52. Klappe

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"Guten Morgen Louis. Na wie geht's? Hast du gut geschlafen? Hast du was schönes geträumt? Es ist heute so sonnig. Oh, sag doch was. Du kriegst sie voll ab. Warte, ich mache die Gardinen zu. So.. besser so? Der Wind geht ein bisschen. Aber jetzt wird es schon wieder zu heiß. Wie ein Föhn. Ich mache das Fester erst zu, okay? Das hilft. Nachher mache ich es dir wieder auf. Es ist so heiß draußen…. Ich hoffe es regnet bald. Freust du dich auch auf Regen? Unsere Blumen sehen aus... Und das Gras erst. Schlimm. Alles Stroh. Naja.. Oh, ich wollte noch die Polster einräumen. Mist. Habe ich
vergessen. Naja, wenn es eh keinen Regen gibt, können sie ja auch liegen bleiben. Mache ich später. Hast du gestern noch Radio gehört? Ich hab so einen Ohrwurm... Dumm dumm dumm... Dumm dumm dum.. ich weiß gar nicht, wie das Lied heißt. Naja. Oh ich wollte dir noch was erzählen. Stan und Oli
waren gestern da. Sie kommen dich heute noch besuchen. Gut, oder? Sei nicht sauer, wenn sie nicht so viel quatschen. Sie sind manchmal einfach... Nicht so gut darin. Aber ich habe gesagt, dass ich in der Zeit dann wonders hingehe. Sonst quatsche ich ja doch
wieder die ganze Zeit. Naja... Ähm….. Wo
waren wir eigentlich stehen geblieben? Ach ja, wo Tinkerbell bei Hook ist, oder? Warte. Ich tausche noch eben die Blumen und dann machen wir da weiter. War die Putzfrau schon da? Mein Stuhl steht anders. Huch, die wären dann heute aber sehr zeitig gewesen. Das war bestimmt die mit dem Dutt und dem
Kaugummi, oder? Die geht nie bis in die
Ecken..."

Ich antwortete. Die ganze Zeit. Manchmal schrie ich ihm äußerst unhöfliche Antworten an den Kopf. Ganz oft das Wort "Klappe".
Harry fängt an zu jabbeln, wenn er den Raum betritt und hört auf, wenn er wieder geht. Wenn ihm nichts mehr einfällt zu sagen, singt er. Es ist nicht so, dass es mich nervt. Wie könnte es? Aber ich höre seine Verzweiflung so deutlich heraus. Ich will dann was sagen und schreien. Aber er kann es nicht hören.
Wir stehen auf unterschiedlichen Seiten einer Mauer. Einer Mauer, die mein Körper ist. Seit drei Jahren. Ich bekomme alles mit. Höre Harry sprechen. Hab gehört, wie die Krankenschwester und der Praktikant in meinem Zimmer gevögelt haben. Ich rieche sogar. Ich rieche, was Harry für Blumen mitbringt. Ich möchte ihm sagen, dass er Hyazinthen und Rosen weg lassen soll.
Ernsthaft. Das Zeug stinkt zum Himmel. Ich möchte ihm unglaublich viel sagen. Als erstes, dass er sich keine Schuld geben soll. Als ich in diesen komischen Zustand ankam, war ich verzweifelt. Ich hatte unglaubliche Angst. Ich schrie. Ich schrie so viel und nie reagierte jemand. Ich beleidigte alle. Niemand störte sich daran. Es brauchte eine ganze Zeit, bis ich merkte, dass ich Geräusche nur in meinem Kopf produzierte. Wie in einer
Box lag ich hier. Nichts kam nach außen.

Aber alles zu mir. Sie redeten darüber die Geräte abzustellen. Aber dann entdeckten sie intakte Hirnströme. Die meinten, es gäbe Hoffnung.

Harry kommt jeden Tag zu mir. Glaube ich.
Es ist immer dunkel für mich. Zeit spielt
keine Rolle. Ich schlafe manchmal. Glaube ich. Oder wache ich? Ich schwebe zwischen Zuständen. Vieles ist für mich bedeutungslos geworden. Es spielt keine Rolle, wenn man in sich gefangen ist. Alles wird egal. Nur eins nicht: die Leute die bei einem bleiben. Harry ist immer da. Aber manchmal würde ich mir
wünschen, er würde dieses Zimmer verlassen und nie zurück kehren. Wie könnte er glücklich sein, mit mir an den Hacken?
Irgendwann hat er mir erzählt, dass wir jetzt eine Wohnung haben mit einem kleinen Garten. Dort hat er Blumen gepflanzt, die sich nun offenbar in Stroh verwandelt hatten. Niemand konnte ihm sagen, ob es je wieder werden könnte wie früher mit mir. Man konnte die Uhr nicht zurück drehen. Aber er glaubte fest daran.

Er las weiter. Er las mir oft Peter Pan vor.
Weil ich zu ihm gesagt habe, dass ich gern nicht erwachsen werden würde. Man sollte mit seinen Wünschen vorsichtig sein. In diesen Zustand fiel ich mit 16. Wenn ich so bleiben würde, würde ich für niemanden je erwachsen werden. Naja, so hatte ich mir das
eigentlich nicht vorgestellt. Ich selbst habe keinerlei Erinnerungen an
den Tag, dem ich all das zu verdanken habe. Aber glücklicherweise reden einige darüber, wenn sie hier sind. Deswegen weiß ich inzwischen, was los war. Ich habe auf Harry gewartet. Wir hatten unseren ersten Jahrestag. Wir wollten ins Kino. Er hat sich verspätet. Weil er eingeschlafen war. Ich stand um die Ecke beim Kino. Ich bin zusammengeschlagen worden. Ein ordentlicher Schlag mit einem dumpfen Gegenstand hat mich her befördert.
Harry soll sich nicht die Schuld geben. Es ist nicht seine. Ein Mensch der den Kopf eines anderen mit einem Baseball verwechselt ist Schuld. Ich bin froh, dass Harry sich verspätet hat. Wer weiß, was sonst passiert wäre?

One Shots (Larry) - Leseprobe Where stories live. Discover now