„Es hat dir ned so gefallen da in London, oder?"

„Na ja. London kann da nix dafür. Der Zeitpunkt war einfach denkbar ungünstig und..." Sie schüttelte so energisch den Kopf, dass ich mitten im Satz verstummte.

„Des mein ich nicht, Anni. Es ist etwas anderes. Weißt du, als du damals zum ersten Mal länger fort bist, nach und wegen der Sache mit dem Simon, da haben das alle für einen riesen Fehler gehalten. Auch deine Eltern und der Jakob und...." „Das ganze Dorf" , seufzte ich. „Mag sein, aber ich war da anderer Meinung. Der Simon ist ein wirklich feiner, herzensguter und auch ein richtig fescher Kerl, des seh sogar ich mit meinen alten Augen noch. Ich mag ihn, schon immer, schon als Bub und trotzdem war ich damals froh. Ich hab gedacht, die Anni macht genau das Richtige. Sie kämpft sich frei, macht ihren Weg und alle Türen stehen ihr offen. Wir sind aus ähnlichem Holz geschnitzt, wenn ich in einer anderen Zeit geboren wäre, dann... wahrscheinlich hätte ich es auch so gemacht wie du. Sie seufzte. Du warst schon als kleiner Stopsel immer so herrlich wild, eigensinnig und kaum zu bändigen, so ganz anders als deine Brüder. Du warst so voller Energie, bist auch gerne mal angeeckt, aber du hattest auch genügend Charme um irgendwie immer damit durchzukommen. Dich aufwachsen zu sehen war für mich die aller größte Freude. Und dann mit dem Simon, du hast dich da sehr verändert. Du warst so verliebt in ihn, dass man dich manchmal gar nicht mehr so richtig erkannt hat. Du hast dich angepasst, vielleicht ein Stück zu sehr." „Ich bin wahrscheinlich einfach erwachsen geworden in der Zeit Oma"

„Ja auch. Anfangs dachte ich auch, er tut dir gut. Du bist weicher und sanfter geworden, aber du hast irgendwann dein Feuer, dass was dich ausmacht, fast verloren. Als du dann so unerwartet gegangen bist, da dachte ich, dass es so sein muss. Dass du einfach mehr erleben willst, dass du hier nicht bleiben kannst und dich loslösen musst, um dein Glück zu finden. "

„Und was denkst du jetzt?"

„Ich weiß es nicht genau. Du musst das besser wissen als ich. Bedürfnisse und Wünsche können sich ändern. Nur einen Gedanken möchte ich dir gerne mitgeben. Ich glaube das Reisen alleine, egal wie weit und wie lange, macht dich nicht automatisch freier. Vielleicht findest du die Freiheit, die du dabei suchst nur, wenn du dich auch innerlich frei machst.

Ich schürzte die Lippen und ich nickte. „Ich glaub ich weiß was du meinst. Manchmal zweifle ich selber. Dann denke ich, ich hätte vielleicht dableiben sollen und dass ich zu viel aufgegeben habe. Ich weiß nicht ob ich je wieder so lieben kann wie damals, aber ich weiß im Moment generell nicht viel. Ich bin in einer seltsamen Phase. Mir ging es die ganze Zeit wirklich gut allein, aber jetzt wo man quasi allein sein soll, holt mich die Vergangenheit wieder ein und ich will ich auf einmal etwas anderes."

„Und was?" Ich legte meine Stirn in Falten und dachte angestrengt nach.

„Ich will...Ich will jemanden mit dem ich tiefgründige, echte Gespräche führen kann, der mich zum Lachen bringen, aber auch um den Finger wickeln kann. Jemanden der mich zum Nachdenken bringt, mich versteht und mir hilft mich mit meiner Vergangenheit auseinanderzusetzen und zu versöhnen auch wenn es weh tut. Jemanden mit dem ich Wachsen kann. Der immer da ist, mich aber nicht langweilt oder einschränkt." Ich fixierte einen Punkt an der Wand, während ich redete.

„Gottseidank. Ich hab ein bisschen befürchtet, dass dein Herz immer noch am Simon hängt."

„Freilich häng ich noch irgendwo an ihm. Aber unsere Zeit ist abgelaufen. Er hat die Natalie und überhaupt..."

„..gäb es eine mittelschwere Katastrophe, wenn...Es ist gut, dass du das so siehst. Aber du hast das grad so klar beschrieben, als wüsstest du genau wovon und von wem du sprichst, Anni?"

Ich schüttelte energisch den Kopf, während ich die ganze Zeit an Mike dachte. Alles das was ich beschrieben hatte, fand ich bei ihm. Zwar nur online, aber ich liebte die Art, wie er mein Leben bereicherte.

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