Kapitel 5: Peters Dienstag

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Dienstag

Der weiße Schaum der Wellen krachte gegen seine mit Sand bedeckten Füße. Langsam zog sich das Meer wieder zurück, nur um dann erneut und erneut wieder am Strand anzukommen. Wie ein endloser Kreislauf.
Peter fragte sich, ob es dem Meer nicht irgendwann leid wurde, immer wieder zurück zu kommen.
Er legte sich die Hand über die Augen, um sie vor der hellen Sonne zu schützen.
Es war furchtbar warm. Die Temperaturen lagen momentan bei 37°C und Peter fühlte sich wie ein Spiegelei auf einem schwarzen Autodach. Die ganzen Menschen die ab und an in den Wellen verschwanden und dann wieder auftauchten wirkten wie kleine Miniaturfiguren. Er legte die Lippen an die Pfeife und blies kräftig rein.
Ein kleiner Junge war über die Absperrung geschwommen, und nun zu weit entfernt um ihn noch sicher beobachten zu können.
Bevor Peter etwas sagen konnte, stahl der laute Ruf eines seiner Kollegen ihm die Show.
„Ey Kleiner, zurück vor die Absperrung!"
Als Peter zum Ausguck blickte, dem drei Meter hohen, weißen Holzturm der die Rettungsschwimmer und Schwimmerinnen über das ganze Freibad blicken ließ, grinste ihm ein braungebrannter Junge mit umgekehrter Sonnenbrille auf dem Hinterkopf entgegen. Als er Peters verdatterten Gesichtsausdruck bemerkte, zwinkerte er ihm zu, und verschränkte die Arme hinterm Hinterkopf, bevor er sich Kaugummi kauend am Strand umsah.
Peter schnaubte genervt und trat mit dem Fuß in den Sand.
Brandon und er hatten eine Wette abgeschlossen, wer die meisten Kinder entdecken würde, die hinter die Sicherheitsabsperrung schwammen.
Die Punkte wurden von Kelly dokumentiert und der Gewinner des Tages würde dem anderen zwei Tickets fürs Autokino spendieren müssen. Auch Jeffrey, Aaron und Kelly waren Teil der Wette, nur Lin hatte sich enthalten, die ohnehin nicht viel von Autos und Kino hielt, wie sie meinte. Peter streckte Brandon den Mittelfinger entgegen, dem sofort die Kinnlade runterklappte.
Der Leiter der Bar und gleichzeitiger Besitzer des Freibads hatte ihnen nämlich verboten, vor Kindern zu fluchen oder sich gegenseitig zu bedrohen. Das hätte Ärger geben können für Peter, doch Brandon war Vieles, aber sicherlich keine Petze.
„5 zu 4 Shaw." rief der breitschultrige Junge den Aussichtsturm hinunter, und hielt die Finger hoch, als wolle er andeuten, dass Peter nicht zählen könne.
Peter renkte den Hals, um die angespannten Muskeln zu lösen. Er reagierte auf Brandons Punktestand Analyse nur mit einem beschwichtigenden Nicken, und winkte ab.
Er würde gewinnen.
Denn er wollte diese verdammten Tickets.
Jeffrey und Er wollten den neuen Spaceship Satellite im Kino sehen und durch Justus dauerhafte und noble Ablehnung von Honorar war er momentan knapp bei Kasse.
Nicht einmal der Rettungsschwimmer Gehalt konnte viel helfen, denn davon hatte er sein neues Surfboard finanziert.
In der Ferne sah er den Körper eines größeren Jungen über die Absperrung gleiten. Der Junge trug blaue Badeshorts, hatte karamellbraune Locken und schwamm außerordentlich schnell auf's Meer zu. Bevor Brandon ihn entdecken konnte, blies Peter in die Pfeife.
„Der Junge mit den Locken bitte zurück! Nicht über die Absperrung!"
Peter grinste Brandon an, der eingeschnappt die Sonnenbrille herunterzog, die er nun endlich richtig rum auf den Kopf gesetzt hatte.
Peter lächelte zufrieden. 5:5.
———
„Meisterleistung, Palmer." er klatschte Jeffrey ein, der sich noch immer schwer atmend auf seinen Knien abstützte.
„Du weißt nicht wie schnell ich vor und zurück geschwommen bin, damit der Gorilla mich nicht erkennt."
