9. Kapitel

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Ich hatte beschlossen zu leben. Sowie jeder normale Mensch auch. Diese Entscheidung erleichterte mir einiges, da ich nun fast täglich mit Arvid, Luisa, Deacon und Pia abhing. Arvid und Deacon hatten mit einem anderen Freund zusammen, eine Band gegründet. Sie nannte sich ADM. Somit arbeiteten sie häufig in einem Studio, wo ich oft Teil sein durfte, und es fühlte sich fantastisch an. Es war sehr spannend zu sehen, wie erst Beats anstanden und im Laufe der Zeit ein passender Text dazu geschrieben wurde. Eine Fähigkeit, die ich niemals haben werde. Generell war ich kein kreativer Mensch und es faszinierte mich, wenn jemand singen, schreiben oder zeichnen konnte. Für mich waren diese Tätigkeiten nicht machbar.
„Wir brauchen bei dem Song aber noch ein paar hohe Stimmen im Hintergrund. Habt ihr Lust Mädels?", Marius sah uns an. Als Luisa und Pia freudig aufstanden, atmete ich erleichtert aus. Zwei Personen würden reichen, dachte ich.
„Na los, Mira. Du auch", Deacon hielt mir seine Hand hin, um mir beim Aufstehen zu helfen.
„Was? Um Gotteswillen. Das will nun wirklich keiner hören", abwehrend hielt ich die Arme fest um mich geschlungen. Mich sollte man nicht singen hören. Mir fehlte nun einmal das Talent dazu.
„Ich habe dich schon Singen gehört. So scheiße ist es nicht. Du musst nur sehr leise mit einsingen. Am Ende hört dich sowieso niemand raus", er nahm meine Hand und zog mich hoch. Wir standen sehr nah aneinander. Wäre es eine andere Situation und wäre seine Freundin nicht hier, wäre es sicherlich sehr schön gewesen. Aber jetzt hatte ich einfach Panik. Schnell ging ich einen Schritt zurück und schüttelte meinen Kopf.
„Bitte tut mir das nicht an", flehte ich und sah hilfesuchend zu den anderen. In den Blicken der anderen konnte ich aber erkennen, dass keiner bereit war mir zu helfen. Sie waren alle der Meinung wie Deacon.
„Ihr könnt doch Kayla fragen. Sie kann das viel besser als ich. Ich kann sie auch schnell anrufen und dann ist sie gleich da", bot ich an. Aber keiner wollte lockerlassen.
Geschlagen hob ich leicht meine Hände und ging in den kleinen Raum zu Pia und Luisa. Beide sahen mich aufmunternd an.
„Es ist nur eine kurze Stelle und ihr müsst eigentlich nur summen. Bekommt ihr das hin?", fragte uns Marius über ein Mikrofon und wir zeigten einen Daumen nach oben.
Kaum hatten wir die Hände wieder bei uns, fing die Melodie an und wir begannen zu singen. Zu meinem Glück hatten die anderen beiden eine viel kräftigere Stimme als ich und so hörte man mich nicht. Das war auch besser so.
„So. Schon fertig. Kommt raus und dann hören wir uns den ganzen Song an", schnell ging ich aus dem Raum heraus und nahm wieder auf der Couch Platz. Mir war es immer noch sehr unangenehm.
„War doch super", grinste Arvid und zog seine Freundin auf seinen Schoß.
„Fand ich auch", lächelte Deacon mir kurz zu und zog Pia dann an sich.
Verletzt sah ich auf meine Hände. Zwar wollte ich leben, aber es wurde mit Pärchen an meiner Seite nicht besser. Den Anblick von Deacon und Pia versetzte mir jedes Mal aufs Neue einen tiefen Schlag. Würde dieser Schmerz jemals vergehen? Würde ich mich eines Tages an diesen Anblick gewöhnen? Wahrscheinlich nicht. Da musste ich nun durch.
Marius spielte den kompletten Song ab und alle hörten aufmerksam zu. Nur ich nicht. Ich konnte mich nicht darauf konzentrieren, weil sich zu viele Gedanken in meinem Kopf drehten. Es war einfach zu viel.
