„Deine Oma also, das hab ich schon fast vermutet." Ich lächelte schief. „Man munkelt ich hätte mein Temperament von ihr geerbt." Ich drehte mich um und blickte direkt in Annis Augen. „Können wir los?", fragte sie.

„Na klar, unbedingt."

Anni

„Ich liebe Schnee einfach. Die Luft ist gleich ganz anders, findest du nicht? ", flötete ich und merkte wie extrem aufgedreht ich klang. Michi hielt meine Hand und lächelte nur ab und zu etwas verhalten, fast wehmütig. Dem Ärmsten mussten schon die Ohren bluten, weil ich pausenlos auf ihn einredete. Ich hatte mich mal wieder nicht im Griff. Wenn ich so gutgelaunt und euphorisiert war wie gerade, noch weniger als sonst. Ich freute mich über den Schnee, über diesen Tag und am meisten über seine Gesellschaft. „Tut mir leid. Manchmal kann ich ziemlich anstrengend sein, das weiß ich." „Wie kommst du auf sowas?" „Na, ich quatsche heute ununterbrochen und du sagst fast gar nichts." „Das liegt nicht an dir, sondern ich bin am Grübeln. Dumme Angewohnheit. Manchmal zerdenke ich Dinge, anstatt sie einfach anzugehen, drehe und wende sie in meinem Kopf, male mir verschiedenste Szenarien aus, bis ich fast wahnsinnig werde, anstatt einfach zu machen. Obwohl ich weiß dass es anders einfacher wäre. „Sag das nicht. Mein Hang zu impulsivem Handeln, bringt mich manchmal in echt schwierige Situationen. Ich hab hin und wieder so richtige Aussetzer, dann mach ich einfach Dinge, die ich gerade fühle, ohne nachzudenken. So wie auf der Hütte mit dir. Ich wär danach fast gestorben, so peinlich war mir das." Er lächelte und drückte meine Hand. „Falls es dich beruhigt. Ich wär auch fast gestorben, Anni. Du hast mich so verwirrt und komplett umgehauen und das hat seitdem eigentlich nicht mehr aufgehört. Im Gegenteil. Und ich hör dir auch liebend gerne zu. Immer." Ich blinzelte ihn durch den fallenden Schnee hindurch an. „Wo ist der Haken bei dir?" „Bitte?" „Es muss einen geben. Was ist dein dunkles Geheimnis?" Er blieb stehen und sah mich so geschockt an, dass ich lachen musste. Ich legte meine Arme um ihn. „Das war nur ein Scherz. Oder gibt's etwa wirklich eins?" Er sagte nichts, versteifte sich aber regelrecht in meinem Arm." „Anni ich..." In dem Moment erspähte ich eine Eberesche. „Warte mal ganz kurz. Da sind Vogelbeeren. Genau das, was meine Oma haben will. Bevor wir nachher ewig danach suchen müssen." Ich ließ ihn los, holte die zusammengefaltete Stofftasche aus meiner Jackentasche und pflückte ein paar Zweige der hübschen roten Beeren. Erst dann fiel mir auf, dass ich ihn mitten im Satz abgewürgt hatte. „Entschuldige, ich wollte dich nicht unterbrechen." „Schon gut. War nicht so wichtig." „ Doch war es. Genau das meine ich. Ich bin manchmal unmöglich. Du musst jetzt denken, dass mir nicht wichtig ist, was du sagen wolltest, weil ich mich von ein paar blöden Beeren ablenken lasse. Aber so ist das nicht. Ich bin nur etwas überdreht im Moment, weil..." Ich stockte. „Weil?" „Na ja..." Ich stocherte mit der Fußspitze im Schnee herum. „Das ist meistens so, wenn es mir so richtig gut geht." „Ist doch schön, wenn es dir gut geht, Anni." „Es liegt an dir.", platzte ich heraus und hätte mir am liebsten auf die Stirn geklatscht. „Du fühlst dich gut und überdreht wegen mir?" „Ich glaube schon." „Du glaubst?" „Nun ja mein Liebesleben war in den letzten Jahren ziemlich desaströs um es vorsichtig auszudrücken und deshalb weiß ich nicht ob diese, diese...Glücksgefühle von irgendwelchen Hormone gesteuert werden oder ob..." „Ob du verliebt bist? Meinst du das?" „Mmmm" Ich nahm meine Mütze vom Kopf und schüttelte die Flocken von ihr ab. Er seufzte laut und zog mich dann sehr impulsiv in seine Arme. Er verbarg sein Gesicht in meinen Haaren und flüsterte in mein Ohr. „Also, ich bin es. Ich weiß nicht ob du das hören willst, oder ob du es nicht längst weißt, du musst es eigentlich wissen. Und ich muss und will dir so vieles noch sagen, dass ich das wichtigste darüber fast vergessen hätte. weil es so offensichtlich für mich ist. Ich bin wahnsinnig verliebt in dich, Anni."

