Kapitel 3: Heimgesucht

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Bob legte eine Hand an die Scheibe, die seinen Vater von ihm trennte. Er hoffte insgeheim, sein Vater würde das Gleiche tun, doch der blickte nur hinunter in seinen Schoß, und knetete den Stoff seines Overalls.
„Robert." begann sein Vater und Bob schluckte. Dieser Name wurde nur benutzt wenn es ernst wurde, oder wenn er etwas verbockt hatte.
Letztes Mal hatte sein Vater den Namen benutzt, als er mit einem Fußball die Wohnzimmer Fensterscheibe durchschossen hatte.
Er hatte für den Elfmeter gegen Peter und Borussia geübt.
Den er erstaunlicherweise auch gewann.
So hatte er sich die Tickets für das Konzert errungen, auf das er dann mit Elizabeth gegangen war.
3 Wochen Hausarrest hatte er dafür bekommen. Und Fensterputzen auf ewig.
Langsam ließ er die Hand vom Fenster ab.
Er schluckte.
„Ihr müsst mir glauben, dass ich es nicht war. Ich wollte das Alles nicht."
Er stotterte und drückte die Hand an die Brust, als hätte er Schmerzen.
Bob wollte einfach nur seine Hand nehmen und sie fest drücken.
„Was Alles?" fragte er und beugte sich leicht nach vorne.
Sein Vater blickte von links nach rechts, als hätte er Angst, jemand würde zuhören.
Er lehnte sich ebenfalls näher an die Scheibe.
„Fluch, Bob. Das ist der Fluch. Der Fluch der Tongva." Er zuckte leicht, während er redete. Bob wurde das Gefühl nicht los, dass sein Vater nicht mehr ganz bei Sinnen war.
„Tongva?" wiederholte Bob stammelnd.
„Die indigenen amerikanischen Einwohner. Die Tongva. Auf ihrem Gebiet wurde gemordet und auf ihrem Gebiet wurde neu erbaut. Und wir sind Schuld Bob, ich bin Schuld."
Sein Vater legte das Gesicht in die Hände und griff sich fest in die Haare. Bob hatte noch nie Angst vor seinem Vater, aber alles was er sagte jagte ihm einen Schauer durch das Mark, wie ein Stromschlag.
Er wusste nicht recht, was er darauf antworten sollte.
„Warum solltest du schuld sein Dad? Du hast damals noch garnicht gelebt."
Bob war sich sicher, dass es um die Massenermordung der indigenen Stämme ging. Darum, dass amerikanische Gründerväter auf ihrem Gebiet neu angesiedelt hatten, und viele von Ihnen, wenn nicht alle, umbrachten.
Sie hatten häufig mit wütenden Einheimischen Geistern zu tun, die angeblich amerikanische Weiße heimsuchten, doch meistens stellte sich dies als Bluff heraus. Immer, eigentlich.
„Nein, aber ich habe einst etwas von Ihnen entwendet. Und jetzt suchen sie mich heim, Bob. Ich bin verflucht und das Unglück folgt mir."
Sein Vater stotterte. Bob war völlig erschüttert. Sein Vater war ein durchdachter Mann. Er war rational, und mutig und intelligent. Und er würde so etwas niemals denken. Er würde nicht an Geister und Flüche und Heimsuchung glauben.
„Was soll ich tun Dad?" Bob knabberte an seiner Lippe herum. In seinem Kopf schwirrten tausend Gedanken umher.
Sein Vater tippte mit dem Finger auf den Tisch, bevor er redete. Kurz, Lang, Kurz.
„Unter den Dielen oben im Büro ist mein Logbuch."
Lang, Kurz, Kurz, Lang.
Eine kurze Pause. Danach, Lang.
„Ohne das, könnt ihr das Rätsel nicht lösen."
Lang, kurz.
Bob nickte. Er wusste, dass sein Vater nicht verrückt geworden war. Sein Vater nickte nur und drückte endlich die Hand gegen die Scheibe.
„Ich glaube an euch Bob. Findet den richtigen Täter. Für beide Fälle."
Bob war verwirrt, doch er nickte.
Beide Fälle?
Bob zuckte zusammen. Es ertönte ein furchtbar lauter Alarm. Bob und sein Vater pressten sich die Hände auf die Ohren, und bevor Bob sich richtig umsehen konnte, wurden er und sein Vater an den Schultern gepackt und in unterschiedliche Richtungen gezogen.
