10. Im Garten des Feindes

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»Meine Großmutter hat mir beigebracht, wie ich eine Hexe zu umwerben habe«, erwiderte Raban. Sein Herz schlug ihm kräftig gegen die Brust. »Wobei ihre Methoden vermutlich nur noch für Frauen jenseits der sechzig Jahre Gültigkeit haben.«

»Meine Großtante ist ledig.«

»Vielleicht magst du mir die Gute vorstellen?«, ging er auf ihren Scherz ein.

Gwynedd schüttelte den Kopf. »Ich dachte, wir können erst einmal tanzen. Meine Brüder und Cousins haben sich alle gleich aus dem Staub gemacht, um das Coileluib zu plündern.« Sie drehte sich um die eigene Achse, dann legte sie ihre Hände auf seiner Schulter ab und wiegte sich im Takt der Musik. Die Kette um ihren Hals funkelte im Lichtschein.

»Du trägst dein Amulett«, staunte Raban. Der silberne Anhänger fügte sich ins Gesamtbild ein, als wäre er eigens für das Festgewand erschaffen worden. Seit das Disablót begonnen hatte, waren jegliche Gedanken an das Erbstück in den Hintergrund gerückt. Der Tanz. Die Magie. Es hatte ihn zu sehr fasziniert, um sich den Kopf über seine Vision zu zerbrechen.

»Meine Mutter wollte es«, erwiderte Gwynedd. Ein verlegener Ausdruck trat in ihr Gesicht. Sie ließ sich ein Stück nach hinten fallen, er drehte sie im Halbkreis.

»Ich muss dir etwas erzählen«, sagte er. Ihre rechte Hand fand den Weg zurück auf seine Schulter. »Seit ich dein Amulett damals in der Bibliothek berührt habe, sehe ich Erinnerungen. Ich konnte es nie zuordnen, bis auf die Tatsache, dass es nicht meine eigenen waren.«

Eine Mischung aus Neugier und Unruhe spiegelte sich in Gwynedds Miene. Ihre Augen schimmerten im Schein der Flammen.

»Vorhin, nachdem du gegangen bist, wurde mir bewusst, dass ich sehen kann, wie das Amulett erschaffen wurde.«

Ihre Augenbrauen zuckten. Sie hörte auf, sich im Takt der Musik zu wiegen. Als sie inmitten der anderen Hexen stehen blieben, erkannte er zwischen den Köpfen hinweg, dass ihre Eltern am Waldrand standen, mit zwei dampfenden Tassen in ihren Händen, und zu ihnen hinübersahen, während sie sich angeregt unterhielten.

»Was genau hast du gesehen?«, fragte Gwynedd.

»Ein Studierzimmer. Ich erinnere mich stets an die selbe Frau. Sie hat die gleichen roten Haare wie du, auch wenn eure Gesichtszüge nur wenig Ähnlichkeiten haben. Es ist mehr eure... Aura, die sich–« Ein unerklärliches Gefühl der Wut wallte in ihm hoch. Seine Atmung beschleunigte sich, wurde flacher.

Es könnte gefährlich sein, ihr deine Visionen zu erzählen.

Raban versuchte, sein Unwohlsein abzuschütteln. »Sie hat über die Runen gestrichen und etwas gesagt wie, dass die Zeit ein Fluss sei, der durch unsere Hände fließt. Aber nur diejenigen, die mächtig und furchtlos sind, können den Strom lenken.«

»Was soll das bedeuten?«

Das Amulett ruhte friedlich auf ihrem Dekolletee. Die feinen Ornamente verbargen die Macht, die in seinem Inneren pulsierte. Er hatte nicht bemerkt, dass er seine Hand ausgestreckt hatte und mit den Fingern über das kühle Metall fuhr. Ein Klicken ertönte. Die geschwungenen Blätter entwanden sich und gaben die Sicht auf das nachtblaue Ziffernblatt frei, in dem die Runen eingeritzt waren.

»Wie hast du?«, stieß Gwynedd ungläubig aus. Ihre Augen waren vor Erstaunen geweitet. »Öffnest du es mit deiner Magie?«

Er schüttelte den Kopf. Der Schrei einer Eule erklang. Abermals strich er über das Amulett, als ein heftiger Schmerz seinen Körper erfasste. Das Stechen durchfuhr seine Brust, von wo es in seine Gliedmaßen ausstrahlte, als würde ihm das Leben aus der Seele gebrannt. Die Farben verschwammen zu einem undeutlichen Strudel vor seinen Augen. Es war nicht mit dem Gruftspringen vergleichbar. Wieder schrie eine Eule, doch hörte es sich fremd an wie ein Lied, das rückwärts spielte. Sein Kopf dröhnte. Eine Hand legte sich auf seinen Arm. Vor ihm stand Gwynedd, in deren Augen Furcht funkelte.

Loyalitäten ✓Where stories live. Discover now