Ich hab dir eine Nachricht versprochen Anni und taada hier ist sie. Kommst du später zu mir? Um ehrlich zu sein, kann ich schon wieder kaum an was anderes denken. Du hast mich irgendwie verhext, anders kann ich mir das nicht erklären.

Oh da ist sie ja, die geheime Geheimnummer. Ich fürchte ich hab später eventuell ein kleines Zeitmanagement-Problem. Erklär ich dir noch. Wenn du magst, kannst du aber jetzt auch schon runterkommen. Wir sind gerade auf dem Weg ins Schwimmbad. Also falls dich zwei kleinen Rabauken nicht stören und die Tatsache dass das eigentlich nicht erlaubt ist, also strenggenommen.

Bin praktisch schon auf dem Weg. Für dich würde ich noch ganz andere Regeln brechen, Anni.

Ich flitzte durch den Raum, wühlte im Schrank nach meiner schwarzen Badehose. Anni hatte mir, ohne es zu ahnen, noch einen kleinen Aufschub gewährt. Nochmal ein bisschen schöne, unbeschwerte Zeit mit ihr verbringen, bevor...ich schüttelte den Kopf über meine Schwäche, meine Feigheit und meinen Selbstbetrug.

In Badehose, Bademantel, Adiletten und mit einem großen Handtuch bewaffnet stieg ich in den Aufzug und drückte zum ersten Mal auf den Knopf mit dem Hinweis Wellnessbereich/Schwimmbad. Der Chlorgeruch stieg mir schon in die Nase, als sich die Aufzugtür öffnete. Kinderstimmen und Annis ausgelassenes Lachen schallten durch den Flur. Die Tür war nur angelehnt. Ich lugte durch einen kleinen Spalt. Anni bereitete gerade die Arme aus und fing einen kleinen strohblonden, mit Schwimmflügel bewaffneten Jungen auf, der mit Anlauf ins Becken hüpfte und begeistert aufquietschte. Sie hielt ihn nochmal nach oben in die Luft und drehte sich lachend mit ihm im Kreis. Ihre Haare waren tropfnass und als sie sich zurücklegte, breiteten sie sich wie ein Fächer auf der Wasseroberfläche aus, während der Junge neben ihr fröhlich herumplantschte. „Toni was ist? Magst du nicht zu uns kommen?" Erst jetzt bemerkte ich den zweiten Buben, der am Beckenrand hockte und lediglich mit dem großen Zeh vorsichtig das Wasser berührte. Aufgrund der frappierenden Ähnlichkeit zu seinem Bruder schlussfolgerte ich, dass es sich wohl um Zwillinge handeln musste. Er schüttelte den Kopf und blinzelte Anni misstrauisch an.

Anni

Ich musste mich nicht umdrehen, ich spürte, dass er da war. Es war immer so, sobald er einen Raum betrat geschah irgendetwas und ich konnte förmlich fühlen wie die Atmosphäre sich veränderte. Er räusperte sich und flötete dann „Hallo zusammen." Er grinste die Jungs an und dann mich, dabei zwinkerte er und zog einen Mundwinkel verschwörerisch nach oben, was mich direkt wieder aus dem Konzept zu bringen drohte. Er streckte Anton die Hand hin. „Servus ich bin der Michi und du?"

Toni schaute ihn mit großen Augen skeptisch an und entschied sich dann irgendwann doch dafür den Händedruck zu erwidern. „Toni.", piepste er schüchtern. Als Michi sich wieder entfernte um sein Handtuch auf einer der Liegen zu platzieren und seinen Bademantel loszuwerden, streckte Toni die Arme nach mir aus. „Anni, Anni..." ,rief er plötzlich. „Willst du jetzt doch rein?", fragte ich und er nickte eifrig. Anscheinend war ihm der fremde Mann noch ein bisschen unheimlicher als das Wasser. Also schleppte ich Ludwig mit mir mit und setzte ihn wieder an den Beckenrand und schnappte mir stattdessen Toni. Ludwig der alles andere als ängstlich und von Haus aus unwahrscheinlich neugierig war, lief sofort auf Michi zu und quasselte ohne Punkt und Komma auf ihn ein. Ich hörte nicht genau, was sie redeten, weil Toni, der sich an meiner Hüfte festklammerte immer wieder mit Händen und Füßen aufs Wasser patschte, aber es sah nach einer angeregten Unterhaltung aus.

