Der Doktor

Kapitel 10: Schwindelgefühle

,,Mädels, ich habe es getan. In ein paar Wochen wird sich herausstellen, ob ich schwanger bin", verkündet Selma glücklich und ein Lächeln huscht über meine Lippen. Ich freue mich für Selma, dass sie ihrem Wunsch, ein Kind zu bekommen nun einen Schritt näher gekommen ist und hoffte das Beste für sie.

,,Wie geht es dir eigentich mit Oskar?", wechselt Selma nun das Thema und ich muss zugeben, dass ich gerade nicht mit einer solchen Frage gerechnet habe. Eigentlich hätte ich heute lieber nur zugehört, wie sich meine beiden Kolleginnen unterhalten. Nach der gestrigen Nacht, in der ich sehr lange wach geblieben war, um zu lernen, fühlte ich mich wie gerädert. Die Ringe unter meinen Augen wurden immer größer, und es war schon fast nicht mehr möglich, sie mit einem Abdeckstift zu kaschieren.

,,Mit Oskar? Da hat sich nichts verändert. Ich gehe ihm aus dem Weg", erzähle ich und greife nach der Tasse Tee, welche ich mir zuvor bestellt habe. Es ist meine Lieblingssorte, Waldbeere. ,,Und was hat er wegen der Schramme in seinem Auto gesagt? Die ist ja nicht gerade klein. ich habe sie bemerkt, als ich heute Morgen an seinem Wagen vorbeigelaufen bin. Er muss doch außer sich gewesen sein, oder nicht?", hakt Vivi nach.

,,Nein, eigentlich hat er so reagiert, als wäre es nicht so schlimm gewesen", gebe ich zu und erinnere mich daran, wie ich auf seinem Schoß gesessen habe, meine Schenkel seine berührt haben und wir uns leidenschaftlich küssten. Bei dem Gedanken daran spüre ich, wie meine Wangen rot werden. Ich kann es nicht leugnen. Es hat mir gefallen, ihn erneut zu küssen. Vermutlich war ich deswegen so enttäuscht gewesen, als er mich zurückgewiesen hat.

Ich bekomme das Gefühl, mich bei ihm für meine übertriebene Reaktion entschuldigen zu müssen. Mit Sicherheit habe ich überreagiert. ,,Das glaube ich nicht. Wirklich? Sonst ist er doch immer so streng und etepetete. Die Schramme auf seinem Auto muss ihm doch ein Dorn im Auge sein", meint Vivi, die mich ungläubig ansieht. ,,Vielleicht legt er nicht so viel wert auf seinen Wagen?", überlegt Selma. Es ist eine Annahme, mit welcher sie recht haben könnte.

Allerdings schätzte ich Oskar genauso wie Vivi so ein, dass er sehr unglücklich über die Schramme ist. Ob er nur nicht ausgerastet ist, weil er den Frieden zwischen uns nicht zerstören wollte? Bei diesem Gedanken wird mir warm ums Herz. Vielleicht will er ja alles wieder gut machen, weil er Interesse an mir hat und... in diesem Moment kneife ich mir mit meiner rechten Hand in die Wange, um mich aus meinem absurden Tagtraum zu erwecken. Oskar und alles Gut? So ein Blödsinn!

,,Ich weiß nicht, warum es so scheint, als würde es ihm egal sein. Jedenfalls bin ich relativ froh, dass er kein Theater daraus gemacht hat. Ich werde ihm vielleicht noch einmal sagen, dass er auf mich zukommen soll, wenn er das klären möchte", sage ich und Vivi nickt zustimmend.

,,Oh, es ist schon halb. Wir müssen wieder rauf", stellt Selma fest und deutet auf ihre Armbanduhr. Die Mittagspause ist fast vorbei und wir gehen gemeinsam zurück zum Krankenhaus. Ich seufze, als ich mich auf meinem Platz niederlasse. Der heutige Tag ist besonders anstrengend und mittlerweile macht sich ein Schwindelgefühl bei mir bemerkbar. Ich hatte zuvor schon Kopfschmerzen gehabt, aber nun wurde es immer schlimmer.

Nichts desto trotz strenge ich mich an und möchte weiter arbeiten. Ich werde es schon schaffen, den Tag hinter mich zu bringen. Eines stand auf jeden Fall fest: Heute würde ich früher schlafen gehen, als sonst. Doch wie so oft war ich mir ziemlich sicher, dass ich mich eh wieder nicht an diesen Vorsatz halten würde.

*

,,Ester, was soll ich nur mit dir machen", höre ich eine Stimme hinter mir und ich zucke erschrocken zusammen, bevor ich mich mit meinem Schreibtischsessel umdrehe und fragend in Oskars blaue Augen blicke. ,,Was ist passiert?" Er war noch nie in den Raum der Empfangsdamen und Herren gekommen. Zuvor hat er immer nur vor der Theke gestanden und von dort mit mir gesprochen, als wäre er ein Patient.