„Ich muss mal raus", schnell stand ich auf und ging aus der Tür des Studios. Direkt war ich an einer gut befahrenen Straße. Neben der Tür, an der Hauswand, setzte ich mich hin und rieb mir meine Hände über mein Gesicht. Scheinbar musste ich so schnell wie möglich einen Typen für mich finden. Dann war ich abgelenkt und hatte keine Zeit mehr mich mit anderen Frauen zu vergleichen. Außerdem konnte ich dann nicht so viel über Deacon nachdenken, welcher mittlerweile meine ganze Gefühls- und Gedankenwelt in Anspruch genommen hatte. Keine einfache Situation für mich, aber wann war mein Leben schon einfach?
„Hey? Alles klar?", ich merkte, wie sich jemand neben mich setzte. Es reichte nur der Geruch aus und Ich erkannte, wer zu mir gekommen war. Deacon.
Das Leben wollte es mir aber auch schwer machen. Jeder andere Mensch wäre besser gewesen als er und jetzt saßen wir hier.
Ich war nicht bereit zu reden. Er schien dies zu merken und sah mich einfach nur prüfend an. Scheinbar wollte er mir Zeit geben, bis ich mich dazu entschied, selbstständig zu reden. Dazu würde es aber sicherlich nicht kommen. Am besten wäre es, wenn ich meine Sachen von drinnen holen und dann meinen Weg nachhause antreten würde. Dann wäre jedem geholfen und am meisten mir. Immerhin müsste ich seine Nähe nicht mehr ertragen.
„Ich sollte dann mal nachhause gehen", schnell stand ich auf und sah ihn kurz an.
„Bitte warte kurz", er hielt meinen Arm fest: „Willst du mir nicht sagen, was los ist? Selbst Kayla macht sie Sorgen um dich. Immer, wenn wir da sind, willst du weg."
Scheinbar war mein Verhalten doch auffälliger als ich gehofft hatte. Dabei traf ich mich mittlerweile sehr oft mit allen, aber immer, wenn es an Pärchen Dingen ging, war ich weg.
„Ich ertrage es einfach nicht, wenn jeder vor mir rummachen muss. Das find ich widerlich", gab ich wahrheitsgemäß zu.
Er sah auf den Boden und schien nachzudenken.
„Du kannst meine Anwesenheit nicht ertragen, richtig?", wieder sah er zu mir. Wie kam er denn jetzt zu diesem Entschluss? Nichts dergleichen hatte ich gesagt, dass er in diese Richtung deuten konnte.
„Was? Ich mag dich. Du bist ein Freund von mir", er ließ meinen Arm los.
„Ich kenne dich, Mira und ich weiß, dass du ein sehr aktives Gehirn hast. Du denkst, genauso wie ich, viel zu viel nach und vergleichst dich. Ich sehe doch, wie du Luisa, Pia, Kayla und die anderen anguckst und traurig dreinblickst", jetzt war ich in einer Falle.
„Und damit gehe ich meine Sachen holen", ich rannte beinahe in das Studio, wo ich meine Sachen zusammen kramte und wieder raus rannte. Meine Beine trugen mich, so schnell wie möglich, nachhause.
Das war mir zu intensiv gerade. Solche Gespräche konnte ich nicht führen. Nicht mit ihm. Mit Kayla war das kein Problem, aber ich konnte schlecht mit ihm über Pia und ihn sprechen. Da könnte ich mich gleich erschießen oder eine neue Arbeit suchen.
>Können wir bitte reden? Es ist wichtig<, Deacon wollte aber auch nicht lockerlassen. Irgendwas wollte er immer klären, aber das wollte ich nicht. Es würde vollkommen zu reichen, wenn er mich einfach in Frieden lassen und wir mich sowie meine Gefühlswelt einfach raushalten würden. Ich höre gerne Menschen bei Problemen zu, da sie mich von meinen eigenen ablenkten. Über meine eigenen Probleme redete ich deswegen fast nie und das sollte auch so bleiben. Damit war ich immer gut durchs Leben gekommen und ich wollte es mir nicht sinnlos schwerer machen.
Kayla rief mich an. Scheinbar wurde ihr sofort von meiner Flucht berichtet.
„Warum bist du, ohne tschüss zu sagen, aus dem Studio gerannt?"
„Sagst gerade du, die mich nicht einmal begrüßt", zog ich sie auf und sie musste lachen.
„Na gut. Hallo, liebe Mira. Warum rennst du einfach so weg?", fragte sie mich erneut, aber dieses Mal etwas lockerer.
