Kapitel 16

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Ich schnappte mir meine Tasche und rannte aus der Wohnung. Mir blieb nicht sehr viel Zeit, um Tayla zu suchen. Vielleicht auch doch. Ich wusste es nicht.
Wie auch immer. Die Sekunden, während ich auf den Aufzug wartete, fühlten sich wie Stunden an. Ein mulmiges Gefühl hatte sich in meinem Magen breit gemacht. Wie hatte ich sie nur verlieren können? Genau genommen konnte ich nichts dafür. Sie war weggegangen, es war ihre Entscheidung gewesen. Ich sollte aufhören, mir dafür die Schuld zu geben, auch wenn ich mich für sie verantwortlich fühlte.

Ein »Bing« signalisierte mir, dass der Fahrstuhl eingetroffen war. Nachdem ich eingestiegen, heruntergefahren und zur Straße gerannt war, schienen mich die Gebäude erdrücken zu wollen. Es war ein viel zu großes Gebiet. Schon jetzt kam mir die Suche endlos vor. Ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte. Seufzend setzte ich mich in Bewegung und realisierte erst nach einer Weile, wohin mich meine Füße trugen.

In der Luft lag wie so oft ein salziger Geschmack und Möwen kreisten nicht weit entfernt von mir im Himmel, während sie ihre Schreie ausstießen, die jedoch von dem Meeresrauschen übertönt wurden. Das Rauschen wiederum schaffte es nicht gegen das Gebrüll eines Mannes anzukommen, dem ich allein wegen seines schnittigen Tonfalls nicht begegnen wollte. Mit großen Schritten erreichte ich das Haupt des kleinen Hügels und blickte durch die Absperrungen zu den Soldaten hinunter, die sich im Sand tummelten und den Anweisungen folgten. Ich konnte den Wellen nur vom Weiten zuschauen. Schnell schob ich die traurigen Gedanken und Erinnerungen beiseite. Es war jetzt wichtiger Tayla zu finden, alles andere musste warten. »Miss.« Eine Stimme hinter mir ließ mich zusammenfahren. Ich war so in den Gedanken versunken, dass ich nicht gehört hatte, wie ein Uniformierter zu mir kam. Gerade als ich den Mund öffnete, um zu fragen, was los sei, redete er schon los. »Sie sollten nicht hier sein. Das Viertel wird evakuiert.«

Ich nickte. »Weiß ich.« Im selben Moment überlegte ich, ob ich ihn fragen sollte - oder war das zu riskant? Was hatte ich schon zu verlieren? Es gab keinen Grund, sich Sorgen darüber zu machen.

»Dann sollten Sie das Gelände schnellstmöglich verlassen«, mit diesen Worten wandte sich der Mann zum Gehen.

»Ähm ...«, sagte ich schnell, was ihn zum Stehen brachte. Jetzt musste ich es sagen ... oder mir etwas anderes ausdenken. Egal, ich tat es einfach. »Haben Sie ein Mädchen gesehen? Dreizehn Jahre?« Jetzt war es zu spät, um die Frage noch zurück zu nehmen.

Sein prüfender Blick musterte mich. »Tut mir leid, nein.« Geknickt ließ ich meinen Kopf sinken. »Soll ich eine Fahndung rausgeben? Wo haben Sie sie zuletzt gesehen?«

Schnell winkte ich ab. Zu fragen war doch eine dumme Idee gewesen. Jetzt wollte er weitere Informationen, wie Aussehen, Name oder er wollte wissen, wer ich war. Nein, das wäre alles zu riskant. »Nicht nötig. Sie ist bestimmt schon längst Zuhause«, schob ich freundlich lächelnd hinterher. Derweil hatte ich insgeheim bereits Schweißperlen, die er hoffentlich noch nicht bemerkt hatte. Aber da zuckte er schon mit den Schultern. Ich widmete die Gedanken wieder Tayla und strengte meinen Kopf an, mögliche Aufenthaltsorte von ihr herauszukramen.

Der Mann hatte sich bereits entfernt, als ich aufschaute. Er wollte zwar, dass ich es ihm gleich tat, aber ich konnte noch nicht von hier weg. Und da wurde mir etwas bewusst. Ich würde erst gehen, wenn ich Tayla in Sicherheit wusste. Nur hatte ich ein Problem, wenn ich sie in den nächsten Tagen nicht fand. Besser, ich dachte gar nicht erst daran. Bevor ich weiterging, schenkte ich den Metallkugeln einen letzten Blick. Wie erwartet, war Tayla immer noch nicht dort. Zumindest war sie nicht in dessen Nähe zu erkennen. Seufzend wandte ich mich um und sprang mit wenigen Schritten vom Hügel hinunter. Dann musste ich eben woanders suchen. Wo würde ich zuerst hingehen, wenn ich Tayla wäre? Eine weitere Frage, auf die ich keine passende Antwort kannte. Keine Ahnung, was Aliens als Erstes tun würden, wenn sie einen neuen Planeten erkundeten.

