Vier

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Im Wald war Noah allein. Das heißt nicht das er einsam dort war. Um ihn herum war die Welt, die Vögel, die kleinen Schmetterlinge, die anderen tausend Insekten, die Natur. Er war bloß allein. 

Für sich. 

Er und seine Gefühle, die er nun frei losließ. 

Er weinte stumm, ohne dass es ihn störte. Niemand konnte ihn verurteilen, niemand konnte ihn als ,schwach' oder ,unmännlich' bezeichnen. Er hatte einen Stock aufgehoben, den er hinter sich herzog. Dieser hinterließ eine kleine Spur auf dem trockenen Waldweg, das einzige Zeichen dafür, dass jemand hier war. Leise sang Noah eine Melodie vor sich her und genoss die Geräusche des Waldes. 

Die Tränen waren getrocknet und seine Gedanken machten eine kleine Pause. Noah hatte es geschafft sie auszuschalten. 

Das einzige woran er dachte, war der Mond. Die Phasen, in denen er sich nachts sichtbar zeigte, die Laufbahn um die Erde und seine Geheimnisse. Noah mochte die Vorstellung, dass der Mond jeden kannte, dass er die Geheimnisse von jedem Menschen kannte und beherbergte. Er starrte in den Himmel. Dort waren nur Wolken, die Sonne sah man nur leicht durch die dicke, graue Schicht. Ein kleiner Windstoß war spürbar und Noah zog seine Jacke dichter um seinen Körper. 

Der Herbst war unterwegs. Und Noah freute sich darauf. Der Herbst war seine Lieblingsjahreszeit, man konnte drin sein, den Regen beobachten und heißen Tee trinken.

Zu dieser Jahreszeit saß er oft auf seiner Fensterband, seine Lieblingsband lief im Hintergrund und er spielte mit Neele. Und wenn Neele nicht da war, probierte er Songs zu schreiben, las oder starrte einfach aus dem Fenster. Oder er beobachtete die Rennen der Regentropfen, die sein Fenster herunterglitten.

In solchen Momente fühlte er sich so, als gäbe es keine Zeit, als ob jemand die Uhren gestoppt hatte, nur um diesen besonderen Moment festhalten zu können. Doch sobald man danach greifen wollte, löste er sich in Luft auf. Bei diesen Gedanken wurde Noah wieder sentimental.

 Er vermisste sein altes Leben, das Leben vor dem Internat, immer mehr. Er wollte nach Hause. 

Nicht zu seinen Eltern, aber nach Hause.


„Auch mal wieder da? Wir haben dir einen Teller mit Fischstäbchen und Kartoffelpüree in den Kühlschrank gestellt, falls du noch willst", überfiel Colin Noah. 

Colin war gerade aus der Küche gekommen, die er noch mit Julia und Ava aufgeräumt hatte, nachdem die drei wieder zusammen gekocht hatten und war jetzt wieder auf dem Weg in sein Zimmer. Dabei ist er Noah über den Weg gelaufen, der aus dem Wald zurückkam. Dankbar nickte der Blonde. 

Er hatte wirklich Hunger und das jemand an ihn gedacht hatte, machte ihn irgendwie glücklich. 

„Danke", sagte er dann noch. Colin und Noah blieben beide einfach stehen. Sie standen gegenüber voneinander und sahen sich an. Keiner von beiden wagte es, sich zu bewegen oder etwas zu sagen. 

Doch irgendwann wandte Colin den Blick ab, denn langsam war es nicht mehr normal. Keine Freunde und schon gar nicht Mitbewohner schauten sich so lange so intensiv in die Augen. Er hatte nichtmal gemerkt, dass sein Körper nun eine feine Gänsehaut zierte. 

„Dann, lass es dir schmecken", sagte er schnell und schnellte die Treppe hoch. Im Gang atmete der Brünette einmal tief ein und aus. Das war definitiv nicht normal gewesen. 

Noah stand immernoch in einer kleine Starre im Flur. Er hatte sich geschworen aufzupassen, vorallem was das Anstarren männlicher Personen anging. Er wollte nicht auffliegen, aber genau solche Aktionen konnten dafür sorgen. Er atmete tief aus, schaute sich dann sicherheitshalber um, bemerkte das niemand da war und machte sich dann auf den Weg in die Küche. 

