Als ich eine halbe Stunde später, innerlich immer noch etwas aufgebracht, zurück in meine Wohnung kam, roch es verführerisch nach Kaffee. Michi war wohl doch schon wach. Ich fand ihn in der Küche, wo er an den Tisch gelehnt meinen brummenden Kaffeevollautomaten anstarrte. Seine Haare waren unordentlich, er wirkte noch verschlafen und bemerkte mich nicht. Diese warme Zuneigung, die sich sofort wieder in mir ausbreitete, ließ mich vollkommen vergessen, dass ich mich eben noch über meine Mutter aufgeregt hatte.

„Guten Morgen.", sagte ich als der Kaffee fertig und die Maschine verstummt war. „Hey, Guten Morgen!" Er drehte sich zu mir herum und seine grau-blauen Augen strahlten mich viel wacher an, als ich erwartet hatte. „Willst du?" Er deutete auf die Tasse. „Schon mein zweiter." Ich schüttelte den Kopf und stellte den ganzen Frühstückskram auf dem Tisch ab. „ Behalt ihn ruhig. Ich hatte auch schon einen. Ich muss erst was Essen, von zu viel Koffein auf nüchternen Magen bekomm ich Herzrasen und werde unruhig und hibbelig." „Mmm." Er stellte die Tasse wieder ab und kam zu mir. Es fühlte sich aufregend, neu und schwindelerregend an, als er seine Arme so selbstverständlich um mich legte und mich küsste. „ Ich hätte doch den Kaffee nehmen sollen. Du bist schlimmer als eine Überdosis pures Koffein.", seufzte ich. Er grinste über das ganze Gesicht und ich spürte, wie sehr er sich freute. Das war immer so, wenn ich so etwas sagte und ich freute mich dann auch, weil ihm das anscheinend so viel bedeutete Ich war eigentlich nicht besonders gut darin, Komplimente zu machen oder meine Gefühle unmittelbar auszudrücken und auch wenn es mir bei ihm leichter fiel, war es trotzdem ein Segen, dass er meine Gedanken nicht lesen konnte. Es war beinahe unverschämt wie sehr er mir in wenigen Tagen den Kopf verdreht hatte und ich kaum noch an was anderes denken konnte, als an ihn. Wir schafften es kaum fünf Minuten die Finger voneinander zu lassen. Meine kleine, geheime Besessenheit von ihm, hätte mich eigentlich echt beängstigen sollen. Aber stattdessen fühlte ich mich gelöst, leicht, frei und vollkommen im Moment. Glücklich, ich war einfach nur absolut glücklich. Es war wie ein kleines Wunder, er war eins. Er war nicht nur auf eine Art und Weise anziehend, die alles in mir zum Kribbeln brachte, er war auch klug, interessant, tiefgründig, humorvoll und unwahrscheinlich liebenswert. Nicht eine Sekunde war ich von ihm gelangweilt oder genervt, obwohl ich so viel Zeit mit ihm verbrachte. Und für seine leicht schräge, manchmal sogar etwas trottelige Seite, mochte ich ihn nur noch mehr. Er war so anders, als die Männer die ich in den letzten Jahren getroffen hatte. Die mir anfangs gefallen hatten, die gut aussahen, charmant und witzig wirkten und dann immer irgendwie enttäuschten, charakterlich, intellektuell, oder mich auf körperlicher Ebene total kalt ließen. Bei ihm war es genau anders herum. Es hatte eine Weile gedauert, bis er so richtig nachhaltig und ernsthaft in mein Bewusstsein vorgedrungen war und jetzt war ich ihm total verfallen. Ich stellte mir die Frage, ob ich dabei war mich ernsthaft zu verlieben, absichtlich nicht. Vielleicht weil ich die Antwort fürchtete, vielleicht weil ich sie schon kannte. „Ich hab Frühstück mitgebracht.", säuselte ich. Ich legte meinen Kopf an seine Schulter, atmete seinen Geruch ein und inhalierte seine Gegenwart sehnsüchtig, obwohl ich nur ganz kurz weg gewesen war. „Mmm" machte er und drückte mich noch fester. „Ich wusste echt nicht, dass Lockdown auch so sein kann. Meinst du es ist sehr egoistisch sich zu wünschen, dass das noch ganz lange so weiter geht?" „Vermutlich schon ja, aber es klingt wahnsinnig verlockend.", antwortete ich. Ich wusste haargenau was er meinte. Wir hatten uns hier unsere eigene kleine Blase erschaffen, die sich umso kuscheliger und erstrebenswerter anfühlte, weil der Rest der Welt gerade so seltsam, furchteinflößend und grau war. Mich interessierten diese Zahlen, Inzidenzen und die ganzen Nachrichten erschreckend wenig. Seine Umarmung war auch jetzt wie ein Schutzschild, so als könnte gar nichts Schlimmes passieren, solange er nur bei mir war.

Mike

Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie sie die Obststücke von ihrem Teller hingebungsvoll mit der Gabel aufspießte und langsam, fast zeitlupenartig in ihrem schönen Mund verschwinden ließ. Jede ihrer Gesten wirkte so konzentriert und hingebungsvoll, als sei in diesem Moment nichts wichtiger, als der Geschmack dieses Stücks Kiwi. Genüsslich verzog sie ihr Gesicht. „Was denn?", fragte sie als sie meine Stirnrunzeln bemerkte. „Es ist ein bisschen verstörend, wie du dein Obst isst. Man kann sich dann nur sehr schwer auf irgendwas anderes konzentrieren."

Wo wir frei sindWhere stories live. Discover now