„Dad!" rief er und streckte die Hand aus, doch diese wurde von einem der Wachen zurück hinter seinen Rücken gesteckt.
Bob wehrte sich, doch der Griff der Frauen war zu stark.
Er hatte das Gefühl, wenn das so weitergehen würde, würden die zwei seine Schulter ausrenken.
Bevor er rausgezogen wurde, wurde er komplett durchkontrolliert. Bob hasste solche Kontrollen. Er mochte das Gefühl von ungewollten Händen auf seinem Körper nicht. Bei genauerer Betrachtung... wer mochte das schon?
Er wurde draußen in ein grünes Zelt gezerrt und eine der beiden Wachen stellte sich neben ihm, eine ihrer Hände immer noch fest auf seine Schulter gepresst, um ihn unten zu halten.
„Was ist los?" fragte er aufgeregt. Die Frau seufzte und murmelte etwas in das Mikrofon, was an ihrem Gesicht angebracht war.
„Du kommst schneller hier raus, wenn du keine Fragen stellst." bellte sie ihn an, und verstärkte den Griff auf seiner Schulter noch etwas. Bob zuckte zusammen. Er biss sich fest auf die Zähne.
„Wenn sie mich noch länger auf den Sitz drücken, als wollten sie mich Richtung Erdkern rammen, dann sind Fragen wahrscheinlich das Letzte, was ich hervorbringe." Murmelte Bob durch zusammengebissene Zähne. Sie blickte ihn von der Seite an und lockerte ihren Griff. Ihre schwarzen Haare waren streng nach hinten gekämmt und mit Gel fixiert worden. Eine einzelne Locke hing ihr jedoch ins Gesicht, die sie alle paar Sekunden zur Seite pustete.
Bob nuschelte ein gezwängtes „Dankeschön" und legte die Hände in den Schoß.
Was war wohl mit Peter und Justus? Wurden sie ebenfalls in einem dieser Zelte untergebracht?
Es dauerte nicht lange, bis weitere Gefängnis Besucher hereingebracht wurden. Sie wurden neben Bob auf der Bank platziert und die Wache ließ schließlich irgendwann Bobs Schulter los. Es hatte wohl kein Sinn mehr, nur einen der 20 Menschen auf die Bank zu drücken.
Die Wachen antworteten auf keine ihrer Fragen, flüsterten sich nur gegenseitig etwas zu. Bob wunderte sich, ob ein Pokerface eine der Einstellungskriterien für eine Gefängniswache war. Bis auf den genervten Seufzer der Wache, hatte er von den anderen Männern und Frauen in Uniform nicht mal ein Blinzeln mitbekommen.
Kurz, Lang, Kurz. Lang, Kurz, Kurz, Lang. Lang. Lang, Kurz. Er musste sich erinnern. Und an die Buchstaben die sein Vater am Anfang der Zwischensätze gesagt hatte.
U, O. Vokale gesprochen, Konsonanten gemorst.
Es war völlig klar.
Was sein Vater ihm mitteilen wollte, war einfach.
R-Kurz, Lang, Kurz. U-Unter den Dielen..., Lang, Kurz, Kurz, Lang. Das war ein X. Dann, Lang. Ein T. Ohne das (...), ein O. Und schließlich, ein N: Lang, Kurz. Es war simpel.
R-U-X-T-O-N.
Bob schlug sich gegen die Stirn.
Es war die richtige Fährte gewesen. Es hatte etwas mit der alten Breckenridge zu tun. Mit ihr oder mit ihrem Gefolge.
Er wusste, dass sein Vater nicht verrückt geworden war. An Geister und Spuk glaubte doch nur Peter Shaw.
Niemals ein Andrews.
Bob grinste.
Doch was sollte die Breckenridge mit dem Falschgelddruck in der LA Post zu tun haben? Was war ihr Ziel? Außer Bill Andrews ins schlechte Licht zu rücken?
Ging es nur um Rache?
Das Logbuch. Bob durfte das Logbuch nicht vergessen. Er war sich sicher, hinter der Sache steckte mehr. Und sein Vater hätte nicht über Morsecode mit ihm kommuniziert, wäre es nicht äußerst vertraulich.
Er musste nach Hause, und danach suchen. Er musste Justus und Peter davon erzählen.
——
Eine ganze Weile verstrich, bis Bob und die anderen Geiseln aus dem Zelt entlassen wurden. Die Bezeichnung Geiseln mag wohl übertrieben wirken, aber bei dem Schmerz, den er in seiner Schulter spürte, sicherlich angebracht.
Die Sonne brannte so sehr in Bobs Augen, dass er sich wie ein Bär nach dem Winterschlaf fühlte.
Justus und Peter kamen angestürmt und Peter zwang Bob sofort in eine Umarmung.
Lasch hing dieser über Peters Armen, der ihn aus Versehen einige Zentimeter hochgehoben hatte.
„Da bist du ja! Justus hatte solche Angst um dich."
Justus räusperte sich.
„Das hatte ich nicht. Du hingegen-"
„Das ist doch irrelevant." Peter winkte Justus ab und griff Bob bei den Schultern.
Der verzog das Gesicht vor Schmerzen.
„Nicht doch die Schulter-" jammerte Bob und schüttelte Peter ab.
„Sorry, Dritter. Haben sie dich zu hart angepackt?"
Bob kratzte sich den Hinterkopf und streckte vorsichtig alle seine Gliedmaßen.
„Sicherlich. Ich werd bestimmt blaue Flecken haben."
„So eine Frechheit" murmelte Justus und rieb sich aufgeregt das Kinn.
Die Bartstoppeln in Justus Gesicht machten ein kratziges, unangenehmes Geräusch wenn er das tat. Es machte Bob ganz kirre.
Er wunderte sich manchmal, warum Justus ein so mental geordneter Mensch war, und es dann nicht mal schaffte sein Geschirr abzuwaschen oder seine Bartstoppeln abzurasieren.
„ Als würden wir bei so einem Ausbruch helfen?! Erst werden wir als Hobby-Detektive abgestempelt und dann sowas. Für Komplizen eines Kriminellen gehalten. Das ich nicht lache."
Justus regte sich eine ganze Weile darüber auf. Bis die Drei schon wieder im Auto saßen, und bis sie auf der Autobahn Richtung zuhause waren. Irgendwann wurde es Bob zu viel und er drehte das Radio an. Justus war zu wütend gewesen um Auto zu fahren.
Doch er war sich sicher, es handelte sich um einen Gefängnisausbruch.
Und passend zu Justus kleinem Gefühlsausbruch, wurde über den Fall auch im Radio berichtet.
Und bei dem Ausbrecher handelte es sich um keinen geringeren als-
„Clint Brooks. 34 Jahre alt, ca. 1,89 cm groß, sonnenbraune Haut und einen Schnurrbart über der Oberlippe.
Der Halb-Italiener wurde für den Undercover Falschgelddruck in dem bekannten Zeitungsverlag „Los Angeles Post" verhaftet, der wohl ohne das Wissen des Chefredakteurs unterhalb des Gebäudes betrieben wurde. Wir schalten live zum Leiter des Rocky Beach County-Gefängnisses, um ihn über die heutigen Ereignisse auszufragen-"
Mit einem klicken drehte Bob den Regler runter und warf Peter einen kurzen Blick zu. Er hatte die Stirn gerunzelt und Peters Augen wanderten so gleich zu Justus auf den Rücksitz. Dem stand der Mund weit offen.
„So ein Zufall..." murmelte er und fuhr sich durchs zerzauste Haar.
„Nein. Zufälle gibt es nicht. Verzeiht mir." korrigierte er sich, und Peter und Bob tauschten nur einen verwirrten Blick aus.
Nur sich selbst musste Justus in solchen Fällen verzeihen. Für Peter und Bob waren seine philosophischen Auseinandersetzungen recht banal.
Peter kniff die Augen zusammen, als der Wind der durchs Fenster kam seine Haare umher wehen ließ.
„Bob" sagte Justus nun, eine Hand über der Fahrerlehne baumelnd.
„Was hat das Gespräch mit deinem Vater ergeben."
Bob blickte auf die Straße vor sich. Es war windig und die Sonne hatte sich hinter den Wolken verzogen. Es würde bald wieder regnen.
„Ich erzähl alles Wichtige, wenn wir wieder in der Zentrale sind." er grinste und drehte sich kurz zu Justus um, der angespannt Blickkontakt suchte.
Durch das ganze Faul-auf-der-Rückbank-Sitzen hat Justus wohl vergessen, dass man beim Fahren auf die Straße gucken soll.
„Warum nicht jetzt?" ungeduldig wippte Justus mit seinem Bein auf und ab, bis Peter ihm gewaltvoll das Bein hinunterdrückte und durch die zusammengebissenen Zähne etwas zischte. Peter hasste ruckartige Körperbewegungen, wenn es jemand anders tat. Nur wenn er es tat, war es anscheinend okay. Denn er selbst tippte nervös mit der anderen Hand auf dem Armaturenbrett herum.
