35 - Aufwärmübungen

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Die Rätsel lösen sich schnell selbst, denn aus dem Haus kommt Herr Kang, um uns zu fragen, ob wir nach einem bestimmten Autoteil suchen. Er hält uns wohl für Kunden. Hinter dem Bus innerhalb des Reifenringes kommt Jimin mit dem Hund zum Vorschein. Er bleibt dort abwartend stehen. Der Korean Jindo Dog steht an seiner Seite und wirkt sehr wachsam. Aber er bellt nicht. 
Wir begrüßen Herrn Kang. Er erkennt uns sofort, als er vor uns steht.

Taehyung bedankt sich nochmal ganz ausdrücklich für die Rettung in jener Nacht. Dann fragt er einfach, ob seine Anwesenheit heute okay ist.
"Ich würde mich gerne mit Jimin anfreunden. Er hat offensichtlich große Probleme. Also muss ich mir sein Vertrauen erarbeiten. Dafür würde ich gerne heute länger hier bleiben und zeichnen. Schrott, seltsame Details, die Blumen am Zaun. Sowas. Wäre das für Sie in Ordnung?"
"Natürlich ist das in Ordnung. Ich weiß ja fast nichts über ihn. Er hat seitdem kein einziges Wort mit mir gewechselt, lebt genau wie vor dem Brand still neben mir her und kümmert sich um meinen Garten.
Ich mache mir auch Gedanken um ihn. Er ist schon seit über drei Jahren hier. Er kam leise, ist in den Bus gezogen. Er kommt und geht zur Arbeit ganz still und unauffällig. Wenn Schrott geliefert wird oder Besucher nach Autoteilen suchen, löst er sich in Luft auf. Nur mit meinem Hyebit [glänzendes Licht] taut er auf. Die beiden schmusen, toben, spielen zusammen. Das scheint dem Jungen wirklich gut zu tun. Hyebit bewacht Jimin genauso wie mich und den Schrottplatz."

Ich schalte mich ins Gespräch ein.
"Hat Jimin Ihnen nichts von den letzten Tagen erzählt?"
"Nein, nichts. Ist etwas passiert?"
"Leider ja. Jimin ist in Gefahr, weil eine Jugendlichen-Gang aus dem Ghetto sich auf ihn eingeschossen hat. Er hat den Typen und ihren scharfen Hunden absolut nichts entgegenzusetzen. Eigentlich ... müsste er ganz hier weg. Auch wenn offensichtlich ist, dass das hier sein Ort der Ruhe und Sicherheit ist."
"Das klingt aber gar nicht gut."
Herr Kang denkt eine Weile nach.
"Zunächst mal sollten wir dieses Gespräch beenden, es macht ihm Angst. Dann werde ich mir ab und zu ihre Zeichnungen ansehen, Herr Kim, dabei können wir weiter reden. Das könnte auch Jimin anlocken, denn er macht hier aus dem Schrott richtige kleine Kunstwerke. Und ich sollte wohl auch an meinem Kontakt zu ihm arbeiten."

Plötzlich redet er viel lauter.
"Sie möchten zeichnen üben. Sehr gern, Herr Kim. Hier finden Sie bestimmt viele Motive. Dann wünsche ich Ihnen einen schönen Sonntag, Frau Cho."
Er dreht sich um und geht zurück ins Haus. Ich wende mich zu meinem Auto und entdecke dabei Jimin, der sich uns genähert hat.
"Hallo Jimin. Haben Sie den Schreck von heute Nacht gut verdaut? Wir helfen Ihnen immer gerne."
Der junge Mann zuckt erst zusammen, bleibt dann wie eingefroren stehen. Eine Antwort kann ich also nicht erwarten. Ich lächele ihn an und gehe.

"Tschüß, Taehyung. Viel Spaß beim Üben."
Leise füge ich hinzu: "Und viel Erfolg!"
Auf dem Weg zum Tor höre ich noch, dass die beiden sich begrüßen.
"Hallo, Jimin. Ich hab heute morgen gedacht, dass ich hier bestimmt viele tolle Motive finde. Lass dich bitte nicht von mir stören."
"Warum bist du hier? Zum Zeichnen oder ... wegen mir? Malen kannst du doch überall."
Tae stürzt sich kopfüber ins kalte Wasser.
"Aber so was Irres wie dieses Sammelsurium am Zaun - das gibts bestimmt kein zweites Mal. Hast du dir das alles ausgedacht?"
"Ja."

Beim Einsteigen sehe ich, wie Jimin unschlüssig von einem Bein aufs andere wippt, während Tae schnurstracks zum Zaun geht, sich ins Gras setzt und seinen Block rausholt. Länger kann ich es jedoch nicht hinauszögern und fahre seufzend den Berg runter.
Hoffentlich kann sich Jimin bald auf Tae einlassen. Ihm muss doch bewusst sein, wie gefährlich die Situation jetzt für ihn ist, so lange er so isoliert lebt! Auf der anderen Seite sind seine Ängste so groß, dass ich ihn mir beim besten Willen nicht in einer WG wie unserer Pförtnerei vorstellen kann. Zu eng. Zu voll. Zu wenig Möglichkeiten, sich zurückzuziehen und sich sicher zu fühlen.
Während der ganzen Fahrt drehe und wende ich im Kopf, was wir noch für Jimin tun könnten - und warum das alles doch nicht gehen wird. Es ist zum Auswachsen.

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