Vielleicht sollte ich an den Orten anfangen, von denen ich ihr etwas erzählt hatte. Zuerst das Einkaufscenter. Es war ganz in der Nähe, also gar nicht sooo unwahrscheinlich, dass ich Tayla dort auffinden würde. Vorausgesetzt sie war noch da. Immer optimistisch bleiben, riet ich mir in Gedanken.

Nach fünfzehn Minuten Fußweg hatte ich den Supermarkt erreicht. Es standen nur dreizehn Autos auf dem Parkplatz. Kaum zu glauben, dass er vorgestern noch randvoll war. Die Straßen wirkten allgemein, wie leergefegt. Auch drinnen sah ich nicht viele Menschen. Anscheinend fand das Personal es für unnötig, die Regale wieder zu füllen, denn sie waren nur halbvoll. Ich ging wahllos durch die Reihen, obwohl ich wusste, wie aussichtslos die Suche war. Nachdem ich das Ende der Gänge erreicht hatte, warf ich in jede Reihe einen Blick, aber Tayla war nicht dort. Also verließ ich das Gebäude und ging ohne ein weiteres Ziel die Straßen entlang.

Wovon hatte ich ihr noch erzählt? Eigentlich kaum über Orte in der Nähe. So fieberhaft ich auch überlegte, wo sie sich sonst aufhalten könnte, fiel mir nichts weiter ein. Also wollte ich die Stelle aufsuchen, wo sie mir ein zweites Leben geschenkt hatte. Dummerweise erinnerte ich mich nicht mehr genau, wie ich dorthin kommen konnte. Es war dunkel gewesen, als wir da waren. Auch wenn sich alles in mir widerstrebte zu diesem Ort zurückzugehen, musste ich mich dennoch vergewissern. Ich wollte jede Möglichkeit nutzen und ausschließen. Nur dieser Platz konnte meinetwegen ausbleiben. Wie groß war bitteschön die Chance, dass sie sich dort aufhielt? Und überhaupt, warum sollte Tayla dahin zurückkehren? Vielleicht weckte diese Stelle in ihr die umgekehrten Gefühle als bei mir. Womöglich war sie stolz, mich gerettet zu haben, aber bei mir löste der Gedanke, dahin zurückzugehen, eher negative Emotionen aus. Ich stellte mir immer wieder vor, wie ich dort leblos in der kühlen Nacht lag und das machte mir Angst. Es war unheimlich. Ich konnte es irgendwie noch nicht richtig begreifen. Was Tayla getan hatte, überstieg die Logik der Menschen. Zumindest meine. Sie hat das Übernatürlichste geschafft, was sich Menschen nur erträumen konnten.

Ich wollte sie finden, unbedingt. Ich wollte diese Last der Schuldgefühle endlich loswerden, aber das schaffte ich nur, wenn ich wusste, wo die Außerirdische war. Vielleicht wollte ich es auch nur, weil ich ihr etwas schuldete. Schließlich lebte ich dank ihr. Und vielleicht bedeutete sie mir nur deshalb etwas? Ich schloss die Augen und fühlte mich in diesen Gedanken hinein. Es stimmte nicht. Sie fehlte mir wirklich. Ihre herzliche Art, ihre wissbegierigen Fragen - auch wenn diese manchmal nervten. Eine Erinnerung tauchte vor meinem inneren Auge auf. Tayla sprang von einem Gegenstand zum nächsten und starrte sie fasziniert an. Das brachte mich zum Schmunzeln. Ja, ich vermisste sie wirklich. In so kurzer Zeit hatte ich sie bereits in mein Herz geschlossen und wenn ich das sagte, dann sollte das auch was heißen. Sonst ließ ich nicht so schnell andere Personen in mein Leben geschweige denn so nah an mich heran. Genau genommen war Tayla immer noch ein Alien, egal in welcher Gestalt sie vor mir stand. Es gab viele Gründe, warum ich sie finden wollte. Und die Tatsache, dass ein als Mensch verkleidetes Alien irgendwo hier herumtanzte, während sich die Soldaten auf einen Krieg mit ihnen vorbereiteten und ich die Verantwortung für das ganze Schlamassel trug oder mir selbst die Schuld zu schob, machte die ganze Situation zu einer tickenden Zeitbombe. Und gerade ich war mittendrin.

Alienwar - Ist das der Untergang?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt