Kapitel 133 - Morpheus ewiger Schlaf (Einführung)

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Die Frau und der Mann, welche beieinandersitzen scheiden schon einmal aus. Die beiden würden einem dritten Mitglied ihrer Runde misstrauen und vielleicht gar nicht erst aufnehmen. Wenn sie beginnen wegen der Müdigkeit durchzudrehen oder das Spiel schneller beenden wollen, wären sie in der Überzahl und das könnte tödlich für mich enden.

Der Mann in der hinteren Ecke der kleinen Zuschauertribüne ist elegant angezogen und behält die Arme verschränkt vor der Brust, doch sein kalter Ausdruck und der unscheinbare Geruch von Fleckenentferner halten mich davon aus Sicherheitsgründen ab mich zu ihm zu gesellen.

Die mittelalte Frau in dem kurzen Bleistiftrock erwidert meinen Blick mit finsterer Miene. Sie scheint die Idee eines Herzspieles zu begreifen, doch ein Verbündeter bringt in diesem Moment mehr Vorteile als Nachteile. Genervt von ihrer Beobachtung meiner Person schenke ich ihr provokativ nur ein freundliches Lächeln und sehe zu der letzten übrig gebliebenen Person am Beckenrand.

Der junge Mann dürfte in meinem Alter sein und grinsend stelle ich fest, dass mich seine leicht gekrümmte Sitzhaltung und die Statur an Arisu erinnert. Sein Gesicht ist auf das Wasser gerichtet und zunächst möchte er seine Beine in das Wasser hängen, zieht sie aber sofort wieder an. Ich schätze das Schwimmbecken dient ebenfalls als Hilfsmittel und so wie er reagiert hat, schätze ich die Wassertemperatur ist nicht gerade angenehm. Nachdem er seine Ellenbogen auf den angezogenen Knien abstützt, sieht er sich in der Halle um, ob jemand sein Verhalten bemerkt hat. Rechtzeitig senke ich meinen Blick und laufe am Beckenrand entlang. Er könnte natürlich seine Art nur vorspielen und in Wirklichkeit kein Neuling, sondern ein Herzspezialist sein. Aber wenn das der Fall sein sollte, würde er vorerst mit mir spielen und keine Gewalt anwenden, das bedeutet ich könnte mir einen Spaß daraus machen es herauszufinden.

Mit leichten Abstand setze ich mich im Schneidersitz neben ihn und überrascht sieht er mich mit großen Augen an. Ich sehe geradeaus zum Wasser, um nicht zu aufdringlich zu sein. Seine Kleidung ist sportlich gehalten: eine knielange Trainingshose und ein lockeres Shirt, in welchem er fast versinkt. Seine Schuhe sind schmutzig, entweder von seinem Aufenthaltsort oder einem vorherigen Spiel. Um seinem Hals habe ich in der kurzen Musterung eine silberne Hundemarken-Kette erkannt, doch der übertriebene Schimmer verrät sie ist nicht vom Militär, sondern Modeschmuck.

„Hallo", höre ich seine Begrüßung und stelle amüsiert fest, dass sie einen leicht fragenden Unterton innehat. Doch seine Stimme klingt leicht zitternd, er ist nervös und versucht es zu verbergen.

„Hallo", sehe ich zu ihm und setze einen freundlichen Gesichtsausdruck auf, „Ich hoffe es stört dich nicht, wenn ich mich neben dich setze."

„N-Nein ich denke nicht. Aber wieso?"

Er ist sichtlich verwirrt und seine Ausdrucksweise wirkt schüchtern und zurückhaltend. Ein perfekter Verbündeter für meine Vorstellungen seines Nutzens während dieses Morpheus-Spieles.

„Ganz einfach. Wir werden ziemlich lange in diesem Gebäude festsitzen, ich schätze zwischen vierundzwanzig und zweiundsiebzig Stunden. Diese Hilfsmittel scheinen schön und gut, aber ein Gesprächspartner verhindert Langeweile und beugt Müdigkeit vor", entgegne ich ehrlich um ihm auch seinen Nutzen aus dieser Partnerschaft näher zu bringen. „Aber wenn du nicht möchtest, dann sage es ruhig."

„Nein, das ist eine gute Idee. Die anderen sehen nicht gerade nach guten Gesprächspartnern aus", lacht er leicht udn bemüht sich dennoch wachsam zurückzuhalten.

„Du scheinst es zu kapieren."

Ein angenehmer und überaus verführerischer Duft schleicht sich in meine Nase und zusammen drehen wir uns nach hinten. Eine enge Fliesentreppe führt zu einem kleinen Restaurantbereich, nicht größer als eine Imbissbude und vielleicht vier Klapptischen. Genießerisch schließe ich meine Augen und stelle fest, dass ich zum ersten Mal im Borderland echtes Fleisch zu riechen meine. Ich nehme eine Bewegung neben mir wahr und als ich das klimpern seiner Hundemarken höre, greife ich blitzschnell nach seinem Arm und verhindere, dass er aufstehen kann und die Aufmerksamkeit bei meinen Worten auf uns zieht. Taktisch gesehen muss ich diesen Vorteil gegenüber ihm Einbußen, aber er scheint der einzige geeignete Verbündete zu sein, weshalb ich meine Gedanken mit ihm teile.

„Du solltest noch nichts essen", sage ich und spreche bei seinem fragenden Gesichtsausdruck leise weiter, „Mit vollem Bauch werden die meisten müde. Außerdem, nach vierundzwanzig Stunden Schlafentzug bekommt man automatisch Heißhunger-Attacken, ich würde davor nur eine kleine Mahlzeit einnehmen."

Meinen ganzen Gedankengang teile ich ihm jedoch nicht mit, denn schließlich ist es auch ein Herzspiel. Jedes dieser Hilfsmittel hilft uns kurzfristig wach zubleiben und den Adrenalin-Spiegel zu heben, aber in der falschen Menge oder zum falschen Zeitpunkt können diese Hilfsmittel auch Nachteile bringen und unseren Tod bedeuten. Ich frage mich, ob einer der anderen Teilnehmer ebenfalls darauf gekommen ist.     

Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt