4.Kapitel

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Da sich in meinem Gehirn fast nur noch Angst befand, begann ich, am folgenden Wochenende, mit auf Partys zu gehen. Irgendwie musste ich dieses Gefühl bändigen und wenn es nur so funktioniert, dann sollte es wohl so sein. Kayla hatte sich riesig gefreut, als ich ihre Einladung annahm. Sie erzählte mir, wie wichtig das für mich sein wird und wie gut es mir tun würde, wenn ich mal einige Stunden lang nicht mit mir selbst beschäftigt sein muss. Zudem würde ich nicht immer auf meine Hand starren können und ich wurde lockerer. Jedenfalls hoffte ich es sehr. Ich war noch nie in meinem Leben betrunken gewesen, weswegen ich nicht wusste, wie ich mich verhalten würde. Am Samstag würde es eine Premiere werden und ich freute mich irgendwie drauf.
Am Samstagabend ging ich in Jeans und einem schwarzen Shirt zu Kayla. Meine Haare hatte ich über Nacht geflochten, weswegen nun meine braunen Haare Locken schlugen. So mochte ich mein Äußeres am meisten.
Als ich klingelte, kam nach einer Millisekunde schon das Geräusch zum Reinlassen. Kayla war also ungeduldig und schien jede Sekunde auf mich hin gefiebert zu haben. Scheinbar hatte sie den Verdacht, dass ich kurzfristig einen Rückzieher machen würde. Unrecht hatte sie damit nicht, denn ich hatte wirklich noch einmal gründlich nachgedacht, ob ich bereit für eine Party war. Eine Party, wo Deacon sein würde.
„Da bist du ja endlich", freute sie sich und stand schon an den Türrahmen gelegt.
„Ja, da bin ich", lächelte ich sie an. Sobald meine Freundin mich ganz erblickt hat, verzog sie leicht ihr Gesicht.
„So willst du ernsthaft feiern gehen?", fragte sie mich und musterte mich vom Kopf bis Fuß.
„Ehm... ja? Wieso denn nicht? Ich weiß, dass meine Haare unten wieder ausgeblichen blond sind, aber Locken sind doch cool", ich sah ebenfalls an mir herab und wurde mir unsicher. Damals hatte ich mir immer meine Haare blond gefärbt, weswegen sie in der Sonne immer etwas ausblichen. An sich mochte ich diesen Look sehr gerne. Auf meine Haare war ich generell am meisten stolz.
„Deine Haare sehen gut aus, aber der Rest geht auf gar keinen Fall. Du bekommst ein paar Sachen von mir", sie griff nach meinem Arm und zog mich hinter sie her. Die Tür fiel hinter uns zu und meine Freundin machte erst Halt, als wir vor ihrem Schrank standen. Danach begann sie zu kramen. Ich sollte mich setzen, solange sie nach Sachen für mich suchte.
„Du musst dann nachher nur einmal für Deacon, Arvid und Luisa die Tür aufmachen. Mit denen gehen wir dann los", Kayla schenkte mir einen kurzen Blick über die Schulter und grinste. Es war mittlerweile normal, dass sie mich mit Deacon aufzog. Das konnte ich nur nicht verstehen. Zwar sah er nicht sonderlich schlecht aus, aber was von ihm wollte ich nun auch nicht und eigentlich wusste das Kayla, als meine beste Freundin, nur zu gut. Dennoch schien sie bei meinem Umzug unsere Blicke bemerkt zu haben. Immerhin haben wir uns angestarrt, als hätten wir einen Alien vor uns stehen. Warum er mich ansah, konnte ich nur nicht verstehen. Mein Grund lag auf der Hand, immerhin war er umwerfend und er entsprach genau meinem Geschmack. Als wir uns letztens bei Kayla getroffen hatten, waren mir seine volltätowierten Arme aufgefallen. Ein so offensichtliches Detail, was mir verborgen blieb, weil seine Augen meine gesamte Aufmerksamkeit auf sich zogen und mich einnahmen.
„Okay? Soll ich mich jetzt freuen oder warum hast du mir so einen Blick zugeworfen?", fragte ich etwas vorwurfsvoll. Immer wenn wir über ihn redeten, wurde ich empfindlich und das mochte ich nicht.
„Nein nein. Schon gut", sie sah sich ein kurzes Oberteil an und legte es zu fünf anderen Shirts. Fast alle zeigten viel mehr, als es mir lieb war. Ich war nicht gerade die schlankeste Person und da wollte ich auf gar keinen Fall meinen Bauch zeigen. Lieber würde ich einen oversized Pullover anziehen als ein so knappes Top.
„Kayla. Dir ist bewusst, dass ich nicht sowas enges tragen kann. Ich bin viel zu kräftig für sowas und dann sieht man vor allem meinen Bauch", mein Blick fiel sofort auf diesen. Vor nicht einmal einem halben Jahr musste ich am Magen operiert werden, da ich eine akute Magenschleimhautentzündung hatte. Die Narbe war noch sehr gut zu sehen und ich wollte nicht direkt bei der ersten Party jedem Menschen erklären, warum ich genau dort eine Narbe hatte. Zudem war mein Bauch sehr empfindlich. Jede Berührung tat mir weh und ich wollte andere Menschen nicht herausfordern.
„Probiere die Sachen doch erst einmal an. Deine Jeans ist so hochgeschnitten, dass man nichts sehen wird", sie stand auf und legte mir ihre Oberteile aufs Bett. Genau in diesem Moment klingelte es: „Du ziehst die Oberteile an und dann komme ich nachher reingucken. Oder ich frage Deacon, ob er für dich entscheiden möchte."
Mit einem Zwinkern verschwand sie zur Tür und schloss hinter sich die Schlafzimmertür. Seufzend stellte ich mich hin, breitete die Shirts aus und nahm das erste weg. Als ich alle durchhatte, hatte ich tatsächlich einen Favoriten. Ein T-Shirt war nicht so kurz geschnitten, wie die anderen. Kayla hatte recht, man sah überhaupt nichts. Mit diesem betrachtete ich mich im Spiegel, als Deacon reinkam. Schnell schlang ich meine Arme um meinen Oberkörper und sah zu ihm.
„Kayla meinte, dass ich mal nach dir gucken soll", kaum war er drin, musterte er meinen gesamten Körper. Was wollte dieser Kerl denn von mir? Sah er sich meine Hässlichkeit an oder warum musterte er mich immer so. Seinen Blick konnte ich leider nicht deuten, weswegen ich mir vorstellen musste, was er dachte und das war nie etwas positiv. Meine Gedanken über mich selbst hatten immer einen negativen Unterton.
„Ja, ist alles gut. Ich komme gleich raus", ich sah ihn an, drehte mich dann aber weg. Seine Blicken brannten sich auf meine Haut, weswegen ich mich unter diesen begann zu winden.
„Wenn wirklich was sein sollte, kannst du mir liebend gern Bescheid geben", setzte er an, aber ich unterbrach ihn. Auf seine Ratschläge konnte ich gut verzichten.
„Lass es einfach gut sein. Ich rede nicht mit einer fremden Person über meine ganzen Probleme. Geh zu deinen Freunden", blaffte ich ihn etwas an. Als er bedrückt das Zimmer verließ, fühlte ich mich schlecht. Noch nie war ich jemanden ohne Grund einfach so angegangen. Das musste an den Tabletten liegen, die ich von meinem Arzt aus nehmen sollte oder einfach daran, dass ich ihn mehr mochte, als es mir lieb war.
Am Freitag, einen Tag vorher, war ich noch einmal beim Arzt gewesen. Als ich am Dienstag bei dem Neurologen anrief, wurde mir ein Termin für Februar gegeben. Das wäre ein ganzes halbes Jahr, indem ich warten müsste. Mein Arzt war davon sehr empört, als ich ihm dies erzählte. Sofort machte er mir einen Termin für nächste Woche aus. Da es zudem mit meinen Händen immer schlimmer wurde, bekam ich drei verschiedene Tabletten, die ich jeden Tag viermal nehmen sollte. So viele Tabletten hatte ich auch noch nie nehmen müssen. Alle sechs Stunden wurde ich von einem Wecker erinnert, dass es Zeit war diese Tabletten einzunehmen.
Jetzt, vor der Party, sollte es das vierte Mal sein, da ich in der Nacht nicht geweckt werden wollte. Kaum war Deacon aus der Tür, griff ich in meine Tasche, um die Tabletten zu nehmen. Mit denen in der Hand verließ ich das Schlafzimmer und ging ins Bad, dort nahm ich sie dann. Danach ging ich zu den anderen ins Wohnzimmer, das Gelächter war bereits im Bad zuhören.
„Dann können wir jetzt ja endlich los", lächelte Kayla, klatschte auf ihre Oberschenkel und stand mit Schwung auf. Eine typisch deutsche Geste.
Alle anderen folgten ihr und so machten wir uns auf den Weg zu der Party. Die vier Freunde redeten miteinander und ich lief allein hinterher. Ich kannte nur Kayla und mit den anderen wollte ich mich nicht wirklich unterhalten. Vor allem, weil Deacon dabei war. Lieber war ich allein und konnte ein wenig nachdenken. Durch das Nachdenken jedoch, verlor ich an Geschwindigkeit und fiel immer mehr zurück. Dies fiel mir erst auf, als eine Hand sich um meinen Oberarm legte. Deacon. War klar, dass er es war. Wahrscheinlich wollte er keinen Moment außer Acht lassen, wenn er mich anfassen oder für mich da sein konnte.