Jeffreys Rücken bebte, während er versuchte einen vollen Satz zu formulieren ohne an Atemnot zu sterben. Peter lachte und klopfte dem Jungen auf die Schulter. Jeffreys nasse Haare tropften auf den Boden der Bar und Peter legte seinem Freund sein Handtuch um den Kopf und rubbelte so kräftig dass Jeffreys ganzer Körper wackelte.
„Ich bin so stolz auf dich Jeffrey"
Der deutlich kleinere Junge stellte sich nun kerzengrade auf und schüttelte Peter ab, der noch immer versuchte, seine Haare trocken zu rubbeln. Er grinste ihn an und Peter konnte die kleine Zahnlücke zwischen den vorderen Schneidezähnen sehen. Wenn er schätzen müsste, würde er sagen es passte mindestens ein Penny durch.
Jeffrey hasste die Zahnlücke, aber Peter fand sie eigentlich ganz niedlich.
Verlegen ließ er vom Handtuch ab, und Jeffrey rubbelte sich nun selbst die Haare trocken.
Als er den Kopf zur Seite drehte, merkte Peter wie lang und dunkel seine Wimpern durch die Nässe waren.
Kleine Tropfen saßen noch auf ihnen.
„Ich bin stolz auf uns, Peter." korrigierte Jeffrey, und grinste Peter von unten an.
Peter war warm im Gesicht, und das obwohl es in der Bar eigentlich kühl sein sollte.
„Immerhin sind das ja unsere Tickets?"
Die Art wie Jeffrey ihn ansah, mit gerunzelter Stirn und hochgezogener Augenbraue implizierten, dass das keine Feststellung sondern eine Frage war. Peter stemmte die Hände in die Seite und sah zu seinem Freund hinunter.
Jeffrey war nicht außerordentlich kleiner als er, aber so, dass es einen deutlichen Unterschied beim Reden machte. Müsste Peter schätzen, wäre Jeffrey wahrscheinlich grössentechnisch zwischen Bob und Justus. Ein bis zwei Köpfe kleiner, als Peter selbst also.
„Was meinst du?" fragte er, während Jeffrey sich die nassen Haare aus dem Gesicht streifte und die vorderen hinten zusammen band.
Jeffrey wirkte plötzlich verlegen oder als wäre ihm seine vorherige Aussage unangenehm.
Er sah Peter nicht an, nur auf die Bar ein paar Meter entfernt in der Kelly sonst Mojitos und andere Cocktails zubereitete.
Und unalkoholische für die Kinder.
„Jeffrey, was meinst du." fragte Peter erneut, beinahe genervt, und folgte dem Blick seines Freundes.
„Hm?" sagte Jeffrey fragend und zog die Augenbrauen hoch.
„Ich hab doch garnichts gesagt."
Er fuchtelte mit der Hand herum, als wäre Peter eine Fliege, die er verscheuchen wollte.
Bevor Peter nachhaken konnte, trat Kelly durch die Personaltür mit einem Tablett voll von abgewaschenem Geschirr und einem Tuch über der Schulter. Sie hatte ihre braunen langen Haare zu einem Zopf geflochten, der ihr ebenfalls über die Schulter hing. Überall aus ihrem Zopf traten kleine Babyhaare hervor, die darauf hindeuteten, dass sie in der Küche ganz schön am rumwirbeln war.
Kelly hatte zwar meistens Bar und Kioskdienst, verbrachte aber auch viel Zeit draußen auf dem Rettungsschwimmer Aussichtsturm.
Die restliche Zeit kümmerten sich Aaron und Jeffrey um die Bar, doch auch Peter durfte schon Cocktails mixen, wenn auch nur für Bob und Justus.
Und die kamen beinahe nie hier vorbei.
Und wenn dann, trank Justus einen Kaffee und Bob eine Cola. Nur einmal hatte Peter sie davon überzeugt, sein Lieblingsgetränk auszuprobieren. Strawberry Daiquiri. Peter wusste nicht, ob es an seiner schlechten Zubereitung oder der Menge an Alkohol lag, aber Bob hatte beinahe die ganze Zeit das Gesicht verzogen, und sichtlich nur aus Höflichkeit ausgetrunken.
Als Kelly die Beiden sah machte sie ein piepsiges Geräusch, was man sonst nur macht, wenn man sich verschluckte und blickte die zwei mit weit aufgerissenen Augen an.
„Sorry ihr Zwei, ich wusste nicht dass ihr hier seid." sie stellte das Tablett auf dem Tisch ab und stütze sich daneben ab.
„Ich wollte euch nicht stören." sagte sie und lächelte.
„Was für stören?" fragte er Peter und stupste Jeffrey in die Seite.
