16. das Dämonenschwert

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Die Szenerie um sie herum war fürchterlich. Das Tageslicht offenbarte die Schrecklichkeiten der Zerstörung, die die Nacht mühsam verborgen hielt. Zerstörte Schiffe lagen im Hafen und Rauchschwaden zogen von verbrannten Holzpfählen hinauf in den klaren, kalten Morgenhimmel. Viggo betrachtete das zerstörte Fleckchen Erde, das er seine Heimat nannte und all die Heiligtümer, die jetzt in Trümmern zu seinen Füßen lagen.
Er seufzte schwer und rieb sich mit den Händen verzweifelt über sein Gesicht.
Das waren jetzt definitiv zu viele Schicksalsschläge auf einmal, dachte er sich und eine Zornesfalte durchzog seine Stirn. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Hicks so ein Scheißemagnet sei. Denn erst seitdem er hier ist, wurde seine Insel ausgekundschaftet, angegriffen und verwüstet.

Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen, trat Ryker Viggo entgegen. "Bruder, ich habe die Rezeptur." sagte er stolz, wie ein Kind, das gerade den Hauptpreis der Tombola gewonnen hatte und hielt ihm ein Stück abgewetztes Pergament entgegen.
Viggo, der gerade damit beschäftigt war, einem Drachenfänger Anweisungen über den Wiederaufbau der Basis zu geben, wandte sich zu ihm um, nahm das Pergament aus seiner Hand und sagte tonlos "Du hast was, Ryker?" Und starrte ungläubig auf das Papier. "Ich hab..." Doch Viggo unterbrach ihn: "Was hast du mit ihm gemacht?" fragte er mit eiskalter Stimme und wedelte mit dem Pergament vor seiner Nase herum. Seine Zornesfalte zeichnete einen tiefen Graben zwischen seinen Augenbrauen. Ryker öffnete den Mund und wollte gerade nach einer Erklärung suchen, doch Viggo war nicht zu bremsen. "Wenn du ihm auch nur ein Haar gekrümmt hast, werde ich dich eigenhändig umbringen! Nur ich darf ihn verletzten! Nur ich darf die Macht über ihn auskosten. Nur ich darf mit ihm anstellen, wonach es mir gelüstet! Und nur ich werde über seinen Tod entscheiden! Niemand sonst, hast du mich verstanden?!" Schrie ihn Viggo an und zeigte drohend mit dem Finger auf ihn. Ein Speichelfaden löste sich von seinem wutverzerrten Mund und tropfte auf Rykers Hand, die Viggo packte und ihn zum Schweigen bringen wollte. Doch Viggo zog blitzschnell sein rubinbesetztes Schwert, wirbelte um Ryker herum, trat ihm in die Kniekehlen, sodass er zusammensackte, wie ein Sack Kartoffeln und drückte die rasiermesserscharfe Klinge gegen seine Kehle. Ryker, dessen Augen sich vor Entsetzen weiteten, sog scharf die Luft ein. Viggo, der sich zu Rykers Ohr hinuterbeugte, raunte sanft und verschwörerisch. "Hast du mich verstanden, Bruderherz?" Und drückte die Klinge noch ein wenig fester gegen Rykers Hals. Sein Gesicht verzog sich zu einer qualvollen Fratze. Er nickte stumm. Viggo ließ von ihm ab, fuhr noch einmal gedankenverloren über die Klinge seines doch so atemberaubend schönen Schwertes und steckte es in die Scheide. Ryker kniete immer noch vor ihm und betastete die Verletzung, die das Dämonenschwert hinterlassen hatte. Blut rann in dunkelroten, schweren Tropfen seinen speckigen Hals hinab. Es befriedigte Viggo auf eine Art und Weise, die er nicht beschreiben konnte.
Er atmete lange aus, besah sich noch einmal Rykers Wunde, dessen Anblick ihm Genugtuung brachte und schritt dann wortlos in Richtung seiner Gemächer.

Dunkelheit und staubig muffige Luft empfing ihn, als er den Drachenhautvorhang zurückschlug. Spärliches Licht drang in den Raum und hinterließ an den Möbeln und seinen Drachenkopftrophäen einen schimmernden goldgelben Glanz. Sein Blick blieb kurz an den langen, weiß glitzernden Zähnen hängen, die einmal Unheil und sprühendes Leben zugleich bedeuteten.
Er hatte das Bedürfnis sie zu berühren, sich einen von ihnen einzuverleiben und irgendeine lebende Seele damit zu quälen. Es lüstete ihn danach mit dieser Schönheit über samtig weiche Haut zu fahren. Er sehnte sich danach die Spitze in weiße Haut zu bohren und sein Kunstwerk in ihr zu verewigen. Er wollte das leuchtend rote Blut an dem Zahn hinabtropfen sehen. Es sollte über seine Hand rinnen und seinen metalligen Duft versprühen.
Eine Zeit lang vergaß er, dass er nicht allein in der Hütte war.