„Tante Anni. Wir springen jetzt gleich rein und du musst uns auffangen!", rief Ludwig aufgekratzt. Michi schüttelte sich vor Lachen. „Ja Tante Anni, fang uns bitte auf." Ich tippte mir an die Stirn. „Ich hoffe du hast dein Seepferdchen schon gemacht und kommst auch ohne Tante Anni klar." Er grinste mich an und hüpfte dann dicht neben mir ins Wasser. Als er auftauchte berührte er meine Schulter. „Ich komme auf gar keinen Fall mehr ohne Tante Anni klar.", raunte er in mein Ohr. Fast hätte ich darüber übersehen, dass nun auch Ludwig  Anlauf nahm und sprang. Ich erwischte ihn gerade noch so am Arm. Wir tobten eine ganze Weile mit den Zwillingen im Wasser herum. Ich konnte Michis Unterstützung tatsächlich ganz gut gebrauchen. Die beiden waren schlimmer als ein Sack voller Flöhe, erst Recht als Toni dann auch noch richtig aufgetaut war. Irgendwann fingen sie dann aber an zu jammern, froren, hatten Hunger und Durst und mussten aufs Klo. „Ich bring sie mal zu Mama hoch. Jetzt darf sie sich mal kümmern. Mein Job als Lieblingstante ist jetzt erstmal wieder erledigt. Kommt mit Jungs. Wir gehen zur Oma. Sie hat bestimmt Kuchen und Kakao für euch." Ich trocknete die beiden ab, wickelte sie in ihre kleinen bunten Bademäntel ein und bugsierte sie in den Aufzug. Als ich wieder zurückkam war er immer noch im Wasser. Ich setzte mich auf eine dick gepolsterte Hängeliege, schaukelte ein bisschen und schaute ihm zu, wie er seine Bahnen zog. Durch die großen Fenster fiel mir auf, wie ungewöhnlich dicht die Wolken heute waren. Sie gaben den Blick auf die Berggipfel keine Sekunde lang frei und der Himmel war die reinste Milchsuppe. Es war auch viel zu dunkel für die Tageszeit. Und dann erkannte ich den Grund dafür, als es vom Himmel zu rieseln begann. Weiß, lautlos und sanft. Der erste Schnee. Ich hatte noch gar nicht mit ihm gerechnet, obwohl ich doch wusste, dass der erste Advent vor der Tür stand. Diese Abläufe blieben immer gleich. Es war egal ob es gerade eine Pandemie und einen Lockdown gab und auch so eine neue, aufregende Liebe, stellte vielleicht meine eigene Welt auf den Kopf, änderte aber nichts daran. Es war so, wie jedes Jahr, es war der Lauf der Zeit. Ich hatte eindeutig Liebe gedacht und es erschreckte und verwunderte mich nicht mal mehr . „Es schneit.", sagte ich und als er mich fragend ansah, deutete ich auf die Glasfront. Es