Stürmische Fluten

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Zuerst war das Wasser friedlich. Der Ozean erstreckte sich unendlich weit, wollte selbst die entlegensten Winkel der unbekanntesten Länder entdecken. Er breitete vor mir seine gesamte Schönheit aus. Seine ganze Pracht. Ich war ihm untergeben, aber das störte mich nicht. Es war schlichtweg friedlich. Ich war friedlich, geradezu glücklich. Genauso wie das sanfte Plätschern der Wellen, ließ ich mich treiben. Dorthin, wo immer mich der Weg auch führte.

Doch dann kam die Strömung.

Unaufhaltsam versuchte sie mich in die Tiefe zu reißen. Unbarmherzig, ohne Gewissen, und ich, ich konnte mich nicht wehren. Überall war nur dieses Wasser, es benebelte meine Sinne. Panisch schlug ich um mich. Es musste doch einen Ausweg geben, wieso gab es nur keinen?

Für mich brach der Sturm in Form von strömenden Tränen einher. Sie überfluteten mich, nahmen mir die Sicht. Es war das Einzige, was mir geblieben war. Ich kämpfte mit aller Macht gegen die stürmischen Fluten und war doch zu schwach. Mein Geist erdrückte mich. Das Chaos in meinem Kopf, diese Wellen, die brachen ohne Vorwarnung über mich herein. Sie nahmen alles mit und ließen nichts zurück. Nichts außer Chaos.

Ich wurde immer kraftloser. Das Einzige, was ich noch vernahm, war diese Angst, die alles in mir zum Verstummen brachte. Sie nahm mir meine Stimme, meinen Mut, meinen Willen. Alles, was sie zurück ließ, war Leere. Eine Leere, wie ich sie noch nie zuvor in meinem Leben gespürt hatte. Sie hinterließ nichts. Ich begann in ihr zu versinken. In einer Leere, die nichts Gutes verhieß. Ich spürte nur noch eines. Und zwar diesen Schrecken, der schon seit geraumer Zeit in mir existierte, der all mein Handeln bestimmte.

Langsam wurde mein Blickfeld schwarz. Erst verschwammen nur die äußeren Ränder meiner Wahrnehmung, doch dann war da nichts mehr. Mein Kampfgeist war längst erloschen und ließ mich in Finsternis zurück. Ich konnte nicht mehr. Die Strapazen des Weges waren zu groß gwesen, ich konnte diese Bürde nicht mehr tragen. Ich schaffte es einfach nicht. Ich war zu schwach. Die permanente Angst raubte mir noch den letzten Funken Hoffnung.

Jetzt brannte da überhaupt kein Licht mehr für mich. Ich war allein, hatte niemanden, der mir half. Ein letzter verzweifelter Schrei entwich meiner Kehle. So durfte es nicht zu Ende gehen und doch war es so. Die Fesseln meines Geistes hatten mich längst umschlossen und gaben mich nicht frei. Egal wie sehr ich mich bemühte. Die Strömung ließ nicht nach, die Kraft des Wassers erdrückte mich. Zentnerschwer lag sie auf mir.

Unaufhaltsam sank ich dem finsteren Abgrund entgegen. Doch dann. Dann war da eine Hand. Sie hielt mich, während ich fiel. Sie ließ nicht zu, dass ich unterging. Unterging in meinen eigenen Tränen. Es war nur eine Geste und doch bedeutete es so viel mehr. In mir entflammte wieder dieser Wille, den ich schon viel zu lange nicht mehr gespürt hatte. Hilfe. Das war es, was ich gebraucht und bekommen hatte. Sie zähmte die Fluten in meinem Kopf. Endlich herrschte wieder Stille. Frieden.

Jener, den ich schon so lange gesucht und nicht gefunden hatte. Es hatte mehr als nur Kraft bedurft. Es hatte Menschlichkeit benötigt. Ja, Freundschaft. Das kostbarste, noch viel wertvoller als Gold, was es auf dieser Welt zu finden gab. Und ich hatte Glück. Zum rechten Augenblick.

Aus den wilden Wellen wurde wieder dieses sanfte Plätschern. Die Strömung verschwand, das Wasser wurde seicht. Ich war glücklich. Konnte das Gefühl wieder genießen.

Gefangen in Gedanken - KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt