»Ein Geschenk Gottes? Dass ich nicht lache! Du kannst ja nicht mal richtig sprechen, du Freak!«
Wie immer stehe ich einfach nur da. Schweige und lasse es über mich ergehen. Davids Worte schneiden, doch seine Fäuste sind wie Donnerschläge. Eine Reaktion wäre nur eine weitere Angriffsfläche und das ist das Letzte, was ich gebrauchen kann.
Im Unterricht haben wir über die Bedeutung unserer Namen gesprochen. Jamie - Gottes Geschenk. David - der von Gott Geliebte.
Bei ihm stimmt es. Alles fällt ihm in den Schoß, als wollte der da oben es so: Bestnoten, eine Schar von Freunden, eine Familie, die ihn liebt. Sein wahres Gesicht kennt niemand. Nur ich.
Noch ein Grund mehr, warum ich mich damit abgefunden habe, ein Niemand zu sein. Gottes Geschenk bestimmt nicht. Sonst wäre ich nicht mit einem Sprachfehler bestraft. Einem, der sich selbst mit viel Übung nicht verschwindet. Schon gar nicht, wenn die Nervosität mich packt. Und ich bin immer nervös.
In der Schule ist es David, der diese Angst schürt. Ab der Weiterführenden habe ich auf getrennte Wege gehofft, doch es ist schlimmer: Wir stecken schon wieder in derselben Klasse.
Außenstehende meinen alle das Gleiche: ›Ich soll mich wehren‹. Seufzend sehe ich in seine blau-grünen Augen, die mich durchbohren. Wehren? Wie soll das gehen? Früher wusste ich, wie man kämpft, aber jetzt? Die Erinnerung daran ist so weit weg.
»Willst du mir gar nicht antworten? Hat es dir etwa die Sprache verschlagen?«
Der starke Impuls zu gehorchen windet sich in mir, bricht fast mein Schweigen. Doch ich presse die Lippen gerade noch aufeinander. Bei ihm bringt es eh nichts.
Er grinst gehässig, hat mein Zucken gesehen. Um uns herum stehen seine Anhängsel wie ein Kreis hungriger Hyänen, ihr dreckiges Lachen hallt schmerzhaft in meinen Ohren.
›Ein Jahr noch‹, rufe ich mir in den Kopf und senke ihn. Ein Jahr noch und ich bin alle los. Ihn, die Lehrer und die Familie, die keine ist.
Ich sehe den Schlag nicht, spüre nur den stechenden Schmerz. Mein Magen zieht sich krampfhaft zusammen. Ich keuche und gehe röchelnd in die Knie. Krümme mich, reiße die Arme über den Kopf und bereite mich stumm auf den nächsten Angriff vor. So ist es immer. Wenn ich am Boden liege, tritt er nach.
Doch diesmal ist es anders. Plötzlich höre ich ihre aufgeregten Stimmen, dann das Geräusch, wie sie auseinander stieben. Ihre Worte erreichen mich nicht, dafür rauscht das Blut viel zu laut in meinen Ohren.
»Jamie!« Mit einem Mal kniet unsere Vertrauenslehrerin neben mir. Ihre Hand berührt meine Schulter. »Komm, steh auf. Du musst mir folgen.«
Überfordert von der augenblicklichen Stille, aber auch erleichtert, heute glimpflich davonzukommen zu sein, rappele ich mich mühsam hoch. Meinen Bauch halte ich nicht, obwohl er höllisch schmerzt.
Mein flüchtiger Blick nach links verrät: Davids Augen kleben an mir, wie die eines Raubtiers.
Meine Lehrerin packt mich und zieht mich mit sich. Doch auch als wir außer Hörweite der Jungen sind, fragt sie mich nicht, was ich im Dreck zu suchen hatte. Stattdessen eilt sie in Richtung Schulgebäude. Ihre Schritte sind schnell, ihre Haltung steif, als hätte sie nur ein einziges, dringendes Ziel vor Augen.
Meine Sicht dagegen ist verschwommen. Übelkeit erfasst mich, doch ich laufe artig mit. Welche Wahl bliebe mir auch sonst?
Als wir endlich beim Lehrerzimmer ankommen, stütze ich mich, völlig außer Atem, mit den Händen auf meinen Knien ab. Jeder Zug brennt in meiner Brust. Nur langsam hebe ich den Kopf. Was ich sehe, saugt mir allerdings sämtliche Luft aus den Lungen und erklärt schlagartig, warum sie so gerannt ist.
Vor mir sitzt die Dame vom Jugendamt. Mein Herz setzt vor Schreck einen Schlag aus, dann kommt die stille, fast schmerzhafte Erleichterung: Meine aktuelle Pflegefamilie hat mich endlich wieder abgegeben.
BẠN ĐANG ĐỌC
Because you always meet twice
Tiểu Thuyết ChungMan sagt, man begegnet sich immer zweimal im Leben. Doch was passiert, wenn man genau das nicht will? Nach einer Kindheit in ständigem Wandel wünscht sich Jamie nichts sehnlicher als Leichtigkeit, Stabilität und einen festen Platz in der Welt. Diese...
