Rot Grüner Diamant

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Wie jeden Tag, saß ich am Ende des Stegs und ließ meine müden Füße ins Wasser. Herr Yamaguchi, sagte heute, ohne mir den Grund zu nennen, die Therapiestunde ab. Und ich nutze die Zeit, um zu trainieren, Joggen. Ich machte gute Fortschritte, selbst meine Blutwerte waren nach einer Woche wieder im Topbereich. Doch irgendwie sah ich es alles etwas anders. Körperlich fühlte ich mich erholt, kräftiger aber nicht seelisch, psychisch. Immer wenn ich wieder alleine war, gingen meine Gedanken zu ihm. Fragten sich wie es ihm geht? Was er wohl macht? Ob er den Brief schon bekommen hat? Wie er reagiert hatte? Seine Anrufe und Nachrichten konnte ich gut ignorieren, erwischte mich dennoch, dass ich sie lass. In üblicher Kacchanmanier schrieb er anfangs nur grummelige Beleidigungen, doch später wurden sie sanfter. Fragte wann ich nach Hause komme, wie es mir geht, ob alles gut ist. Doch seit gestern kam keine einzige mehr. Daher vermutete ich, dass er nun den Brief erhalten hatte und mich nun vergessen wird.

Tag für Tag ging es mir besser, trainierte sogar wieder. Kleines Training, joggen, schwimmen. Ab und an erkundete ich sogar die Landschaft, genoss die Ruhe. Doch leider nervte mich die Ruhe gerade, denn wenn sie kam, kam mein Kopf. Genauso wie mein Herz. Dachte zwischenzeitlich die Medikamente wirken nicht. Ich musste es zu geben, ich vermisste ihn. Spürte das die Prägung immer noch bestand. Vermisste, sein grummeliges Morgengesicht, seine zerzausten Haare, sein Antlitz. Ich stand auf und raufte mir die Haare. Die Bilder sollten doch verschwinden, verdammt. Er sollte doch nicht mehr in meinem Kopf sein, in meinem Herzen. Ich schnaubte, sah mein Spiegelbild im Wasser.

Sprang hinein. Spürte sofort das kühle Nass meinen Körper einhüllen, hoffte auf Klarheit im Kopf. Tauchte auf, schüttelte mein Kopf und zog mich am Steg wieder hoch. Dachte ich wäre wieder klar, für einen Moment. Richtete mich auf, griff nach meinem Tshirt, was neben mir lag. Blickte auf und erstarrte. Spielte mein Kopf jetzt schon bildliche Streiche? War ich schon vollkommen verrückt, ihn mir nicht nur bildlich vorzustellen? Ich rieb mir mit meinem Shirt übers Gesicht, dachte die Wassertropfen spiegelten nur etwas. Blickte wieder nach vorne und sah ihn immer noch.

Er stand da, auf der kleinen Sanddünne am Anfang des Stegs. Ich ging den Steg entlang und Schritt für Schritt wurde mein Bild klarer. Er war es wirklich. Stand direkt vor mir, lächelte leicht. Als ich das sah, sprang mein Herz kurz aus dem regulären Takt. Doch er sah fahl aus, müde. Die Haare zwar zerzaust, doch früher waren sie ordentlich zerzaust, wirkten dunkel. Ihnen fehlte der Glanz. Seine Augen hatten ein dunkles Rot, nicht mehr so strahlend. Seine Augen zierten Augenrinne, so dunkel wie die Nacht. Sein Gesicht zwar immer noch männlich und markant, doch wirkte er schmaler. Er stand eingeschüchtert da, hatte seine Dominanz verloren.

"Das kann nicht sein." hauchte ich. Er schaute direkt in meine Augen.

"Hallo Deku." gab er zurück, seiner Stimme fehlte der tiefe Bass, fehlte die Bedrohlichkeit. Sie wirkte so voller Angst, zitterte leicht.

"Was...was willst du hier?" fragte ich. Er zitterte nun nicht nur in der Stimme, sondern am Leib.

"Ich...Ich...muss, nein ich will mit dir reden. Muss dir etwas sagen." Ich fragte mich wer von uns stotterte. Er schritt auf mich zu, ich wich zurück.

"Mit mir reden? Was denn? Was sagt den Eijiro dazu, dass du hier bist?" Was wollte er schon, mich wieder in das Loch zerren, wo ich nicht mehr war? Mein Herz und mein Kopf stritten sich, schrien sich an. Er wich bei meiner abfälligen Aussage etwas zurück, zuckte zusammen wie ein geprügelter Hund.

"Shoto, hat mir alles erzählt, nach dem ich deinen Brief bekommen habe." hauchte er, war zusammengesackt, schaute zu Boden. Ich drängte mich an ihm vorbei.

"Und dann weißt du jetzt alles. Geh wieder." rief ich. Wollte keine falschen Worte hören, keine Lügen. Wollte nicht wieder hoffen, hatte ich sie doch schon längst verloren.

Wähle das Vergessen für die LiebeWhere stories live. Discover now