Nachdenklich

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Joko war nachdenklich.


Neues Jahr. Neues Glück.


Das erhoffte er sich zumindest, als er an seinem Drink nippte und vom Balkon auf die schneebedeckte Landschaft schaute.


Es war der dreizehnte Januar. Sein Geburtstag. Die große 43. Da durfte man nachdenklich sein, beschloss er. Vielleicht auch bis zu einem gewissen Grad sentimental. Realistisch betrachtet war die Hälfte seines Lebens vorbei und was sollte man da anderes sein. Was hatte er in seinem Leben erreicht? Was wollte er noch erreichen? Wie wollte er den Rest seines Lebens verbringen? Die Feiertage waren für ihn diesbezüglich keine Hilfe gewesen.


Zu Hause bei seiner Familie war Joko warmherzig empfangen worden. Sein Vater und seine Schwestern hatten alles versucht, um ihn auf andere Gedanken zu bringen, denn mal wieder war er aus Berlin geflohen. Vor Klaas geflohen und ihrem gefühlt millionsten Streit. Anschließend hatte er diese Tage gebraucht, im Kreise seiner Familie. Zwar konnte er nicht verleugnen, dass es schmerzhaft war, seine Schwestern mit ihren Ehemännern und Kindern glücklich zu sehen, aber wenigstens war er der einzige Versager in diesem Bereich. Er gönnte ihnen dieses Glück von ganzem Herzen. Niemals würde er ihnen dieses Glück missgönnen.

Joko nahm einen großen Schluck von seinem Gin Tonic. Sein Blick wanderte zu der Schachtel, die nur wenige Meter entfernt auf dem Tisch stand und ihn schon seit Wochen quälte.


Beruflich konnte es für ihn gar nicht besser laufen. Wahrscheinlich befand er sich gerade auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Auch die neue Staffel Wer stiehlt mir die Show? erzielte Traumquoten, für die er früher eine Niere verkauft hätte. Jetzt flogen sie ihm förmlich zu. Sein Bauchgefühl ließ ihm zum ersten Mal im Leben bei seinen Investments nicht im Stich und auch mit der Jokolade konnte es nicht besser laufen. Wenn nichts Gravierendes geschah, musste er sich um seine Finanzen nie wieder Sorgen machen.


Viele Menschen beneideten ihn. Sahen zwar nicht die harte Arbeit, die hinter all dem Erfolg steckte, und auch nicht die demütigenden Aufgaben, die er zu Beginn seiner Karriere machen musste, aber sie sahen das Ergebnis. Er hatte durchgehalten und bekam nun die Belohnung dafür. Dennoch schien privat alles den Bach runterzulaufen.


Joko hatte sich Schmittis Worte wirklich zu Herzen genommen. Hatte ausreichend Zeit gehabt, über seine Fehler nachzudenken. Über seine Ängste. Ja, zum ersten Mal konnte er sich eingestehen, dass er richtig Schiss hatte. Was würde passieren, wenn er sich Klaas öffnete und wieder enttäuscht wurde? Das würde er kein weiteres Mal überleben.


Angesichts dessen hatte Joko den Streit angefangen. Die Tür verschlossen, bevor man sie ihm vor der Nase zuschlagen konnte. Diese Taktik packte er nicht zum ersten Mal aus, denn Angst war eine üble Sache. Sie ließ einen Dinge machen und sagen, die einen bis in alle Ewigkeiten verfolgten.

*

„Du manipulierst mich!"



„Was tue ich?"



„Na, mich manipulieren. Du drängst mich in etwas rein, was ich vielleicht gar nicht will."



„Hä?"



Perplex stand Klaas da, sah Joko dabei zu, wie der sich hektisch die Schuhe anzog und anschließend nach seiner Jacke griff. Er musste hier raus. Er wurde panisch. Was hatte er sich nur dabei gedacht? 



„Ich bin dazu nicht bereit, aber du lässt mir ja gar keine Wahl."



„Jetzt warte doch mal einen Moment! Wovon redest du?"



Joko wusste selbst, dass er gerade etwas wirr redete, aber die Gedanken wirbelten nur so durch seinen Kopf. Wie konnte ein harmlos daher gesagtes „Ich liebe dich" ihn so aus der Fassung bringen?



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