„Wir reden nur über die Wette."
Kelly begann damit, die Gläser ordentlich in den Schrank einzuräumen, bevor Peter und Jeffrey ihr anboten, die Gläser mit abzutrocknen.
„Welche? Die bei der ihr Jeffrey absichtlich als Kind ausgebt, um zu gewinnen oder die bei der die drei Fragezeichen auf eine waghalsige Nachtwanderung zum Hollywood Sign geschickt wurden." sagte sie stirnrunzelnd und mit einem halben Lächeln grinste sie Jeffrey zu. Jeffrey kratzte sich verlegen am Hinterkopf.
Peter begann nervös zu lachen.
„Niemals würden wir das machen. Guck dir Jeffrey an, der ist viel zu gut gebaut um einen 8 -Jährigen Seepferdchen Schwimmer darzustellen."
Ohne viel nachzudenken, strich Peter Jeffrey über den Bauch. Jeffreys ganzer Körper wirkte plötzlich angespannt, und er sah Peter mit zusammengepressten Lippen und gerunzelter Stirn an. Er zischte etwas durch die Zähne und Peter fühlte sich wie eine Katze die er versuchte, wegzuscheuchen.
Schnell zog Peter seine Hand weg.
Jeffrey hatte noch Sand am Körper gehabt, und Peter drehte die kleinen Sandkörner angespannt zwischen seinen Fingern umher, als er sich wieder an Kelly wandte, die die Beiden kichernd beobachtete.
„Brandon hat sich schon gewundert, warum Jeffrey seinen Aussichtsdienst nicht richtig macht." murmelte Kelly und nahm Peter und Jeffrey einzeln die Gläser ab, um sie hinter sich in die Ablage zu stellen.
Jeffrey und Peter tauschten einen amüsierten Blick aus.
„Aber das erzählst du ihm doch nicht, oder?" schmollte Jeffrey und Kelly verzog beleidigt das Gesicht.
„Warum sollte ich sowas machen. Ich bin kein Spielverderber."
„Willst du etwa nicht mit Brandon ins Kino?" fragte Jeffrey provokant und grinste sie an, bevor er Peter einen Kuss zuwarf, um sie zu ärgern. Peter schmunzelte. 
Kelly kniff die Augen und Lippen zusammen, bis sie nicht mehr als drei schmale Linien in ihrem Gesicht bildeten.
„Woher wisst ihr das mit Brandon." flüsterte sie nun, Oberkörper über den Tresen gebeugt, so dass man die Drei nicht von außen hören konnte.
Peter hatte das wohl nicht verstanden, denn er redete in voller Lautstärke weiter.
„Alle wissen das." sagte er tonlos, und Jeffrey rammte ihm den Ellenbogen in die Seite.
„Stimmt doch" grummelte Peter und Kelly vergrub das Gesicht in den Händen.
„Wie?!"
Jeffrey und Peter fingen an zu lachen. Sie schlugen sich auf den Rücken und Jeffrey wischte sich nicht existente Tränen von den Augen. Jeffrey verschränkte die Arme und hörte so plötzlich auf zu lachen, wie er angefangen hatte.
„Ihr seid immer zur gleichen Zeit verschwunden und geht immer in die alte Hütte."
Peter nickte zustimmend und Kelly riss die Augen weit auf.
„Oh Mann. Wir dachten wir wären subtil." jammerte sie und stützte den Kopf auf die Hände. Peter zog eine Augenbraue hoch.
„Brandon starrt den ganzen Tag nur dich an. Selbst wenn du nicht hinguckst."
Peter wurde schlecht wenn er daran dachte. Er sagte sich, es sei aus Ekel vor Pärchen und nicht aus Eifersucht, doch er spürte wie Jeffrey ihn anguckte. Als wüsste er, was er dachte.
Und das nervte ihn.
Peter war nicht eifersüchtig. Basta.
Kelly grinste plötzlich und drehte den geflochtenen Zopf zwischen den Fingern umher.
„Das kenn ich doch irgendwoher. Das mit dem angucken wenn der andere nicht hinguckt." Kelly sah Jeffrey an, der den Blick abgewandt hatte und auf den Kickertisch guckte, der in der Ecke des Strandhauses stand. Verwirrt folgte Peter Kellys Blick, als ob zwischen den Beiden eine Art Verständnis herrschte, die er nicht teilte.
Das Strandhaus war der Ort wo die Besucher des Strandbades Getränke kaufen oder einfach rumsitzen oder Kicker und Dart spielen konnten.