Mein Herz galoppierte in meiner Brust. Ich hatte mit Vielem gerechnet, aber nicht mit so einem klaren Bekenntnis. Ob ich wollte oder nicht. Ich wurde überflutet von Liebe und Geborgenheit. Natürlich wollte ich. Ich kuschelte mich noch enger an ihn. Warum zum Teufel eierte ich eigentlich so herum? Ich war verrückt nach ihm und was ich fühlte hatte eindeutig was mit Verliebtheit zu tun. Und das spürte ich ganz sicher nicht nur körperlich. Wenn ich das jetzt versaute, war mir nicht mehr zu helfen. Wenn das Schicksal einem völlig unverhofft so eine Chance vor die Füße kippte, zu einer Zeit, wo man überhaupt nicht damit rechnen konnte und nicht irgendwo auf der Welt, sondern hier bei mir zu Hause, was wollte ich dann noch? Allein der Gedanke, dass er irgendwann abreisen würde, schmerzte mich viel mehr, als ich mir eingestehen wollte. Wir hatten die letzten Tage, fast jede Minute zusammen verbracht und es war mir nicht einmal zu viel gewesen. Nicht mal ansatzweise, stattdessen fehlte er mir schon, während er aus der Tür ging. „Ich glaube, ich weiß das auch. Ich vertraue mir einfach selber noch nicht, verstehst du?", murmelte ich in seine Jacke. Er nickte und ich legte meine Hand auf seine Wange. Hast du Lust gleich noch mit ins Dorf zu kommen? Ich muss was bei meiner Freundin Vroni abholen und dann kurz bei meiner Oma vorbeischauen, also nur wenn dir das nicht zu viel ist. Ich würde auch verstehen, wenn du nein sagst. Wir sagen auch nur ganz kurz Hallo und... ".„Anni, ich komme gerne mit. Und danach würde ich gerne ein paar Sachen mit dir besprechen." „Das klingt ernst. Du musst aber nicht abreisen, oder?" „Irgendwann schon, aber nicht morgen oder übermorgen. Darüber können wir auch reden. Es gibt noch ein paar sehr persönliche Dinge über mich, die du nicht weißt. Nichts Schlimmes. Aber ich würde sie dir gerne erklären." „Okay.", sagte ich. „Einfach so okay?" „Also wenn du nicht verheiratet bist oder ein Schwerverbrecher, werde ich mich schon damit arrangieren können. Ich bin ganz froh, dass du sowas...ich hab da auch noch was und es ist immer schwer den richtigen Zeitpunkt für so was zu finden. Zu früh ist komisch und zu spät fühlt sich noch blöder an." „Na dann." Er klatschte in die Hände. „Was braucht deine Oma noch?" „Das finden wir normalerweise alles da vorne am Waldrand." Wir gingen an einem geparkten Auto vorbei und ich konnte der Versuchung nicht wiederstehen, aus der Schneedecke auf der Motorhaube einen Schneeball zu formen und ihn nach Michi zu werfen. Ich traf seinen Rücken und er drehte sich mit empörter Miene um. „Hey, was wird denn das...?" Weiter kam er nicht, weil ich einen zweiten nach ihm warf. Er duckte sich gerade noch so weg. „Das hättest du nicht tun sollen." Er bemühte sich um eine möglichst finstere Miene, aber ich bemerkte das Zucken seiner Mundwinkel genau. Herausfordernd schaute ich ihn an und streckte mich zum Dach des Autos hoch, um an genügend Schnee zu kommen für eine weitere Attacke. „ Ach warum das denn?" „Weil meine Rache fürchterlich sein wird." Er stürmte auf mich zu und rüttelte an dem Ast über mir, so dass der ganze Schnee von oben auf mich herabrieselte. Ich quietschte, schimpfte, fluchte und verzog das Gesicht angewidert, als ich die Kälte in meinem Kragen spürte. Dann legte ich den Kopf in den Nacken und lachte laut auf, während der Schnee auf meiner warmen Haut schmolz und mir den Rücken runterlief.

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