dauerte nur ein paar Augenblicke bis er bei mir war. Ich zuckte zurück weil er so nass war und legte ihm sein Handtuch um die Schultern. „Das sieht so schön aus.", murmelte er. Sein Blick wanderte zwischen mir und den wirbelnden Flocken, draußen hin und her. Wir setzten uns ans Fenster. „In der Stadt ist Schnee meistens nicht wirklich hübsch Wenn er fällt landet er meistens nur als brauner Matsch auf dem Boden. Aber hier...hier ist irgendwie alles besser und schöner." Er fixierte mich. „Meinst du wir können einen Spaziergang machen? Vielleicht könnten wir die Jungs ein bisschen mit nach draußen nehmen. Kinder haben doch immer Spaß im Schnee, oder nicht?" Ich lächelte. „ Ja ganz sicher. Wahrscheinlich ist Mama schon mit ihnen raus. Ich glaube ja fast sie finden dich tatsächlich ziemlich gut. Sogar Toni ist zum Schluss von selber auf dich zugegangen und er ist seeehr vorsichtig mit neuen Menschen." „Der kleine Ludwig eher nicht so, oder?", meinte er grinsend. „Mama meint immer, die zwei seien so gegensätzlich wie Sebi und ich früher. Ich war sehr wild, draufgängerisch und hab endlos gequatscht und Sebi war abwartend, sensibel, vorsichtig und still. Man munkelt meine Brüder seien wegen mir oft nicht zu Wort gekommen und Sebi hätte deshalb sogar Ansätze von Stottern gezeigt, weil er seine Anliegen irgendwann so hastig vorbringen wollte, um nicht wieder von mir unterbrochen zu werden." Er schlang seine Finger um meine. „ Also ich mag deine Energie. In jeder Hinsicht." Er sah mich an und der Muskel an seinem Kiefer zuckte. „Muss ich jetzt rot werden?" „Nein. Ich mein das gar nicht anzüglich, höchstens ein kleines bisschen." Seine Art zu sprechen und mich so intensiv zu mustern, brachte mich schon wieder buchstäblich zum Vibrieren. Es war echt schlimm. Schlimm und wunderschön. Das Wasser tropfte immer noch aus seinen Haaren und perlte in kleinen Tröpfchen von seinem Körper ab. Er gefiel mir mit nassen Haaren fast noch besser und...Er gefällt dir immer, weil du jede Objektivität längst verloren hast, du vernarrt wie ein kleines Teeniemädchen oder besser formuliert hoffnungslos verliebt in ihn bist. Selbst wenn er jetzt nur ganz unschuldig deine Hand hält und du genau weißt, dass das hier keine Safe-Space ist, dass jederzeit jemand reinkommen oder durch die Fenster sehen kann, sind deine Gedanken alles andere als jugendfrei.

