„Wenn es geholfen hat, warum nicht? Und du hast viel erlebt, dich weiterentwickelt und bist daran gewachsen. Meine Methode? Ich weiß gar nicht. Ich war damals einfach nur wahnsinnig erschöpft von so Vielem, von meinem Leben, meiner Beziehung, von mir selbst und meinem Körper, dass ich anfangs fast erleichtert war, allein zu sein. Ich hab wochenlang fast nur geschlafen und zu der Zeit generell nicht viel gefühlt, außer bleierner Müdigkeit."

„Dieses Burnout, das du schon mal erwähnt hast?"

„Ja sowas in der Art. Ich hatte davor eigentlich ein krasses Hoch und bin dann in ein umso tieferes Loch gefallen. Danach hab ich mein Leben Stück für umgekrempelt und mich langsam wieder erholt. Das Ende meiner Beziehung war einfach eher ein langsames Auslaufen, ein leiser dauerhafte Schmerz, ein Eingeständnis und eine Notwendigkeit für uns beide. Für sie und für mich. Wir sind immer noch sehr verbunden. Sie wird wahrscheinlich auch immer eine Art Bezugsperson für mich bleiben. Wir sehen uns mindestens einmal im Monat, meistens sogar öfter, wenn ich nicht gerade hier bin."

„Tut das nicht immer wieder weh oder bringt einen in Versuchung? Hört das irgendwann auf?"

„Wir gehen mittlerweile eigentlich sehr entspannt miteinander um, schätzen uns sehr, wir waren ja auch nicht ohne Grund, so lange zusammen. Aber da hinzukommen, war auch nicht so einfach wie es jetzt vielleicht klingt. Ich vermute, sie war damals im Grunde erleichtert, dass ich die Reißleine gezogen habe. Mir ging es eine Weile schon nicht gut und sie hätte mich, von sich aus, nie im Stich gelassen, aber irgendwann war er einfach da , dieser Point of no Return. Wir hatten uns emotional so verstrickt und voneinander distanziert, dass es gar keinen anderen Weg mehr gegeben hätte. Jetzt tut es nicht mehr weh, nein. Klar ist man traurig und enttäuscht, dass man es nicht hingekriegt hat, aber ich kann damit leben."

Anni wirkte nachdenklich. Natürlich hatte sich ihre Stimmung nun doch verändert. Ich wusste ja, dass ihre Ex-Beziehung einer ihrer wundesten Punkte war, besser gesagt Mike wusste das.

„Leidest du noch deshalb. Bist du los von dieser Droge?", fragte ich sie

„Eigentlich nicht mehr. Ich würde sagen ich bin absolut clean. Merkt man auch daran, dass ich noch vor einem Jahr, nie so reflektiert darüber hätte sprechen können. Aber sagen wir mal so, ich bin nicht unbedingt die bindungsfreundlichste Person auf diesem Planeten und es hat mich manchmal selbst schockiert, wie weit ich teilweise bereit gewesen wäre, für ihn zu gehen. Niemals würde ich in diese Situation zurückwollen. Es ist nur der Grund für unsere Trennung, der mich manchmal noch triggert." Sie blieb stehen. „ Schau da kommt die Talsperre."

Vor uns lag eine Staumauer aus deren Sockel Wasser heraussprudelte. Ich mutmaßte dass dahinter wohl eine Art Speichersee liegen würde. Unser Weg führte in einem größeren Bogen um die Mauer herum, aber dahinter war absolut nichts. Nur eine riesige, staubtrockene Schotterfläche, die sich kilometerweit nach hinten zog. Keine Spur von Wasser. Der wilde, schnelle, türkisfarbene Fluss war wie vom Erdboden verschluckt. Verwirrt schaute ich Anni an.

„Willkommen im Wimbachgries!", sagte sie und küsste mich auf die Wange



Anni

Sein verdutzter Blick war amüsant und irgendwie auch so niedlich, dass ich nicht anders konnte. Ich hatte ganz Anni-like nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, sondern einfach spontan und intuitiv gehandelt. Bevor mir diese vertrauliche Geste peinlich werden konnte, quatschte ich einfach drauf los.

„Die Staumauer ist nicht für das Wasser. Das ist eine sogenannte Geschiebesperre, die den ganzen Schotter aufhält. Der Wimbach fließt bis zu dieser Stelle unterirdisch. Weil das ganze Geröll durch die Sperre weggenommen wird, tritt der Bach erst dahinter an die Oberfläche. Wenn du willst können wir den Weg hier jetzt verlassen und stattdessen direkt im Gries weitergehen."

Wo wir frei sindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt