Am meisten hat mich wohl der Moment geprägt, als ich nachts aufgestanden bin, weil ich aus der Küche ein Schimpfen hörte. Als Kind bekam ich einen riesigen Schreck, Mama und Papa so miteinander streiten zu sehen. Tagsüber wirkten sie so glücklich, selbst heute geben sie noch vor, eine perfekte Familie zu sein. Ich bezweifle, dass sie ehrlich mit mir und sich sind.

Ich habe mich hinter einer Kommode versteckt und durch den Türschlitz in Mamas enttäuschtes Gesicht geschaut. Dieser Ausdruck machte mir Angst und zu diesem Zeitpunkt hoffte ich, niemals je von ihr so angesehen zu werden. Fast so, als habe sie einen nie geliebt. Und das ist ein weiterer Punkt, den ich aber gerne in einem nächsten Brief näher beleuchten würde. Denn vorher muss ich erst darüber nachdenken. Noch bin ich mir unschlüssig, ob sie mich je geliebt hat.

Damals habe ich nicht verstanden, was mein Vater Schlimmes verbrochen haben könnte, um all das zu verdienen. An die Worte erinnere ich mich aber ganz genau. Es fielen Namen von Personen aus unserem Heimatdorf. Je älter ich werde, desto klarer wird mir, dass mein Vater eine Affäre gehabt haben muss. Nicht zum Streitpunkt des Streits, sondern viel eher. Dann, als sie frisch verheiratet und ein Kind gezeugt hatten.

Vorher habe ich nicht groß darüber nachgedacht, ob ich Papa böse bin. Gerne würde ich ihm vorhalten, dass ich es verstehe – Mama ist schließlich keine leichte Person. Doch wenn ich ehrlich bin, verzeihe ich ihm das nicht. Er hätte sie nie heiraten brauchen. Und dankbar, dass sie sich unseretwegen (meiner Schwester und mir) nicht getrennt haben, bin ich auch nicht. Es fühlt sich an, als zwinge ich die beiden, zusammenzubleiben.

Doch mittlerweile bin ich ausgezogen und meine Schwester alt genug, um mit einer Trennung umzugehen. Sie sind weiterhin verheiratet. Ich weiß nicht warum. Ob sie nicht wollen, dass ihre konventionellen Freunde schlecht über sie denken oder sie es tatsächlich geschafft haben, dem anderen zu verzeihen? Immer morgens, wenn sie sich zum Abschied küssen, vermute ich, es sei so. Papa ist alleine völlig lebensunfähig und Mama kümmert sich gerne. Vielleicht hat er eingesehen, dass die Affäre ein Fehler war. Aber Liebe? Nach all dem, was passiert ist?

Die beiden zusammen zu sehen, macht mich traurig. Wie sie etwas vorgeben, dass keine Wirklichkeit ist. Gleichzeitig versetzt es mich in Angst, dass meine Partner mir ebenfalls unehrlich gegenüber sind. Sind sie nur bei mir, weil sie keiner will? Weil es einfach bequem ist, nicht alleine zu sein? Damit habe ich dir das zweite und letzte Problem offenbart: Bindungsängste. Aber auch darüber zu einem späteren Zeitpunkt mehr. Fürs Erste habe ich wohl genug nachgebohrt.

Dein:e Brieffreund:in

E S machte mich stolz, die drei Zettel Briefpapier in den Kummerkasten zu legen. All diese Seiten und ich war dabei vollkommen ehrlich. Am meisten Worte fanden sich während des Schreibprozesses. Zuvor hatte ich einige Minuten gegrübelt, aber war nur auf Leere gestoßen. Nachdem ich den Briefkasten jedoch aufgeschlossen hatte, bemerkte ich einen klitzekleinen Streifen Papier. So klein, dass ich ihn fast übersah. Ich nahm ihn heraus und stellte fest, dass er auf einem Schreibblock für die dritte Klasse geschrieben wurde. Die Lineatur half einem dabei, großen von kleinen Buchstaben abzugrenzen.

 Die Lineatur half einem dabei, großen von kleinen Buchstaben abzugrenzen

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