Das zweite Stockwerk war für Personal reserviert, sowie die Küche.
„Bei wem denn?" fragte Peter neugierig.
Kelly verdrehte die Augen und Jeffrey und sie tauschten einen stummen Blick aus.
Das machte Peter ganz nervös.
„Bei Lin, du idiot. Hast du nicht gemerkt wie sie Jeffrey anguckt?"
Jeffrey zog Luft durch die zusammengebissenen Zähne, als schmerzte ihn die Erinnerung. Egal wie sehr in Peter anstarrte, Jeffrey guckte ihn nicht an.
Peter hatte ein unangenehmes Gefühl in der Brust, als ob jemand doll drauf drückte. Er wusste nicht warum, und es war auch immer noch zu warm in der Bar. Warum war es hier so warm?
„Ja es ist ganz schrecklich. Und sie tut mir leid weil-"
Jeffrey blies Luft aus.
„Weil das nichts werden kann." nuschelte er in sich hinein und Kelly streckte sich über den Tresen, um ihm auf die Schulter zu klopfen. Es wirkte, als wolle sie verhindern, dass Jeffrey irgendetwas hinzufügte, denn Jeffrey zuckte überrascht zusammen.
„Weil du sie nicht magst. Das ist okay, man muss nicht jeden mögen."
Kelly lächelte Jeffrey an, als wüsste sie etwas, was Peter nicht wusste.
„Das wusste ich garnicht, das mit Lin." stammelte er und trat nervös von einem Fuß auf den Anderen. Jeffrey strich sich die Haare aus der Stirn und sah Peter nun endlich schelmisch grinsend an.
„Du weißt vieles nicht, Peter."
Kelly zuckte mit den Schultern und wandte sich zurück dem Glas zu, welches sie grade abtrocknete.
Während zwischen Peter und Jeffrey eine unangenehme Stille aufkam, platzte der schlanke, blasse Aaron durch die Tür. Seine schwarzen Haare waren nass und nach hinten gestrichen worden und er atmete schwer, als wäre er gerannt.
Peter runzelte die Stirn, und tauschte einen verwirrten Blick mit Jeffrey aus, der nur mit den Schultern zuckte.
„Peter." begann der schlaksige Junge und hob einen Finger, als wolle er in der Schule etwas sagen, aber wartete, rangenommen zu werden.
Irgendwann hatte er genug Luft geholt und stellte sich auf. Er war ungefähr so groß wie Peter, doch weniger kräftig.
„Du kennst doch diesen Bob oder? Bob Andrews?"
Bei Bobs Namen wurde Peter nervös. Als ob Alarmglocken in seinem Kopf läuteten.
Warum sollte das wichtig sein? Ob wohl etwas passiert war?
„Ja natürlich. Was ist mit Bob?"
Peter spürte die fragenden Blicke der Drei auf sich. Er fühlte sich wie ein Zirkuspferd.
Aaron zog sein Handy hervor. Er hatte einen Artikel geöffnet, auf dem groß das Gesicht des Chefredakteurs gedruckt war. Darunter waren drei verpixelte Gesichter, von denen Peter nur ein Name bekannt war.
„Bill Andrews" las er leise, und darüber den Grund für Aarons Aufregung.
Ein Foto von Peter, Bob und Justus war darüber, wie sie lächelnd einen Preis annahmen. Es war kein besonderer Preis, nur ein Spittelpreis den sich die Polizei mal ausgedacht hatte, um die drei für ihre Hilfe zu belohnen. Bob hatte einen schwarzen Anzug mit einer roten Fliege an, Justus eine weiße  und Peter eine blaue. Im Nachhinein war es ungemein kitschig, aber für die dreizehnjährigen stellte es das bestmöglichste Marketing dar.
Außerdem war es Justus Idee gewesen.
Kelly war auch dabei, lächelnd stand sie in einem langen, grünen Kleid hinter Peter und hielt seine Hand.
„Robert Andrews- Berühmter Hobby-Detektiv oder doch nur Sohn eines Verbrechers?" las Jeffrey laut vor, der seinen Kopf unter Peters Arm durchgesteckt hatte. Eine Sekunden lang sagte keiner was, bis Kelly sich ebenfalls den Artikel durchgelesen hatte.
Sie schnappte nach Luft.
„Das ist ja ein furchtbar schlechtes Foto von mir. Und du siehst auch echt schlimm aus, Peter."

Die drei Fragezeichen und der falsche Verbrecher Where stories live. Discover now