„ Des braucht's ned. Ich bin die letzten Monate ohne dich schließlich auch ned verhungert. Komm, auf geht's. Pack ma's. Er klopfte Simon kräftig und auffordernd auf die Schulter, würdigte mich keines weiteren Blickes und stieg in den Wagen.

„Schönen Tag noch Anni. Vielleicht sehen wir uns ja später noch, wenn ich den Jakob zurückbringe." Simon nickte mir zu und ich lächelte etwas verkrampft. „Ja vielleicht. Von mir aus darfst du ihn auch gerne behalten, den alten Stinkstiefel.", zischte ich. Simon schmunzelte verhalten und schüttelte den Kopf. „Der Dickschädel liegt bei euch echt in der Familie.", sagte er halb laut vor sich hin, bevor er ebenfalls einstieg. Sie fuhren weg und ich verzog mich in die Küche. Mechanisch verrichtete ich meine Arbeiten. Es war wirklich zu früh am Tag für sowas. Ich hatte Simon ewig nicht mehr gesehen und ich ärgerte mich, dass er mich immer noch so aus dem Konzept bringen konnte. Das musste doch irgendwann mal aufhören. Als ich fertig war, brachte ich das Frühstück für Herrn Gruber nach oben. Mimi, eine unserer Angestellten, machte das Zimmer nebenan gerade fertig. Ein weiterer Mitarbeiter der Molkerei sollte es heute beziehen. Ich ratschte eine Weile mit ihr. Drei statt zwei Gäste, auch das war keine großartige Verbesserung. Im Hotel war es so ungewohnt still und leer, dass es einen fast gruseln konnte. Das Frühstück für das Sterndlgucker-Apartment stellte ich in die Kühlung. Der Herr war wohl Langschläfer, dachte ich unbegründet missmutig. Aber meine Mutter machte so ein Gewese um diesen Michi, dass ich nur noch die Augen verdrehen konnte. Sie hatte mir genaueste Anweisungen für sein Frühstück gegeben und auf mich eingeredet, dass ich ihn doch auf eine meiner Wanderungen mal mitnehmen sollte. Aus Erfahrung wusste ich, dass sie keine Ruhe geben würde, bis ich mich kooperativ zeigte. Also hatte ich irgendwas genuschelt, wie Kann ich schon machen, soll er sich halt mal melden, wenn er möchte und Zeit hat. Ich ging davon aus, dass das nicht passieren würde. Das war sicher allein auf dem Mist meiner Mutter gewachsen, die wieder Mal meinte die Samariterin spielen zu müssen. Der einsame Mann auf seinem Zimmer, hatte das vielleicht bewusst so gewählt. Manchmal wollte man einfach nur Abstand und Ruhe, aber das überstieg wohl ihre natürliche Vorstellungskraft.

Als ich fertig war ging ich in die Wohnung und kümmerte mich um meine Wäsche. Mir ging eine Menge durch den Kopf. Es gab Momente da kroch einfach alles in einem hoch, Dinge an die man absolut nicht denken wollte. Erinnerungen die schmerzten, Geschehnisse die man längst abgehakt zu haben glaubte. Manchmal ließ sich sowas partout nicht abschütteln oder wegdrücken. Ich stopfte das letzte Teil in die Waschmaschine und stellte sie an. Meine Wäsche bestand aktuell praktisch nur aus Sportsachen. Am liebsten wär ich auch jetzt sofort wieder losgezogen, aber ich war gleich mit meinen Eltern zum Frühstück verabredet und wenn es Mama nicht besser gehen sollte, musste ich auch noch ihren Lieblingsgast versorgen. Vielleicht sollte ich ihn doch gleich heute mitnehmen. Dann hätte ich danach wieder meine Ruhe und es war eh ein sehr ungünstiger Tag um mit mir allein zu sein. Ich wusste jetzt schon nicht, wie ich diese ganzen Flashbacks und zermürbenden Gedanken unter Kontrolle kriegen sollte. Ich beschloss noch schnell eine Nachricht an Mike zu tippen. Auch wenn er bestimmt noch nicht wach war, würde mich das zumindest kurzzeitig auf andere Gedanken bringen.

Hey Mike,

bist du schon wach? Ich nehme mal an, noch lange nicht. Ich dachte ich melde mich mal kurz, weil ich so viel unterwegs war in den letzten Tagen, dass ich kaum dazu gekommen bin. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich die Berge und die Sonne genieße. Das tut unfassbar gut. Mission Sommersprossen einsammeln läuft übrigens auch sehr erfolgreich. In London wär ich jetzt sowas von angesagt. Die malen sich tatsächlich welche ins Gesicht oder lassen sie sich sogar tätowieren, weil plötzlich jeder welche haben will. Wenn ich das meinem 14jährigen Ich nur vermitteln könnte, die sie als schlimmen Makel gesehen hat. Damals hab ich mich fast zwanghaft, dauernd mit Sunblocker eingekleistert und die Sonne gemieden um zu verhindern, dass ich welche krieg. Manchmal hab ich echt das Gefühl die Welt wird immer verrückter. Warum lernen wir nicht endlich, das zu schätzen was wir haben und zu akzeptieren was wir eben nicht haben? Ob nun Sommersprossen oder nicht, wo ist der Unterschied? Vielleicht merkt man aber an sowas auch, dass man alt wird, wenn einem die Trends immer absurder vorkommen? Was meinst du?

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