„Weil wir hier keine Ruhe haben." sagte Bob bedacht.
Die letzte Nacht hatten sie im Wohnwagen geschlafen, da Justus meinte, es wäre zu spät um jetzt noch nach Hause zu fahren, und er Bob einige Fragen zu seinem Vater hatte stellen wollen.
Sie hatten darüber geredet, wie es ihm ging. Nicht nur wegen seinem Vater, auch generell.
Und Peter hatte über Kelly geredet.
Vor ein paar Monaten hatten die beiden sich getrennt und Peter beharrte darauf, dass es diesmal final war. Nichts mit „neuer Versuch" und „Zweite Chance". Es war aus. Kelly hatte endlich genug damit, immer versetzt zu werden, meinte Peter. Und er verstand sie. Sie würden weiterhin beste Freunde sein, dass hatten sie sich geschworen. Daraufhin hatte Justus ihm einen vorwurfsvollen Blick gewidmet und Peter hatte ihm mit einem Klaps auf den Rücken versichert, das keiner jemals ihren Platz einnehmen könne.
Nicht einmal Jeffrey? Hatte sich Bob gefragt.
Doch er hatte es nicht ausgesprochen.
Die Antwort hätte ihm nicht gefallen.
Justus hatte sich über sein Gewicht aufgeregt. Ob er sich je einmal richtig wohl fühlen würde, und Peter und Bob hatten ihm versichert, dass er sich die Hänseleien nicht zu Herzen nehmen sollte.
Nichts ging über nächtliche Gespräche im Wohnwagen. Wenn sie sich alle trauten, sich einander zu öffnen und es nicht nur um Fälle und Monster ging.
Bob hatte damals im Gespräch mit der Franklin nicht gelogen. Er erzählte seinen Freunden beinahe alles.
Doch von Brenda hatte er Ihnen immer noch nicht erzählt. Warum genau er mit der Clarissa geredet hatte, und was wirklich hinter der Schwärmerei steckte.
Dieses Geheimnis würde mit ihm begraben werden.
Als sie schließlich auf den Parkplatz des Gebrauchtwarencenters fuhren, überkam Bob ein ungutes Gefühl. Er wusste nicht ob es am dichten Nebel lag, der über dem Boden hing, oder dem gedämpften Licht, was aus der Küche des Hauses Jonas kam.
Es war eine gruselige Stimmung, die über dem Schrottplatz hing.
Kurz bevor Justus die Tür zum Kalten Tor öffnete und Peter und Bob mit einem Blick über die Schulter symbolisierte, leise und schnell zu sein, klingelte Bobs Handy.
Es war so plötzlich dass er vor Schreck zusammenzuckte. Justus Augen weiteten sich als er reflexartig die Tür zum Kühlschrank zuschlug.
Es war seine Mutter. Er wischte nach rechts und hielt das Handy ans Ohr.
„Mom?"
eine Sekunde lang antwortete keiner.
Man hörte nur ein Rauschen und Peter und Justus warfen Bob verwirrte Blicke zu.
Bob schüttelte nur den Kopf.
„Mom, ist alles okay?"
Peter hatte die Arme verschränkt und schob sich näher an Bob heran um mitzuhören.
Schweres Atmen war am anderen Ende der Leitung zu hören und Bobs Herz schlug plötzlich furchtbar schnell und unkontrolliert.
Peter legte ihm den Arm um die Schulter und drückte seinen Kopf näher an den Lautsprecher des Handys.
„Robert." sagte die Stimme kleinlaut und schweratmend. Bob wäre zusammengezuckt, hätte Peter ihn nicht festgehalten.
„Ihr müsst kommen." zischte seine Mutter in das Telefon. Peter warf Bob einen ängstlichen Blick zu, und auch Justus Stirn war tief in Falten gelegt.
„Warum?" fragte Bob und schluckte.
Seine Mutter antwortete eine Weile nicht. Er hatte schon Angst, etwas schlimmes wäre passiert, doch dann nahm er das leise Flüstern seiner Mutter war. Beinahe kaum zu hören war es, so doll hatte er das Ohr an den Höhrer pressen müssen.
„Jemand ist im Haus."

Die drei Fragezeichen und der falsche Verbrecher Where stories live. Discover now