Alice in Borderland

Kapitel 103 - Chishiyas Hartnäckigkeit

Nach diesem einen Blick in den Rückspiegel wende ich meine Aufmerksamkeit aus dem Fenster neben mir und beobachte die vorbeiziehenden Häuser. Währenddessen kann ich spüren, wie seine Augen immer noch auf mir liegen und er versucht aus diesem kleinen Bild alle nötigen Informationen herauszubekommen. Ich ignoriere es einfach und beiße hin und wieder in meinen roten Apfel, dennoch muss ich mich dazu zwingen nicht an ihn zu denken. Wir spielen gleich, ich darf mich um meiner selbst Willen nicht ablenken lassen. 

Und doch schwirren mir drei Fragen durch den Kopf. Hat er überhaupt in den letzten drei Tagen einmal an mich gedacht? Hat er schon mein Veilchen entdeckt? Und sieht er mich so an weil er sich Sorgen gemacht hat oder voller Wut, weil ich Tayuya mit einem Blick zurückgelassen habe als hätte sie ein Geist gesehen?

Glücklicherweise schaltet mein Gehirn größtenteils auf Spielmodus als das Auto ein wenig entfernt zum nächsten Spielort geparkt wird. Wir vier Insassen steigen alle aus und stellen uns an einer Autoseite beieinander, wobei ich absichtlich einen Schritt mehr Abstand zu Chishiya halte.

"In welcher Reihenfolge gehen wir vor?", fragt einer der beiden Männer und sieht dabei direkt zu Chishiya. Meine Alarmglocken springen an und kaue nervös auf den letzten Resten meines Apfels herum. Er wird die beiden Männer vorschicken, damit gewinnt er zwei vielleicht drei Minuten Zeit mit mir alleine bevor das Spiel losgeht. Entweder will er sie dazu nutzen mich anzufahren oder auszuquetschen.

"Ich gehe zuerst", kommt es aus mit herausgesprudelt und ohne eine Antwort abzuwarten mache ich schon einen Schritt nach vorne, doch entgegen meiner Annahme er würde nichts vor den anderen unternehmen stellt er sich mir in den Weg.

"Nein, er geht zuerst", sagt er bestimmt und nickt mit seinem typischen Blick dem Kerl hinter mir zu, welcher bis jetzt noch kein Wort gesagt hat. Zum ersten Mal sehe ich Chishiya in die Augen und bin froh, dass meine Tränendrüse schon seit ungefähr zwanzig Stunden nicht mehr funktioniert. Er sieht mich kalt und emotionslos an, aber ich erkenne ein unbemerkbares Zucken an seiner Kieferpartie. 

"Wirklich er?", frage ich gespielt belustigt und rede dann leiser, damit die anderen meine Missgunst gegenüber seiner Entscheidung nicht lautstark mitbekommen, "Die beiden sind für Muskeln und Waffen dabei, sollte nicht jemand logisch denkendes als erstes vorgehen um sich einen ersten Eindruck zu machen? Wenn ich nicht gehen soll, dann lass ich dir den Vortritt"

Ich höre ich leise schnauben, aber er nickt leicht da er versteht ich habe seinen Plan durchschaut. Er hält meinem herausfordernden Blick Stand und sieht immer wieder zwischen meinen Augen hin und her.

"Niemand aus der Führungsrege geht zu einem Spielort, bevor nicht einer aus dem Militärtrupp dort ist und absichert", rezitiert er wahrscheinlich den Hutmacher oder Aguni. Der Mann mit der Waffe nickt nur, als ob er Bescheid wüsste. 

"Dann ist die Sache ja geklärt", sage ich verständnisvoll nickend und drehe mich mit dem Rücken zu ihnen, "Bis gleich"

Indirekt widerspreche ich das eben gesagte nicht. Es hieß einer vom Militärtrupp muss vor ihm am Spielort sein, nicht dass er auch der allererste sein muss. Drittes Fachsemester Rechtswissenschaften, offensichtlich ist es doch etwas nützlich hier im Borderland. Wenn es auch nur dazu dient Chishiya von mir Fern zu halten. 

Ich erstarre kurz vor der Laserschranke, doch gebe ich mir innerlich einen Tritt und laufe hindurch. Ich bin einer der ersten Spieler, außer mir sind nur zwei andere Spieler hier und der Anblick erschreckt mich. Ein Junge nicht älter als zwölf Jahre sieht mich mit großen Augen an, bevor der ältere Mann bei ihm den Jungen schützend hinter sich zieht. Jemand dermaßen junges habe ich hier noch nie gesehen, es ist barbarisch ihn an diesem Spiel teilnehmen zu lassen. Bei dem Mann muss es sich um seinen Vater handeln wie er sich aufbaut um zu signalisieren, dass man dem Jungen kein Haar krümmen kann. Das ist schrecklich. Er krallt sich mit einer Hand in das Shirt seines Vordermannes und lugt hinter ihm hervor um mich anzusehen.