Kapitel 2.1

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Eine ganze Weile schwamm ich nun so gut wie unsichtbar durch den Fluss von Kenzie. Immer wieder musste ich einigen Teilen ausweichen, die damals ins Wasser geworfen worden waren.

Damals, als die Labore in die Luft gegangen waren. Ich war zu dem Zeitpunkt erst fünf Jahre alt gewesen und hatte sieben Monate in den Laboren verbracht. Diese Zeit war die schlimmste Zeit meines Lebens. Jeden Tag musste ich in mehrere Testräume hinein und wurde stundenlang an einen Stuhl gefesselt. Dauernd bekam ich irgendwelche Spritzen in den Nacken, dessen Inhalt mich in der Nacht vor Schmerzen kaum schlafen ließ. Ich verwandelte mich oft einfach unkontrolliert und kam dann wegen meiner Kiemen kaum zu Atem, da Kiemen außerhalb des Wassers nicht funktionieren. Und dabei war ich damals noch ein kleines Kind, dass eigentlich glücklich Zuhause sein sollte und sich mit den Geschwistern streiten sollte. Ein Kind, dass all das nie erleben sollte, und doch war es passiert.

Hier schwamm ich nun durch den Fluss. Aber nicht aus Spaß, sondern gezwungen. Und ich war komplett alleine. So allein wie noch niemals zuvor.

Selbst im Labor war ich nie ganz alleine gewesen. Ich hatte mir in dem Labor zusammen mit einem anderen kleinen Mädchen die Zelle geteilt und wir hatten gemeinsam unsere Schmerzen überstanden.

Das Mädchen hieß Nuriel und war genauso alt wie ich. Aber anders als bei mir wurde sie nicht über mehrere Stunden ins Eiskalte Wasser geworfen und ihr wurden auch keine Hai-Gene gespritzt. Nein, bei ihr war es anders.
Nuriel wurde bei lebendigem Leib ins Feuer geworfen und hatte stundenlang auf heißem Metall sitzen müssen, bis sie vor Schmerzen bewusstlos wurde.
Sie hatten ihr genauso wie mir die Augen ausgerissen und durch andere ersetzt. Meine verfügten nun über perfekte Nachtsicht und ihre enthielten eine Wärmebild Funktion, durch die sie die Temperaturen in der Umgebung quasi sehen konnte.

Ihr Augen waren Rot wie Glut und meine Sturmgrau und meeresblau. Warum ich unter Wasser zwei verschiedene Augenfarben bekam, wusste ich nicht.
Aber einen großen Unterschied zwischen uns gab es noch: Unsere Fähigkeiten.

Während ich stundenlang unter Wasser bleiben konnte und dabei sogut wie unsichtbar bin, konnte sie ohne Probleme durch Feuer laufen und ihren Körper wie eine Flamme auflodern lassen, sodass die Temperatur um sie herum um mehrere Grade anstieg und die Umgebung zum schmelzen bringen konnte.

Doch seit der großen Explosion in den Laboren hatte ich sie nie wieder gesehen.
Ich war als kleines Kind durch die Straßen gelaufen und durch etliche Flüsse und Seen geschwommen und hatte sogar manchmal unter Wasser geschlafen, wenn ich an Land keinen Schlafplatz fand.

Das Leben war echt hart gewesen, bis ich diese Wohnung für sehr wenig Geld kaufen konnte und mit zwölf Jahren dort einzog.
Ich erfand Lügen über meine Eltern. Ich erzählte, dass mein Vater tot war und meine Mutter den ganzen Tag arbeiten war und nur Nachts nach Hause kam. So fiel es nicht auf, dass ich immer alleine war und die Leute stellten keine Fragen.

Ich schlug einen Hacken nach links, um einer alten verrosteten Eisentür auszuweichen, dir mir den Weg versperrte. In der Tür war ein kleines Loch an der oberen Hälfte eingelassen. Das sogenannte Fenster wurde von Gitterstäben umgeben.
Es war eine alte Zellentür aus den Laboren. Diese Türen waren beinahe unzerstörbar und nicht einmal Nuriel hatte sie schmelzen lassen können. Und dabei konnte sie die Temperatur um mehrere Hundert Grad ansteigen lassen können.

Bei dem Gedanken an Nuriel zog sich mein Herz in der Brust zusammen und ich wünschte mir um alles auf der Welt sie bei mir zu haben. Mit ihr konnte ich all meine Sorgen und meinen Schmerz teilen und sie war immer für einen da, egal wann.
Ich fing an zu weinen. Meine Tränen wurden von der leichten Strömung fortgespült und verschwanden im immer dunkler werdenden Blau des Wassers. Das Meer war in greifbarer Nähe und damit auch meine Freiheit.
Ich schlug noch einmal kräftig mit meinen Füßen und katapultierte mich somit mehrere Meter nach vorne.
Das Wasser schmeckte langsam immer salziger und kurz darauf mündete der Fluss auch in Kenzie's großem Meer.

Kurz darauf kamen mir auch schon die ersten großen Fische entgegen und mit einem Mal wurde mir etwas klar:
Nicht im Labor, nicht bei meinen Eltern, nicht in meiner kleinen Wohnung. Nirgends an diesen Orten war ich Zuhause.
Mein Zuhause war hier.

×××

Die Sonne spiegelte sich auf der Wasseroberfläche weit über mir und auch das Licht schwand langsam aus dem Blau das mich umgab. Die Meeresbewohner zogen sich zurück und ich bewegte mich weiter in Richtung Meeresgrund.

Ich bewegte mich weiter durch den dichtbewachsenen Boden und hielt ausschau nach einem geeigneten Schlafplatz. Nach ein paar Momenten wurde ich schließlich fündig und wollte mich gerade in die kleine Höhle verkriechen, als mir etwas ins Auge viel. Es glitzerte etwas und meine Augen umfassten den rechteckigen Gegenstand.

Es war ein altes, verrostetes Stück Blech, auf dem irgendetwas eingeritzt war. Ich strich mit meiner rauen-schuppigen Haut darüber, um den Dreck zu lösen.
Nach einer Weile löste sich das Moos etwas und es war zu entziffern:

XK17EW

Was konnte das wohl bedeuten?
War es eine Art Code?
Nein, ich glaube nicht...Aber was dann?

Und plötzlich fiel es mir wie ein Schuppe vom Auge. Vor Schreck ließ ich das Stück Blech fallen, woraufhin es langsam durch das Wasser segelte und auf dem Boden aufkam, wobei etwas Sand aufgewirbelt wurde.
Doch das war mir egal.
Ich befand mich schon längst in einer Errinnerung, die eigentlich nicht mehr in meinem Kopf sein sollte.

Es war dunkel in dem Raum. Es gab keine Fenster durch das Licht fallen konnte. Dafür war ein kleiner Spalt unter der Tür durch den etwas Licht fiel.

Allmählich gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit und ich sah mich ängstlich um. Wo war ich hier?

,,Hi"
Ich schreckte zurück und meinen Mund verließ einen Stummen Schrei.
Mit meinen kleinen Kinderhändchen hielt ich mir die Augen zu, um sie vor dem Anblick zu verbergen, der sich mir bot.

Vor mir hockte ein kleines Mädchen. Ihre Haare waren schwarz, nur die Spitzen waren Rot. Sie hatte überall Schrammen und guckte mich neugierig und verängstigt zugleich an. Ihre Augen waren Glutrot und bohrten sich in meine kleine Seele.

,,Wer bist du" Fragte ich zögerlich und kroch langsam näher. Meine Neugier hatte gesiegt.

,,Ich heiße Nuriel und du?" Gab das Kind mit hoher Stimme von sich und legte den Kopf schief.

,,Xenia" Flüsterte ich und verbarg mein Gesicht etwas hinter meinen Haaren.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und ich zuckte zusammen, während Nuriel mit Leerem Blick auf die Tür sah.
Doch mein Blick war nur auf die Person vor mir gerichtet. Die Person trug einen weißen Kittel und sah gruselig aus.

Hinter ihm kamen zwei weitere Männer hinein, die mich an den Armen packten und meinen kleinen Körper durch die Tür hinausschleppten. Ich schrie und wehrte mich, doch es half nichts.

Sie trugen mich durch die Gänge und betraten schließlich einen Raum, in dessen Mitte sich ein Stuhl aus Metall befand. Sie zerrten mich auf diesen Stuhl und banden meine Hände und Füße daran fest.

Ich war vor Schreck wie erstarrt, als sich plötzlich der gruselige Mann von vorhin vor mich hinhockte und ein Klemmbrett zur Hand nahm.
Der Stift kratzte über das Papier, bevor folgende Worte seinen Mund verließen:

,,Willkommen im Labor XK17EW"

Das war kein Code oder sonstiges.
XK17EW ist eine Person.
Und diese Person bin Ich.

~𝕏𝕖𝕟𝕚𝕒 | 𝔼𝕚𝕟 𝕃𝕖𝕓𝕖𝕟 𝕒𝕝𝕤 𝕄𝕦𝕥𝕒𝕟𝕥~Donde viven las historias. Descúbrelo ahora