anschreien. Rufen, dass er sich von mir fernhalten soll. Die andere Seite in mir will zurück in seine schützenden Arme flüchten und dort so lange schlafen, bis die Welt wieder sicher ist.  Stattdessen starre ich ihn hilflos an, während leise Tränen sich ihren Weg meine Wangen hinunter bahnen. In meinem Kopf herrscht völlige Überforderung. Ich bin vor Angst erstarrt, gleichzeitig drängt mich die neugierige Stimme, mehr zu erfahren.

"Clara, ich bin's, Lucas", versucht der Vampir erneut zu mir durchzudringen und nähert sich mir langsam an. Wie ein Löwe auf der Jagd, der befürchtet, dass seine Beute bei einer zu hektischen Bewegung fliehen könnte. "Ich werde dir nichts tun, versprochen. Immerhin habe ich dich vor deinen Verfolgern gerettet und hierhergebracht. Damit wir gemeinsam kämpfen können. Erinnerst du dich?" Zaghaft nicke ich, obwohl ich am liebsten den Kopf schütteln würde. Obwohl meine Gedanken mit jeder Sekunde klarer werden, fühle ich mich noch immer handlungsunfähig.

"Hör mir bitte genau zu und mach das, was ich dir sage. Dann wirst du dich gleich wieder bewegen können. Ich wollte dich nicht erstarren lassen, doch leider kann ich diese Vampirgabe nicht steuern. Es verhindert, dass unsere Beute flieht, während wir auf Jagd sind. Dadurch können wir uns in Ruhe an unser Opfer wagen, ohne dass es weg läuft und den Nachbarn von uns erzählt. Deswegen ist es uns unmöglich, den Bann aufzuheben. Da in dir ebenfalls Vampirgene schlummern, kannst du dich jedoch aus deiner Situation befreien. Denn der Zauber wirkt nur bei Menschen und Tieren dauerhaft, nicht bei Unseresgleichen. Schließe deine Augen. Atme ein paar Mal tief ein und aus. Achte dabei auf deinen Herzschlag und nimm wahr, wie die Luft durch deinen Lungen strömt und dich mit neuer Energie versorgt. Spüre, wie das Leben in dir pulsiert. Nehme den Drang, lebend aus dieser Situation kommen zu wollen, wahr. Fokussiere dich auf das stärker werdende Gefühl. Stell dir einen roten Feuerball vor, der sich in deinem ganzen Körper ausbreitet und die unsichtbaren Fesseln auflöst. Lass das Feuer langsam von deinem Herzen aus in deine Hände und anschließend die Beine wandern. Wenn die letzte bildliche Fessel gelöst wurde, öffnest du langsam deine Augen. Wie fühlst du dich?"

Zaghaft folge ich seinen Anweisungen und spüre, wie ich mich mit jeder Sekunde freier fühle. Ein leichtes Lächeln legt sich auf meine Lippen, als ein verräterisches Kribbeln durch meine Füße fließt und ich meine Beine anheben kann. Meine Angst ist spurlos verschwunden, ebenso jegliche Müdigkeit. Ich fühle mich frisch und lebendig, bereit, mehr zu erfahren. Beeindruckt, öffne ich langsam meine Augen. Einem Instinkt folgend, trete ich auf den antiken Spiegel im Flur zu und betrachte mein Spiegelbild. Meine Gesichtszüge wirken straffer als zuvor und die Hautunreinheiten sind wie durch Zauberhand verschwunden. Mein Teint ist etwas blasser als zuvor und mein Kiefer wirkt markanter, attraktiver. Einen Moment lang kann ich ein rötliches Glimmen in meinen Augen sehen, bevor ihre dunkle, schokoladige Farbe zurückkehrt.

Verwirrt drehe ich mich zu Lucas um und sehe ihn schulterzuckend an. "Ehrlich gesagt fühle ich mich stärker und wacher als ich es sollte. Als wir hier ankamen, nagten Müdigkeit und Angst an mir. Stattdessen fühle ich mich selbstbewusst, entschlossen und ausgeschlafen. Als könnte ich jeden Feind besiegen. Ich habe das Gefühl, besser hören zu können und nehme deine Präsenz stärker wahr. Mein Verstand sagt mir noch immer, dass ich skeptisch sein sollte, doch meine Neugierde überwiegt. Was ist gerade passiert?"

Lucas erwidert meinen Blick und nickt mir geschäftig zu. Ein breites Grinsen breitet sich in seinem Gesicht aus und jegliche Sorge um mich ist verschwunden. Als hätte die zerbrechliche Clara-Sophie nie existiert. Anerkennend pfeift er, bevor er erneut Richtung Küche deutet. "Herzlichen Glückwunsch, Clara", beginnt er feierlich und zieht eine alte Flasche Whiskey hervor. "Du hast so eben deine Vampirgene aktiviert, was dich für die Jäger schwerer besiegbar macht. Vermutlich wissen sie nicht einmal, dass  du eine Halbvampirin bist. Zeit, diesen Schritt zu feiern, bevor ich dich in die ersten, überlebenswichtigen Lektionen einführe.

Im Bann der DunkelheitWhere stories live. Discover now