„Ich schwimme auch noch eine kurze Runde.", sagte ich schnell und löste meine Hand aus seiner. Er nickte nur. „Schon schön hier." Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. „Ja man hat halt nur selten was davon.", antwortete ich und ließ mich ins Wasser gleiten. Ich gab, unfreiwillig, ein seltsames Geräusch von mir. Eine Mischung aus erschrockenem Brummen und mädchenhaftem Quieken. „Kalt?" „ Oh ja. Es kommt mir hundertmal kälter vor als eben noch." Ich spürte seine Blicke im Rücken die ganze Zeit und als ich kehrt machte und auf ihn zu schwamm, betrachtete er mich immer noch. Er wirkte irgendwie nachdenklich, fast bedrückt. So als belastete ihn irgendwas. „Kommst du auch nochmal rein?" Er schüttelte den Kopf. „Ich denke da eher an eine warme Dusche und an einen Spaziergang im Schnee?" Er ließ es wie eine Frage klingen. „Was hältst du davon?", hakte er nach, als ich nicht reagierte. „Klingt nicht schlecht." Meine Mundwinkel zuckten und ich tauchte kurz unter um meine Wangen abzukühlen, die schon wieder anfangen wollten zu glühen. Als ich blinzelnd wieder auftauchte, schaute ich direkt in seine grau-blauen Augen. Er hatte sich an den Beckenrand gesetzt und streckte die Hände nach mir aus. „ Na komm schon raus, Anni. Du frierst ja total." Die Situation erinnerte mich an etwas. Ich überlegte und mir fiel dieser Pooltraum wieder ein. Simon der verschwunden war und die unsichtbare, vertraute Stimme die mir etwas ganz ähnliches zugeflüstert hatte. Hände die sich mir entgegenstreckten. Komm schon, Anni. Dieses Mal wachte ich nicht auf. Das war kein Traum und ich griff tatsächlich nach seinen Händen, ließ mich halten, mir aus dem Wasser helfen und mich in ein Handtuch einwickeln. Hatte ich da schon von ihm geträumt? Hatte mein Unterbewusstsein mehr geahnt, als ich? Dieser Traum hatte mich lange beschäftigt und ich hatte damals stark vermutet, dass die unbekannte und doch so vertraut klingende Stimme Mike gehören musste. Mike. Was er vorhin geschrieben hatte, das berührte mich. Zwischen ihm und mir, das war in der Tat etwas sehr Besonderes. Er wurde ganz selten so deutlich. Manchmal fragte ich mich ob ich nicht doch mehr in ihm sah, als diesen engen Vertrauten. Aber hätte ich mich dann wirklich so nach diesem verrückten, liebenswerten Kerl da hinter mir sehnen und verzehren können? Sicher nicht. Er gab mir einen schnellen Kuss auf mein Schulterblatt und ich drehte mich langsam zu ihm um. Ich legte meine Hände auf sein Gesicht und drückte meine Lippen auf seine. Kurz aber unmissverständlich. „Ich bin so ein schwacher Mensch.", seufzte ich. Immer noch hielt ich sein warmes, schönes Gesicht zwischen meinen kalten Händen, spürte die kratzigen, rauen Ansätze von Bartstoppeln unter meinen Fingerspitzen. Er schloss die Augen und mir war plötzlich, als hätte ich immer nur darauf gewartet, auf das hier. Die ganze Zeit in der ich so ziel und haltlos durch die Welt getingelt war, auf der Suche nach irgendwas, was ich gar nicht hätte benennen können. Ich war dabei nie unglücklich, oft sogar richtig glücklich, manchmal auch traurig und melancholisch, so wie alle Menschen ab und zu. Doch mein Leben war gut, abwechslungsreich, aufregend und schön und trotzdem war ich tief im Kern ruhelos und immer auf der Suche. Warum auch immer, aber sobald ich mit ihm zusammen war, hörte das auf. Ich wurde innerlich ganz ruhig und ausgeglichen, diese Angst etwas zu verpassen, verschwand vollkommen. Ich musste mir tatsächlich auf die Lippen beißen, um nichts davon auszusprechen. Es war viel zu früh dafür, aber ich flehte  das Universum stumm an, dass ich mich nicht in ihm täusche. Es gab so unendlich viel, worüber ich mit ihm reden wollte. Am liebsten nachts in seinen Armen, da redeten wir oft stundenlang über alles Mögliche, während seine Hände unentwegt über meinen nackten Rücken streichelten. Er wollte dann oft Geschichten hören von meinen Reisen und erzählte mir, wo er schon überall gewesen war, was er unbedingt noch sehen und erleben wollte, wovon er träumte. Wir suchten nach Orten die wir beide noch nicht kannten, oder die einer von uns besonders liebte. Wir reisten zusammen im Kopf, in unseren Gedanken und die Vorstellung, das irgendwann in die Realität umsetzen zu können, war schwindelerregend. Das Erstaunlichste aber war, dass mich selbst die Vorstellung hier noch ganz lange bleiben zu müssen, praktisch festzusitzen, überhaupt nicht mehr erschreckte. Es lag an ihm, das war mir bewusst. Ich sagte ihm nichts von alldem, aber meine Augen taten es bestimmt die ganze Zeit. „Ich glaub ich liebe deine Schwächen, Anni.", raunte er in mein Ohr. Wir waren uns so nah, dass ich ihn nur noch verschwommen sehen konnte. Meine Augen brannten und er schmeckte nach Chlor, als er mich küsste.

Wo wir frei sindWhere stories live. Discover now