Im Kühlschrank stand tatsächlich ein Teller bedeckt mit Alufolie. Darauf lag ein kleiner Zettel, wo Noahs Name drauf stand. In Colins Handschrift. Kurz musste Noah lächeln, Colin hatte wirklich für ihn gesorgt.

Er steckte den Zettel in die Jackentasche und stellte dann den Teller in die Mikrowelle. Er wartete bis diese piepte und aß dann allein auf der Fensterbank und sah den Sternen beim Aufgehen zu. 

Er fand es entspannend hier zu sitzen, zu essen und den Himmel zu betrachten. Oft hatte Noah sich schon gefragt, ob es noch mehr Lebewesen gab oder wie groß das Universum war. 

Er interessierte sich schon von klein auf für genau 2 Dinge, Musik und Astronomie. Seine Eltern wussten von diesen Interessen nicht viel.

Er hatte schnell aufgesessen und stellte den Teller in den Geschirrspüler. Schnell trank er noch ein Glas Leitungswasser, bevor er durch den Gemeinschaftsraum ging und die Treppen hoch zu seinem Zimmer. 

Joel und Colin waren dort, saßen beide auf ihren Betten und beschäftigten sich mit ihren Tablets. Kurz schauten sie auf, wandten sich dann aber wieder ihrem Tablet. 

Zumindest Joel tat das. 

Colins Blick huschte immer wieder zu dem Blonden, der gerade sein Buch nahm und begann zu lesen. Colin ging die Situation von vorhin nicht mehr aus dem Kopf. Die Sekunden, in denen er Noahs Augen wirklich ausführlich betrachten konnte, hatten sich in Sekundenschnelle in sein Gehirn eingebrannt und nun bekam er die Gedanken an den Blonden Jungen nicht mehr weg. Colin wurde aus Noah einfach nicht schlau. 

Es wurde später und später, zuerst löschte Joel das Licht, irgendwann Noah und schlussendlich auch Colin. Alle drei fielen schnell in einen tiefen Schlaf und man hörte nur noch leises Schnarchen aus dem Zimmer.


Wochen später passierte nichts außergewöhnliches. Jeder lebte sein Leben vor sich her. Colin und Joel arbeiteten an ihrem Zukunftsprojekt und Noah ging fast jeden Tag in den Wald, um abzuschalten. 

Er wusste nicht, was genau ihn in dorthin zog, es war einfach so. Die Stille beruhigte ihn ungemein und er schaltete seine Gedanken ab.

Natürlich hatte Noah auch weiterhin alle 2 Tage mit Neele telefoniert, die auch immer glücklicher wurde in ihrem Internat und tatsächlich auch Freunde fand. Sie blühte dort auf und Noah freute das. Wenigstens sie fühlte sich wohl. Obwohl Noah sich auch immer wohler fühlte. 

Colin und Joel waren inzwischen mehr oder weniger seine Freunde und der Unterricht war meistens sogar ganz interessant. Allein wie er aufgebaut war, war tausendmal besser als an seiner alten Schule. Seine Noten hatten sich verbessert und auch seine mentale Gesundheit wurde besser, jetzt wo er nicht mehr dauernden Streitereien ausgesetzt war. 

Und vielleicht war es gut, dass er nicht mehr den ganzen Tag auf Neele aufpassen musste, egal wie lieb er seine Schwester hatte, er selbst kam immer schon ziemlich kurz. 

Und jetzt hatte Noah die Chance sich auch sich zu konzentrieren und herauszufinden wer er war. Er hatte sich nie mit dieser Frage beschäftigt. Früher war er zu jung, dann kam Neele und jetzt die Scheidung seiner Eltern. 

Noah wurde von klein auf mit zu vielen Problemen überhäuft, dass er nicht darüber nachdachte, was er wollte.

Er hatte sein Leben lang versucht, den Ansprüchen seiner Eltern gerecht zu werden, dass er sich immer wieder vergass. Doch diese Waldspaziergänge gaben ihm die Chance er selbst zu sein. Zu denken. Oder eben auch nicht zu denken. 

Und das machte ihn ein Stück frei. 

You're not alone, even if we're not around | Nolin FanfictionWhere stories live. Discover now