"Was wird an dieser Schule unterrichtet? Wohin gehen wir als erstes?", wandte ich mich an meinen neuen Sekretär, der gerade wie ein Stock neben mir her schlenderte. Wie er ignorierte ich die vielen Blicke, die auf uns lagen, und auch das Geflüster. Mir konnte es egal sein. An all das war ich schon längst gewöhnt, sodass mich Aufmerksamkeit gar nicht mehr jucken ließ. "Die oberste Priorität ist, für dich eine Waffe zu finden. Eine tote Königin hilft niemandem, auch, wenn es dann herrlich still und friedlich wäre.", bemerkte Polo und ich verdrehte demonstrativ die Augen. Still und friedlich gab es nicht in meinem Wörterbuch und ich würde dafür sorgen, dass es das niemals gäbe.
Der Schüler führte mich durch die Eingangshalle zu einem Torbogen. Ich reckte den Nacken, um an seinen Schultern vorbei in den Gang zu spähen, doch gab mit einem leisen Schnauben auf. Uns erwartete eine Treppe hinab ins Reich der Unterwelt, die mit rot glimmenden Leisten versehen war. Todesstill spiegelte der schwarze Marmor die symmetrisch leuchtenden Blutschlieren, an denen wir uns orientierten. "Meister Bancroft wartet bereits auf uns.", benachrichtigte mich mein Begleiter.
Es waren nur meine Schritte zu hören, Klack, Klack, im Rhythmus zu den Absätzen, die immer wieder auf den glatten Stein knallten. Meine Augen verengten sich. Ich konnte seine Schritte nicht hören. Es waren nur meine, die von den hohen Wänden zurückgeworfen wurden und den Gang entlang hallten, bis sie sich in der Ferne verloren. Eine eisige Kälte zog sich über die Haut, doch ich wagte nicht, über meine Arme zu reiben. Stattdessen versteckte ich sie hinter dem Rücken.
Wir gingen und gingen, bis ich bemerkte, dass wir alleine waren. Keine Schüler, keine Lehrer, nichts und niemand. Ich ließ den Blick wachsam von der einen Seite zur anderen schweifen, die Muskeln so angespannt wie eine Bogensehne. Der Flur sah so aus wie jener, aus dem wir noch vor einigen Momenten gestoßen waren! Als ich zur dunklen Silhouette neben mir starrte, war das Gesicht wie aus Stein gemeißelt und das spärliche Licht hatte es einem blutroten Glanz verliehen. Ein rubinrotes Funkeln hatte sich in den bewegungslosen Augen gefangen und tanzte nun einen wilden Tanz auf einer pechschwarzen Bühne. Ich blinzelte.
In jenem Moment, in welchem mental ich der eigenen Neugier aufgeben wollte, machte Polo Halt. Ich musterte die hohe Tür aus dunklem Metall, welches mir nicht bekannt war. Ein metallisches Summen. Die Türflügel verschwanden in den Wänden. Als wir hindurch gingen, ließ ich unauffällig die Fingerkuppen über die glatte Oberfläche streichen. Bildete ich mir es ein oder vibrierte die Oberfläche, als würde ein Motor tief im Innersten sitzen? Mit einem leichten Kopfschütteln entfernte ich wieder die Hand.
"Meister Bancroft.", grüßte mein Begleiter den Mann, der inmitten eines Saales auf uns wartete. Trainingsmatten, Stoffpuppen und Waffen, die sorgfältig an der Wand aufgehängt waren. Sogar einige Zielscheiben standen im Hintergrund. Mein Blick fiel auf den muskulösen Mann, der mich eingehend inspizierte. Seine buschigen Augenbrauen hoben und senkten sich und die braunen Augen blitzten aus zwei tiefen Schatten hervor, als würden sich seine Gedanken darin manifestieren. Neugier. Argwohn. Strenge. Die winzigen Fältchen, die in die raue Haut eingekerbt waren, bewegten sich im Takt, fast schon, als würden sie auf dem wettergegerbten Gesicht tanzen.
Ich setzte ein zuckersüßes Lächeln auf. "Hi.", sprach ich ihn an und der Trainer nickte knapp. Als ich näher trat, musste ich schluckend feststellen, dass dieser Typ ein Zwerg war. Er war locker ein Kopf kleiner und die Muskeln ließen ihn umso klobiger aussehen. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder mitleidend den Kopf schütteln sollte.
"Du musst Regina sein.", wurde hinter dem Bart hervor gemurmelt, über den sich der Fremde strich. "Ja, die bin ich.", erwiderte ich, wenn auch mit distanziertem Ton, während ich mich weiter im Saal herum sah. Es hätten locker ein zwei Blauwale hineingepasst. "Ich habe schon viel von Ihnen gehört.", lautete die ebenso kühle Antwort, unter der ich tatsächlich erzitterte. Ich brachte ein schiefes Lächeln zusammen. "Ich nehme an, nur Gutes.", warf ich zurück und der Unbekannte nickte ein weiteres Mal, während er weiterhin über den Bart strich. "Natürlich, natürlich.", sagte er langsam. Ich biss mir auf die Lippe, um keine feurige Antwort auszustoßen, was fiel diesem Winzling ein? Kein Respekt vor seiner Königin. Ein rebellischer, starrköpfiger Untertan.
