Das Ende

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Feuer brach wie eine gewaltige Welle über die bis dato friedliche Stadt. Durchstob die tiefschwarze Nacht und hinterließ eine Schneise der Zerstörung.

Die Drachen durchbrachen die Stadtmauern mit fürchterlichem Gebrüll. Sie waren riesige, schwarze Schatten mit blutroten Augen. Sie fixierten die Menschen und suchten sich ihre Opfer sorgsam aus. Wenn einer in ihrem Visier war, hatte er kaum noch zwei Sekunden zu leben.

Einmal schlug der Schwanz des Drachen, der so lang wie das höchste Haus und so scharf, wie das schärfste Messer, war. Dann glitt er elegant durch die Lüfte und zerschnitt dabei den Wind, der sich wie eine Hülle um ihn wand.

Die Reihen rasiermesserscharfer Zähne konnte man gar nicht zählen, so weit gingen sie in den tiefen Schlund des Drachen hinein. Wenn er brüllte, stellte er all diese zur Schau, bevor ein mächtiger Feuerball sein Maul erfüllte und seinem Opfer damit das Todesurteil unterschrieb.

Das letzte was jene sahen, waren diese Augen, die wie aus der Hölle persönlich zu kommen schienen. In ihnen spiegelte sich die größte Schandtat, die ein Mensch je in seinem Leben begangen hatte. Das letzte, was die Menschen sahen, war der größte Fehler in ihrem Leben.

Mit diesem Gedanken, nahm ihre Seele Abschied von ihrem Körper, um ruhelos zu wandern. Zu wandern, bis ein neuer Körper sich ihr als würdig erwies. Dann jedoch zusammen mit dieser Schuld, die sich tief in ihr drin verankert hatte.

Die Drachen, sie stießen immer weiter vor. Bis in das Herzstück der Stadt kamen sie. Bis zur Festung des ehrenwerten Königs Fayek.

Er hatte die Macht über die größte Stadt im Umkreis von tausenden von Meilen. Er hatte die Macht über das gesamte Königreich und damit über die ganze Welt. Sein Einfluss reichte bis in die entlegensten Winkel der unbekanntesten Länder. Er war die meist geschätzte und berühmteste Person von ganz Elandor. Seine Festung war so gut geschützt, dass sich selbst die Besten regelmäßig in den wirren Gängen verliefen und in ihnen den Tod fanden.

Die Drachen jedoch, die überwanden jene Hindernisse geradezu mit spielerischer Leichtigkeit. Die Anwohner hatten zusehen müssen, wie ihre prachtvolle Festung nach und nach in sich zusammen gefallen war. Wie der Staub in den Himmel stob und das Feuer die dunkelste aller Nächte erhellt hatte, bevor der dichte Rauch alles ins Ungewissen hüllte.

Man hörte nur noch die qualvollen Schreie, die nach außen drangen. Das erstickte Krächzen und das Donnern von mächtigen Pranken. Das Kratzen der spitzen Krallen im Stein und das schmatzende Geräusch, wenn ein Drache sein Fressen fand.

Es war so grausam, dass sich selbst die bis dahin Überlebenden wünschten, sie wären längst tot. Keiner wollte das mit ansehen müssen.

Und mittendrin ein kleines Mädchen.
Es stand verloren in den Trümmern ihres Hauses. Mit vor Schock verzerrtem Gesicht starrte sie auf die rohen Steinblöcke, die mal das Haus ihrer Familie gebildet hatten. Nun war davon nicht mehr viel übrig. Weder von ihrer Familie, noch von ihrer Heimat.

Angst kroch wie kalter Nebel in das Herz dieses Mädchens und nahm damit auch ihre gesamte Seele ein. Tränen rannen ihr in Strömen über das ganze Gesicht. Die Augen waren rot gequollen.

So viele Emotionen wühlten sich durch ihren kleinen Körper, doch das einzige was blieb, war Unverständnis. In ihrem Kopf wollte einfach nicht ankommen, was gerade geschehen war und vor allem wieso das geschehen war. Die Kleine fühlte sich verloren.

Ihr wirres Haar stand ihr vom Kopf ab und ihr Gesicht war voller Dreck. Ihre Kleidung zerschlissen und ihre Augen leer. Sie stand einfach nur da und weinte.

So lange, bis zwei kräftige Arme sie umschlossen und von diesem Ort wegzogen. Sie wehrte sich nicht. Stattdessen genoss sie die Wärme, die von dem Körper ausging und welche sie so dringend brauchte. Dennoch konnte sie die Tränen nicht zurückhalten, während sie vor diesem grauenhaften Schicksalsschlag davon flohen.

Kraftlos klammerte sich das Mädchen an diese kräftigen Schultern, während sie aus dem Chaos hinaus getragen wurde. Er war ihr Retter, ihr Anker in dieser furchtbaren Zeit.

Sanft strich die warme, große Hand des Mannes über ihren Rücken und versuchte sie zu beruhigen. Doch die Bilder, die vor den Augen dieses Mädchens flimmerten, würden nie mehr aus ihrem Kopf verschwinden. In Dauerschleife liefen sie vor ihrem geistigen Auge ab.

Sie bekam kaum mit, wie sie rannten. Unermüdlich in die tiefschwarze Nacht hinein. Nicht wissend wohin es ging und wie es nun weitergehen sollte. Weitergehen nachdem ihr König und ihre Stadt Geschichte waren. Weitergehen nachdem sie alles verloren hatten, was ihnen lieb und teuer war.

Gefangen in Gedanken - KurzgeschichtenWhere stories live. Discover now