„Die anderen sind schon vorgegangen. Ich wollte dich nicht allein lassen. Du weißt sowieso nicht, wo es langgeht", lächelte er schief. Sein typisches Lächeln. Jedoch schwang Unsicherheit in seinem Blick mit und das gefiel mir. Er brauchte sich nicht bei mir einschleimen oder sonst etwas bei mir probieren. Hoffnungen brauchte er sich auch keine machen. Ich wollte nichts von ihm und das sollte er direkt von Anfang an zu spüren bekommen.
„Danke dir", bedankte ich mich ehrlich und ging etwas schneller weiter. Zwar war ich dankbar, dass jemand auf mich wartete, aber diese Stille zwischen uns beide war mir fast unangenehmer als alles andere. Mir wäre jede andere Person lieber gewesen. Selbst Arvid. Lieber wurde ich die ganze Zeit mit dieser peinlichen Fahrstuhlsituation aufgezogen, als dass Deacon und ich uns anschwiegen.
Deacon schien jedoch meine Einstellung gegenüber ihn zu akzeptieren, denn er redete kein Wort mit mir und lief nur stumm neben mir her. Selbst meinen Arm hattet er direkt wieder losgelassen. Das gefiel mir schon viel besser. Dennoch konnte ich diese Stille nicht aufrechterhalten, da meine Neugierde stieg und diese Stille mich zu erdrücken drohte.
„Du arbeitest in der gleichen Firma wie ich?", fragte ich ihn und sah zu ihm hoch. In der Dunkelheit bekamen seine blauen Augen nochmal eine spezielle dunkle Farbe und Gott verdammt, ich liebte diese Farbe. Kaum sah ich ihn an, blickte er sofort zurück. Direkt in meine Augen. In meine Seele. Mir war diese Intensität so merkwürdig, dass ich schnell meinen Blick abwenden ließ. Es war nicht wie das erste Anstarren, als ich aus dem Transporter ausstieg. Dieser Blick war viel intensiver und ging mir bis unter die Haut. Mein Herz klopfte, wie verrückt und mein Gehirn arbeitete ununterbrochen.
„Ja, ich arbeite im Büro nebenan von dir. Ich arbeite aber nur selten im Büro und auch nur noch halbtags", sein Blick war immer noch an mir geheftet.
„Warum nur halbtags? Arbeitest du noch woanders oder mordest du in der anderen Hälfte des Tages", ich versuchte etwas die Stimmung mit diesem Witz aufzulockern und es funktionierte. Er lachte tatsächlich und dieses Lachen, warf mich aus der Bahn. Noch mehr als es seine Augen taten. Es war definitiv das schönste Lachen, was ich je gehört habe und als ich ihn ansah, sah er noch viel hübscher aus, als er es sowieso schon tat.
Schnell schlug ich mir meine Gedanken wieder aus dem Kopf. Was sollte das denn jetzt, Samira? Reiße dich zusammen! Viel zu oft schweife ich ab, um an ihn zu denken. Das war mir bereits schmerzlich bewusst geworden. Dabei kannte ich diesen Menschen gar nicht.
„Der war wirklich gut. Ich hätte gar nicht gedacht, dass du so lustig sein kannst", grinste er: „Ich arbeite mit Arvid und einem anderen Freund an Musik. Zurzeit arbeiten wir daran, dass wir in einigen Clubs auftreten können. So könnten wir uns einen Teil unserer Brötchen verdienen. Und manchmal male ich noch und verkaufe die Bilder, wenn sie jemandem gefallen."
Sofort fühlte ich mich klein und sinnlos. Das war unglaublich und er musste sehr gut sein, wenn er damit gut leben konnte. Neid flammte in mir auf. Hätte ich nicht solche Talente haben können? Dann könnte ich dauerhaft zuhause sitzen und niemals würde jemand etwas von meiner Krankheit mitbekommen. Vor allem jetzt nicht, wenn ich wieder einmal von Arzt zu Arzt rennen musste, damit mir was Blödes diagnostiziert werden konnte. Ich hatte es satt.
„Hey? Alles klar?", ich war stehen geblieben und Deacon legte wieder seine Hand auf meinen Oberarm. Mein Blick war auf meine zitternde Hand gerichtet.
Nein, es war nicht alles klar. Nichts war ansatzweise klar und es nervte mich. Als ich damals als Baby keinen Puls mehr hatte, hätte es das Ende sein sollen. Es hätte schneller enden sollen, als es jetzt der Fall ist. Mein Körper schafft es nicht mehr. Ich schaffe es nicht mehr. Mein Limit an eigener Kraft war aufgebraucht und irgendetwas brodelte sich in mir zusammen. Etwas, was mein Ende näherbringen würde. Wenn ich eine tödliche Krankheit diagnostiziert bekommen sollte, wollte ich nicht durch die Krankheit sterben. Ich wollte es selbst beenden. Dafür würde ich noch stark genug sein.

Within 5 years ~ Ein Leben voller KrankheitWhere stories live. Discover now