Polo räusperte sich und aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie der Kopf des Trainers sich einzog. Vor Überraschung zuckten meine Augenbrauen. Wie eine Schildkröte hatte der ältere Mann den Kopf eingezogen, zwar kaum merklich, aber genug, dass es meinen wachsamen Augen nicht entging. Mein Blick fiel wieder auf meinen Begleiter, der griesgrämige Sekretär Polo. "Lasst uns mit dem Training beginnen. Zuerst brauchst du eine Waffe.", stellte dieser fest und ich legte den Kopf schief. Das Gefühl, er sei der Trainer anstatt der ältere Mann, der teilnahmslos vor uns herum stand und über den Bart strich. Beinahe hätte ich aufgeseufzt, als endlich Bewegung in den Fremden kam.
Jeder einzelne Faser in mir schrie protestierend auf, als ich ihn zur Wand folgte, von der mehrere Waffen hingen. Eine tödlich glänzende Wand, die sich drohend vor uns emporhob. Schwerter, Kampfäxte, Speere. Die Metalle glänzten im Licht der Neonröhren wie stumme perfekt geschliffene Eiszapfen, bereit, sich in Fleisch und Blut zu bohren. Ein kühler Schauder ließ meine Haut kribbeln. "Lass es uns zuerst mit einem Dolch probieren. Eine leichte, handliche Waffe für eine feine Dame.", meinte Meister Bancroft mit hohler Stimme und ließ eine gefährlich funkelnde Klinge von einem der tausenden Halter gleiten. Ein helles Summen schnitt durch den Saal und brachte meine Zellen zum Vibrieren. Meine Augenlider zuckten während ich mich bemühte, nicht die Augen zu verdrehen. Recht hatte er ja. Ich war eine wahre Lady. Aber er lag genauso falsch, wie er richtig lag. Ich war keine Lady, die sich gerne die Hände schmutzig machte. Als mir der Dolch gereicht wurde, verschränkte ich die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf, ehe ich mit spitzen Zeigefinger auf die Waffe deutete. Das Gesicht verzog ich zu einer angewiderten Grimasse. "Das Ding fasse ich nicht an. Mein Fingernagel würde brechen.", kommentierte ich.
Ein Lächeln zupfte an meinen Mundwinkeln. Der Lehrer starrte mich an, die Kinnlade heruntergeklappt und die Augenbrauen gehoben, sodass die Schweineaugen zum ersten Mal aus den Schatten der Augenhöhlen hervor blitzten. Polo stieß ein Räuspern aus. Tadelnd. Doch nicht überrascht, fast so, als hätte er meine Reaktion erwartet. Ich verdrehte die himmelblauen Augen. Was hatte dieser Typ von einer Dame wie mich erwartet?
Bancroft mochte bringen, was er wollte, immerzu bekam er eine Abweisung. Der Herr raufte sich das Haar, ehe er nach einem Bogen griff. "Wie wäre es damit? Der Bogen ist vom besten Material auf dem Markt angefertigt und..." "Nein, ich wiederhole mich nicht gern.", wetterte ich mit energischer Stimme zurück. Er stieß ein Pfeifen zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. "Was darf es denn sonst für die Dame für das werte Überleben sein? Eine Nagelfeile?", schoss er zurück und ich baute mich breitbeinig vor ihm auf. "Hör Mal, eine Nagelfeile ist..." "Schluss jetzt." Stille kehrte in den Saal, ihr Griff so fest und energisch, dass das Fallen einer Stecknadel einen Orkan ausgelöst hätte. Die Muskeln spannten sich an, während mein kleiner Gegenüber den Atem anhielt. Mieser, gemeiner Zwerg. Dem würde ich zeigen, wie gefährlich die Nagelfeile einer Lady... "Hier, nimm das.", richtete der dunkle König an mich und ich blinzelte. Für einige Momente starrte ich ihn an, ehe mein Blick auf die ausgestreckte Hand fiel. Mein Atem setzte aus. Bancroft schüttelte nur fassungslos den Kopf, als hätte er schon längst aufgegeben. "Die Dunkelheit ist dem Tode geweiht. Wir werden alle sterben, und das nur wegen dieser Lady hier, die sich zu fein ist.", murmelte er. Ich reagierte nicht, das Ding in der Hand von Polo hatte meine Aufmerksamkeit mit eisigen Ketten gefesselt und meine Seele in Bann gesetzt. Vielleicht würden wir tatsächlich sterben. Welch eine verkorkste Welt, welch ein groteskes Spiel, welch verrückte Götter. Ich hasste diese Welt, ich hasste alles und jeden an ihr. Sogar den zweiten Turm, Bella. Vielleicht auch mich selbst.
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𝑆𝑐ℎ𝑎𝑡𝑡𝑒𝑛
FantasyEine neue Welt mit eigenen Regeln. Regina muss entscheiden, ob sie sich an jene halten wird oder ob sie für ihre eigenen Regeln kämpfen will. 2/3
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