„Guten Tag, liebe Kayla. Ich bin nachhause gegangen, weil Deacon mir ein unangenehmes Gespräch aufdrücken wollte", antwortete ich und musste lachen. Irgendwie war es erleichternd mit ihr zu reden. Mein Körper schaltete ab und konzentrierte sich vollkommen auf die Stimme meiner besten Freundin. Jegliche Spannung in meinen Muskeln flog hin fort.
„Was wollte er denn mit dir besprechen?", sie wurde neugierig.
„Er hat mir gesagt, dass er mich ja so gut kennt und merkt, dass was nicht stimmt. Ich sehe scheinbar immer Luisa und Pia an und heule innerlich rum", während ich redete, zog ich mir meine Schuhe und meine Jacke aus.
„Was echt? Das hat er dir gesagt?", sie wollte mir nicht glauben, aber ich erzählte ihr nun einmal die Wahrheit.
„Ja, das hat er gesagt und darauf hatte ich keine Lust und dann bin ich halt gegangen. Ich wollte sowieso losmachen, weil sie mich sonst noch mehr zum Singen gezwungen hätten", ordentlich räumt ich meine Schuhe weg und ging ins Wohnzimmer, wo ich mich auf meine Couch setzte.
Kayla antwortete nicht, was ungewöhnlich für sie war. Eigentlich redete sie immer und war nie sprachlos zu bekommen. Mich machte ihre Reaktion nervös.
„Kayla? Kannst du bitte antworten? Du machst mir Angst", ich begann an meinen Lippen zu knabbern.
„Ich habe nur eine blöde Vermutung und das wird unschön enden", gab sie nachdenklich wieder. Das machte mir noch mehr Angst. Kein gutes Ende?
„Was meinst du? An was denkst du?", fragte ich sie schnell und starrte an meine Wand.
„Ich glaube, dass Deacon Pia nur als Ablenkung an seiner Seite hat. Er wollte gucken, wie du reagierst und scheinbar reagierst du nicht so, wie er es sich gewünscht hatte. Ich habe ihn letztens erzählt, dass mich Niklas wegen dir abblitzen lassen hat und da ist er richtig wütend geworden. Da war er die Person, die nachhause gerannt ist, ohne sich zu verabschieden", lachte sie leicht. Sie schien zu versuchen die Situation aufzulockern, aber bei diesem Thema war es nicht möglich.
„Deacon ist doch aber nicht so. Er nutzt keine Menschen aus", natürlich musste ich ihn jetzt auch noch in Schutz nehmen. Ein Reflex meinerseits.
„Vielleicht macht er es unterbewusst. Wir müssen es irgendwie herausfinden und wenn es erst im Urlaub ist", jetzt hatte ich meine beste Freundin wieder. Bei fast jedem wollte sie einen Test machen, um sicher zu gehen, dass diese Person es auch ernst meint. Scheinbar wollte sie das nun auch bei Deacon machen.
„Oh nein! Da mache ich nicht mit, Kayla", darauf hatte ich wirklich keine Lust. Am Ende machte ich ihm wieder Hoffnung und musste ihn dann doch wieder abblitzen lassen. Oder?
Wollte ich nicht doch lieber eine Beziehung mit ihm anfangen und ihn immer bei mir haben?
STOP!
Daran sollte ich gar nicht erst denken. Zwar wollte ich leben, aber nicht mit Deacon. Noch nicht jedenfalls.
„Ach komm schon. Das wird lustig und wenn er den Test besteht, ist doch alles gut. Du willst eh nichts von ihm und ich helfe dir dann auch bei anderen Typen", ich sah meine beste Freundin, in diesem Moment, bildlich vor Augen. Sie zog ihre Unterlippe hervor und begann zu schmollen. So ließ sie mein Mitleid für sich arbeiten, welches ihr natürlich sofort zur Hilfe eilte und ich somit doch „Ja" sagte. Sowie jetzt auch.
„Wenn du mir wirklich bei Typen hilfst, ist das ein guter Deal. Na, dann erzähl mal von deinem Plan."
Und so diskutierten wir nahezu drei Stunden darüber, wie wir diesen Test durchführen sollten. Wann wir diesen machen wollten, stand jedenfalls schon fest. Während unseres Urlaubs.

Within 5 years ~ Ein Leben voller KrankheitWhere stories live. Discover now