Trauer

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Sanft umspülten die Wellen meine bloßen Füße. Der starke Wind zerzauste meine langen Haare und ließ sie in alle Richtungen davon wehen. Mein dünnes Shirt flatterte aufgeregt im Rhythmus der Böen, während mein Herz ganz langsam schlug. Genauer gesagt hatte ich das Gefühl, es würde gar nicht mehr schlagen.

Doch wäre das schlimmer gewesen als die Situation in der ich mich gerade befand? In diesem Moment war die klare Antwort nein. Die langsam trocknenden Tränen brüllten ihre Zustimmung und meine verquollenen Augen schrien nur so nach Müdigkeit.

Das Wasser versuchte mich zu trösten. Es umschlang meine Füße, versuchte sie zu festigen, damit ich nicht den Halt verlor. Doch dafür war es schon längst zu spät.

Die Wellen wollten mir die Sorgen nehmen und sie dann in den weiten Ozean hinaustragen. Sie in all den Massen verstreuen, sodass sie weit weniger auffielen und unbedeutender erschienen. Doch das waren sie dadurch noch lange nicht.

Das sanfte Orange des Himmels und die beruhigend krächzenden Laute der Vögel taten zusammen mit der tiefstehenden, roten Sonne ihr übriges zu diesem eigentlich geradezu pittoresken Bild, das sich mir bot. Doch mir fiel dies in ebenjenem Moment nicht auf. Wie konnte es auch?

Erschöpft ließ ich mich auf den warmen Sand sinken. Der Strand war, mit Ausnahme von mir, menschenleer. Diese Stelle kannte fast niemand. Sie wurde von hohen Bäumen geschützt, die dieses kurze Sandstück einkesselten und lange Schatten warfen. Ein paar abgebrochene Äste, Kiefern und Blätter tummelten sich in dem weiß am Boden und schmerzen ein wenig, als ich unbewusst auf ihnen saß. Aber das nahm ich kaum war.

Einzig die Trauer und die Angst erfüllten mich und nahmen all meine Sinne ein. Meine Sicht wurde von einem erneuten Ausbruch an Tränen verschleiert und mein Kopf war von dumpfem Schmerz eingenommen. Ich konnte kaum mehr einen klaren Gedanken fassen. Meine Arme hingen schlaff hinunter und auch meine Beine lagen nur nutzlos herum. Ich fühlte mich so kraftlos und hatte keine Ahnung, was geschehen würde.

Ich versuchte, alles auszublenden und doch drangen sich diese furchtbaren Gedanken an die letzten Minuten wieder in den Vordergrund. Wie er da lag. Reglos. Meine Hilflosigkeit und schließlich diese Ahnungslosigkeit, was nun mit ihm war. Ich wusste es einfach nicht und das war das Schlimmste. Ich hatte ihm nicht helfen können. Hatte es nicht verhindern können, sondern tatenlos zusehen müssen.

Ruckartig stand ich auf. Ich durfte jetzt nicht weiter nachgrübeln. Die Schreckensszenarien, die mein Kopf zu spinnen begonnen hatte, mussten sofort aufhören! Schnell zog ich mir mein Shirt über den Kopf. Zum Vorschein kam mein blauer Lieblingsbadeanzug. Ohne groß nachzudenken sprang ich in das Meer, welches mich schon die ganze Zeit zu locken versucht hatte.

Das Wasser spritzte in alle Richtungen, als ich automatisch zu kraulen anfing. Ich wusste nichtmal wohin. Ich wusste nur, dass ich weg wollte. Weg von all den Erinnerungen. All diesen schrecklichen Bildern. Ich wollte einfach vergessen. Das Auto vergessen, dieses polternde Geräusch. Das Kreischen der Bremsen.

Jeder Gedanke ließ mich mein Tempo anziehen. Immer weiter schwomm ich hinaus. Scherte mich nicht darum, wohin es überhaupt ging, sondern versuchte mit der Anstrengung nur meinen Kopf vom Arbeiten abzuhalten. Was allerdings nur mit mäßigem Erfolg gelang.

Ich merkte nicht, wie meine Muskeln immer müder wurden und meine Züge schwächer. Zu sehr war ich damit beschäftigt, all meinen Frust, meine Wut an dem armen Wasser auszulassen, dass durch mich merklich aufgewühlt wurde.

So erkannte ich auch nicht, wie sich fast schon im Sekundentakt meine Umgebung immer mehr verdunkelte und die Sonne hinter dem Horizont zu verschwinden drohte. Die Vögel begannen schon ihr Abendlied zu singen und sich dann wohlig in ihre Nester zu verkriechen.

Die gefährlichsten Kreaturen des Meeres erwachten langsam und suchten sich gierig ihren Weg zur Beute. Doch das fiel mir ebenso wenig auf, wie der Strand, der schon jetzt nicht mehr zu sehen war.

Zumindest so lange, bis ich so müde wurde, dass ich zurück nach Hause wollte und mit einem Blick zurück feststellen musste, dass ich nicht wusste, wo "zurück" überhaupt war.

Gefangen in Gedanken - KurzgeschichtenWhere stories live. Discover now