Hicks, der immer noch zusammengerollt am Boden kauerte, tat als würde er schlafen, dabei hielt er vor Todesangst die Luft an. Er schlotterte am ganzen Körper und die Ketten klirrten mit ihm im Takt. Er verfluchte sie innerlich. Wenn sie doch kein Geräusch von sich geben würden, dann könnte Viggo ihn hier vergessen. Er war nicht der starke Wikinger für den ihn alle hielten. Doch zu seinem Erstaunen wirkte es als würde Viggo völlig weggetreten sein. Er wiegte hin und her, taumelte auf einen der Drachenköpfe zu, betrachtete die Zähne eingehend und riss einen davon heraus.
Zu seiner Verblüffung ritzte er sich mit der Spitze des Zahns in den eigenen Handrücken und beobachtete, wie der süßlich dunkelrote, zähflüssige Lebenssaft seine Hand hinunterlief.
Platsch. Das Blut tropfte mit einem leisen Klong auf den Steinboden der Hütte. Wie in Trance wandte sich Viggo zu Hicks um. Langsam und durchdringend sah er ihn an. "Ist das nicht wunderschön?" Fragte er mit verträumter Stimme an Hicks gewannt und zeigte ihm bereitwillig seine klaffende Wunde. Hicks rieb sich über sein Gesicht. Halluzinierte er etwa? "Viggo, die Wunde muss versorgt werden." Sagte Hicks mit brüchiger Stimme. Er mühte sich auf die Beine, auch wenn sein Körper sich vehement dagegen wehrte. Ihm war speiübel und seine Eingeweide krampften sich schmerzhaft zusammen. Er war viel zu schwach für sein Vorhaben, aber sein Wille war stärker, als jedes körperliche Leiden. So hoffte er zumindest. Die Ketten klirrten, als er mühsam einen Fuß vor den anderen setzte. Er ging nicht, er schlurfte, wankte und stolperte. Viggo's Augen wanderten ungläubig zwischen Hicks und seinen blutüberströmten Händen hin und her. Er blutete so stark, dass der Zahn, den er immer noch in der Hand hielt nicht mehr strahlend weiß sondern dunkelrot war und es schien als würde er langsam das Blut in sich aufsaugen. Hicks streckte zitternd die Hand aus, legte seine Finger um die von Viggo, fischte den Zahn aus seiner Faust und stieß ihn von sich weg. Als ob ein Schalter in ihm umgelegt worden wäre, klarte sich Viggo's Blick. Seine Augen verharrten auf der Wunde. "Hicks, was..? Warum blute ich?"
Hicks erschrak und stolperte einen Schritt zurück. Er hatte nicht bemerkt, dass er noch Viggo's Finger umklammert hatte, als er aus seiner Trance erwachte. Viggo blickte Hicks bedrohlich an. "Viggo, ich schwöre, ich war das nicht! Du hast dich mit diesem Zahn aufgeschlitzt." Sagte Hicks mit bebender Stimme. Dabei deutete er zitternd mit dem Zeigefinger auf den blutüberströmten Drachenzahn. Er sank auf die Knie und hob die Hände schützend vor sein Gesicht.
Viggo schritt langsam auf ihn zu. "Er hat dich verletzt, nicht wahr?" Fragte er mit tonloser Stimme.
Hicks wich zurück. "Tu mir nicht weh. Bitte." Keuchte er. Viggo nickte stumm. "Zeig mir wo er dir wehgetan hat." Erwiderte Viggo mit rauer Stimme und blickte in seine waldgrünen Augen, die ihn verängstigt musterten. Hicks erschauderte, zögerte einen Moment, kehrte Viggo den Rücken zu und entblößte das Massaker, dass Ryker Stunden zuvor verursacht hatte. Sein Rücken war übersät von blutunterlaufenen Striemen. An einigen Stellen zogen sich scharfkantige Risse durch seine Haut und weiter unten bildeten sich sogar Brandblasen , die besonders schmerzhaft aussahen. Viggo streckte seine blutverschmierte Hand aus und strich sanft über die Blutergüsse. Hicks zuckte bei der Berührung zusammen, als hätte er einen Stromschlag bekommen.
Viggo's Berührung glühte unangenehm auf seiner Haut. Er drehte sich mit dem Gesicht zu ihm um, seine Ketten rasselten widerstrebend. Viggo hielt inne und betrachtete sein Gesicht. Sie sahen sich einfach an. Starr und ausdruckslos.
Die Panik wich aus seinem Körper. Viggo würde ihn nicht verletzten, nicht jetzt, nicht heute. Er war so unendlich müde und ihm war kalt. So unendlich kalt. Hicks schlang die Arme um seinen Körper und zupfte das Überbleibsel seines Hemdes so zurecht, dass die zerschnittenen Schnüre nicht in seinen Wunden hängen blieben. Viggo langte nach einem Stück Stoff, dass sich als samtweiche Decke entpuppte und legte sie sanft über Hicks Schultern. "Ich werde mich um deine Wunden kümmern." Sagte Viggo und verließ die Hütte.

1298 Wörter

SplitterWhere stories live. Discover now