18. Das Leichentuch

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Trigger warning: explizite Gewaltschilderung; psychische Ausnahmezustände und allgemein verstörender Inhalt; bitte lesen, wenn ihr euch gut fühlt 

Love Auris 

Enjoy my work <3 


Viggo stürmte hinaus. Er wusste nicht woher er diese Energie nahm, die seinen Körper durchflutete. Schließlich wäre er vor ein paar Stunden beinahe Zusammengebrochen und vermutlich in seiner eigenen Kotze ersoffen. Vielleicht trieb ihn auch einfach die Sorge um Hicks an. Er darf nicht sterben. Noch nicht. Aber wenn er ihn so weiter leiden ließe, dann hatte er keine Chance. Er würde sich selbst aufgeben.

Er konnte sich nicht daran erinnern, wie er zu seinen Gemächern zurückkam. Er stieß den Drachenhautvorhang kräftig zurück. Licht drang für einen Moment in die Hütte und schien auf eine blasse Gestalt, die am Boden kauerte, genau dort, wo Viggo sie zurückgelassen hatte.
"Hicks.", flüsterte er und bewegte sich, wie in Trance auf ihn zu. "Hicks.", sagte er noch einmal lauter und durchquerte die Hütte schnellen Schrittes. Er warf sich zu ihm auf den staubigen Boden, rüttelte an seinem schlanken Körper. Das aschfahle Gesicht reagierte nicht. Er strich ihm panisch durch sein verfilztes Haar und befühlte prüfend seine Stirn. Seine Haut glühte und war zum Zerreißen gespannt, so trocken war sie. Er langte nach dem Eimer, gefüllt mit einer klaren Flüssigkeit, legte seinen glühenden Kopf in seinen Schoß und tauchte seine blutverschmierte Hand tief in das Wasser. Er zuckte zurück als die kalte Flüssigkeit seine Derma benetzte. Kupferrote Tropfen lösten sich von seiner Haut, als er seine Hand langsam herauszog, darauf bedacht keinen einzelnen Tropfen zu verschwenden. Er träufelte sie aus seiner hohlen Hand direkt in Hicks' Mund. Die klare Flüssigkeit troff über seine aufgeplatzten, blauverfärbten Lippen und lief ihm das Kinn in kleinen Rinnsalen hinab.
"Komm schon. Komm schon, Hicks. Du musst etwas Trinken." Sagte er mit einem Anflug von Angst in der Stimme.
Er wiederholte den Vorgang. Tauchte seine Hand tief in den Eimer, das kalte Wasser stach ihn, wie feine Nadeln und wieder verfärbte sich das Wasser orangerot und sog die Leiden in sich auf, wie ein Schwamm.
Sorgsam schöpfte er Schluck um Schluck in Hicks' Mund und hoffte, dass er nicht daran ersticken würde.

Der Eimer war leer, seine Hand sauber und Hicks gab außer ein paar flachen Atemzügen kein Lebenszeichen von sich.
Seine Haut hatte sich ein wenig erholt und seinem aschfahlen Gesicht wurde wieder etwas Farbe eingehaucht.
Und doch war sein Zustand nicht beurteilbar.
Viggo stützte den Kopf in die Hände. Er hätte es nicht soweit kommen lassen dürfen. 
Hicks vorerst vor dem Tod zu bewahren, war eine Aufgabe, die er gerne mit Ryker bewältigt hätte.
Und doch war dieser Drachenreiterabschaum Schuld daran, dass sein Bruder nun blutend und vermutlich halbtot in einer Schiffskajüte lag. Er seufzte schwer und als er versuchte aufzustehen, tanzten blassblaue Punkte vor seinem inneren Auge. Er würde Feuer machen müssen. Seine feinen Haare stellten sich auf und seine Finger, die noch klamm vom kalten Wasser waren, ließen sich kaum bewegen. Er sah wehmütig zu Hicks Gestalt hinunter. Das hatte er nicht gewollt. Wirklich nicht gewollt. 

Was war mit Ryker? Er musste nach ihm schauen. Er war doch sein Bruder. Tobten seine Gedanken durch seinen Kopf.  

Gefangen in seinem zerrissenen Geist, war es Viggo nicht möglich sich für etwas zu entscheiden. Zu groß war die Gefahr beide zu verlieren. Doch wenn er weiterhin zögerte, würde er beide dem Tod überlassen. Er hatte genug für Hicks getan, entschied er. Er kniete sich zu ihm hinunter und flüsterte "Du musst jetzt noch einmal stark sein, Hicks. Noch einmal. Und dann ist es vorbei. Bitte quäle dich nicht mehr." Mit diesen Worten beugte er sich hinab, strich ihm liebevoll über die Wange und küsste ihn auf die Stirn. Eine Träne des Bedauerns rollte ihm die Wange hinab und benetzte Hicks blasse Haut. Seine rauen, aufgeplatzten Lippen berührten noch immer seine Stirn. Es war kein schöner Kuss und er schluchzte laut. Doch er hatte sich entschieden. Blut war doch dicker als Wasser. Und Rache wird zwar kalt serviert, aber es war an der Zeit seine Niederlage einzusehen, bevor es endgültig zu spät war. Er legte ihm seine Finger auf die Lippen, als würde er Hicks bedeuten für immer zu schweigen. Er wollte seine stumme Klage nicht hören. Eine letzte Träne fiel auf sein Gesicht und rann langsam seine kalte Wange hinab, bevor sie endgültig vom Sand verschlungen wurde. "Es tut mir so leid, Hicks. So unendlich leid." hauchte er ihm ins Ohr, bevor er sich wankend aufrappelte und mit weichen Knien hinauseilte. 

SplitterWhere stories live. Discover now