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Mein Morgen war pink und roch nach Rosen. Wie gewohnt. Ich hatte mehrere Sträuße der besagten Blumen in die feinen Vasen aus Porzellan anrichten lassen und war mit einem Parfum bewaffnet durch die Räumlichkeiten spaziert, die ab sofort als mein neues Zuhause dienen würden. Ein pinkes, glitzerndes Reich, das wie ein französischer Garten duftete. Steinerne Löwen beobachteten meine morgendliche Routine. Es war noch dunkel draußen, doch ein Lichtstrahl durchschnitt stetig die wabernde Dunkelheit der Nacht.

Die Quelle war jener Turm, der wie die weiße Replika dieses Turmes jenseits der Gärten des Internats Tenebris empor ragte, wie er mir erzählt hatte. Im Hintergrund lauschte ich dem Ticken der Wanduhr.

Die Sonne hatte begonnen, den Himmel mit orangeroten, gelbgoldenen und fliederfarbenen Streifen zu überziehen und ließ den Turm aufleuchten wie ein goldener Heiligenschein. Angesichts der Helligkeit musste ich die Augen zusammenkneifen, ehe ich mit einem Knurren nach den Vorhängen griff und sie schwungvoll zusammenzog. Die Sonne war in meinem neuen Leben nicht mehr willkommen, denn ich hatte mich der Nacht hingegeben.

Mit federnden Schritten trat ich in den begehbaren Kleiderschrank und funkelte die graue Uniform an, die bereits an der Stange aufgehängt wartete. Ausgerechnet grau. Da hätte ich noch lieber ein Designerteil der vergangenen Saison angezogen als mich darin blicken zu lassen. Nun, ich hatte keine andere Wahl. Mit zusammengebissenen Zähnen zog ich den Stoff vom Bügel herab und hielt ihn an meinen perfekten Körper.

Die Uniform passte wie angegossen, was ich mit dem unbefriedigten Schnalzen der Zunge feststellte. Egal, wie ich mich drehte und wandte, der Stoff schien sich wie ein Fluss um einen Felsen zu fügen und ihn mit kräftiger, wenn auch schlichter Eleganz zu umschmeicheln. Mit einem schwarzen Haarreifen schob ich die langen Strähnen aus dem Gesicht und starrte das fremde Mädchen im Spiegel an, welches mich provokant, fast schon herausfordernd an funkelte. In den himmelblauen Augen waren Sturmwolken aufgezogen. Es brauchte nur ein Ziel, welches sie anblitzen konnte.

Dies sollten sie bald schon bekommen. Ich zuckte vor Schreck zusammen, als ich Polo erblickte, der lässig an die Wand gelehnt und mit verschränkten Armen vor der Tür wartete. "Guten Morgen.", sagte er und ich starrte ihn vorwurfsvoll an. "Es gehört sich nicht, einfach so vor einer Haustür zu warten. Das ist voll unheimlich. Ich will gar nicht wissen, wie lange du hier schon stehst.", warf ich ihn als Begrüßung gegen den Kopf. Der Kopf des jungen Mannes drehte sich nur in die andere Richtung, als würde er einem Moskito ausweichen wollen. Mit zusammengebissenen Zähnen lockerte ich die Hände. Es war zu früh für seine unmöglichen Frechheiten.

"Ich werde dich zum Unterricht bringen. Ab heute bin ich für dich verantwortlich. Für alles, was du tust, für deine Leistung, dein außerschulisches Leben und schlussendlich auch dein Überleben.", meinte er und meine Augenbrauen zogen sich zusammen bei der Erkenntnis, dass er meinen kleinen Ausbruch schlichtweg ignorierte. Das konnte nur er; und dieser Fakt störte mich wie ein kratziger Pullover im Winter.

Mit einem tiefen Durchatmen lockerte ich die Schultern und erwiderte den dunklen Blick, der auf mir ruhte. "Meinetwegen, auch, wenn deine Regeln echt komisch sind. Dann erfülle mal deine Pflichten, mein liebster Sekretär, und bringe mich zum nächsten Termin." Mit einer ausladenden Handbewegung deutete ich auf den gähnend leeren Gang, auf dessen Marmorboden sich die aufgehende Sonne orange rot spiegelte. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie er die Augen verdrehte. Ein winziges Lächeln zupfte an meinen Mundwinkeln.

Während wir im Fahrstuhl wortlos ins Nichts starrten, ging jeder den eigenen Gedanken nach. Nun, in meinem Fall jagte ich tausenden, vielleicht sogar millionen Fragen hinterher, von denen ich keine einzige beantworten konnte. Was hatte mein Vater mit dieser Welt zu tun? Wer war meine eigentliche Mutter und wer war die Frau, die ich bis jetzt als Mutter bezeichnet hatte? Was passierte, wenn eine Seite verlor? Und vor allem: Was zur Hölle sollte ich jetzt tun? Ich hatte mich blamiert, hatte ein Drama veranstaltet und wurde von niemandem, nicht einmal Polo, respektiert. Außer Bella. Der zweite Turm. So langsam dämmerte mir es und meine Augen weiteten sich, während sich ein verblüfftes Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitete. Das kleine, dürre Mädchen mit den wirren Haaren sollte der zweite Turm sein? Eine der mächtigsten Schachfiguren? Was für ein Witz, über den ich nur den Kopf schütteln konnte. Naja, solange sich die Götter amüsierten. Trotzdem schoss Adrenalin durch meine Adern und vertrieb jegliche Müdigkeit, die noch verzweifelt versucht hatte, sich an mir festzukleben. Eines stand fest: Ich hatte viel zu tun. Sehr viel.

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⏰ Dernière mise à jour : Sep 22, 2022 ⏰

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𝑆𝑐ℎ𝑎𝑡𝑡𝑒𝑛Où les histoires vivent. Découvrez maintenant