Überwältigt

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Joko war überwältigt.

Unaufhörlich blätterte er durch die Zettel. Las jede Zeile ein ums andere Mal. Saugte jedes einzelne Wort auf und verschloss es tief in seinem Herzen. Noch immer konnte er nicht glauben, was er da in den Händen hielt.

So bemerkte Joko nicht, wie die angedrohten fünfzehn Minuten vorübergingen und sich die Tür zum Zimmer öffnete. Er bemerkte auch nicht, wie jemand sich in den Türrahmen zum Balkon stellt und ihn beobachtete. Er bemerkte es erst, als der Stuhl neben ihm sich bewegte und jemand Platz nahm. Aber Joko sah nicht auf. Er konnte den Blick nicht von der Box und ihrem unbezahlbaren Inhalt lösen.

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Matthi. Er hat sich so viel Mühe gegeben und ich... ich glaube, ich hab' noch nie ein schöneres Geschenk bekommen. Er liebt mich. Er liebt mich wirklich."

„Das tue ich."

Erschrocken wandte er seinen Kopf der Stimme zu.

„Klaas?"

„Hey Joko!"

„Was tust du hier?"

„Hast du wirklich gedacht, ich verpasse deinen Geburtstag?"

Sprachlos sah er Klaas an.

„Alles Gute zum Geburtstag, Wintimaus!"

Die Schachtel fiel fast auf den Boden als Joko aufsprang, sie irgendwie noch auf den Tisch warf und Klaas um den Hals fiel. Er drückte ihn an sich und vergrub das Gesicht in Klaas' Haaren. Atmete seinen vertrauten Geruch ein und sog die Nähe in sich auf. Klaas legte seinerseits die Arme um Jokos Taille und erwiderte die Umarmung nicht minder fest. So standen sie einige Zeit einfach da. Joko zitterte in seinen Armen und beabsichtigte nicht ihn so bald wieder loszulassen.

„Du bist hier", hauchte Joko wieder und wieder und konnte es nicht begreifen.

„Ich wusste nicht, ob du mich sehen willst. Matthias hat mir gerade erst grünes Licht gegeben, weil er sich sicher war, dass du das Geschenk aufmachst."

„Du hast mit Matthi gesprochen?"

„Er hat mir von euren Plänen erzählt, als ich ihn wegen deines Geburtstags gefragt hab'. Deswegen sitz' ich seit gestern Nachmittag in einem kleinen Zimmer weit weg von deiner Luxussuite hier und warte auf eine Nachricht."

Joko lachte leise, wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, als er sich widerwillig von Klaas löste. Nicht ganz von ihm löste, denn er behielt eine Hand in seinem Nacken.

„Erst machst du gemeinsame Sache mit Paul und jetzt mit Matthi. Du wickelst meine Freunde ganz schön um den Finger."

„Absolut. So bin ich eben."

„Ich fass' es nicht."

Sie sahen sich an, sahen sich nach so langer Zeit wieder in die Augen. Nicht so, wie vor vier Wochen. Es war ein anderes Gefühl. Aus einer anderen Zeit. Aus einem anderen Leben.

„Ich bin nur ein Junge, der vor einem Jungen steht und ihn bittet, ihn zu lieben."

„Das Zitat ist geklaut."

Leise gesprochene Worte.

„Für mich bist du vollkommen?"

„Das war damals mein Spruch."

„Na ja, gesagt hast du es nicht."

„Schnick Schnack."

Liebevoller Spott.

„Wenn man begriffen hat, dass man den Rest des Lebens zusammen verbringen will, dann will man, dass der Rest des Leben so schnell wie möglich beginnt."

Unbeschriebenes BlattWhere stories live. Discover now