3 3 | d e r w a h r e p r e i s

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s o p h i e

ICH WAR SO nervös, dass ich befürchtete, ich würde mich jeden Moment in Maries Handtasche übergeben. Das Gejohle der Fans schien das nur zu verstärken, ließ meinen Kopf brummend zurück, während mein ganzer Körper vor Anspannung vibrierte. Flutlichter schienen auf die Rasenfläche, auf die gerade über drei Millionen Zuschauer starrten.

„Ich glaube, ich übergebe mich jeden Moment", äußerte ich meine Bedenken an Marie gewandt, deren Hand ich bereits seit Spielbeginn umklammert hielt. Dana, die auf Maries anderer Seite saß, warf mir einen mitfühlenden Blick zu, während Marie nur lachte.

„Du wirst dich nicht übergeben", kommentierte Marie trocken und tätschelte meine Hand. „Du kannst dich nicht übergeben. Du hast den ganzen Tag vor Aufregung nichts runterbekommen. Wenn du jetzt zu würgen anfängst, wird nichts kommen. Das ist fast peinlicher, als sich wirklich in der nationalen Übertragung des Champions League Finales zu übergeben."

Sie hatte Recht. Wir saßen inmitten des Blocks der Familienangehörigen, der Münchner Spieler und die große Fernsehkamera hatte für meine Verhältnisse bereits einmal zu oft rot aufgeblinkt, als man Zwischeneinschnitte platziert hatte.

„Du musst mehr Bier trinken", kommentierte Levi aus der Reihe hinter uns, wo er neben Noah und Micah saß, die das Spiel ebenfalls gebannt verfolgten. „Dann kommt wenigstens etwas hoch, wenn du wirklich kotzen musst."

Levi reichte mir seinen Becher und ich war verzweifelt genug, um ihn anzunehmen. Ich nippte an der bitteren Flüssigkeit, in der Hoffnung, etwas Alkohol würde diese Tortur erträglicher machen.

Als ein Spieler in einem dunkelblauen Trikot dem Tor mitsamt Ball gefährlich nahe kam, spürte ich wie ein weiterer Arm links von mir sich an mich klammerte. Rot bemalte Fingernägel, passend zu den Vereinsfarben ihres Sohnes, bohrten sich sanft in meinen Oberarm. Robins Mutter sah mindestens mental so mitgenommen aus wie ich. Ich befürchtete, sie würde mir jeden Moment das Bier aus meinem Griff nehmen und es mit einem Zug leeren.

Ich konnte es ihr nicht verübeln. Wir waren beinahe am Ende der Verlängerung angekommen und es stand noch immer 1:1 – es fühlte sich wie das längste Spiel an, das ich je in meinem Leben gesehen hatte.

Ich wollte mir kaum ausmalen, wie es Robin ging. In den warmen Abendtemperaturen Lissabons lief er bereits seit knapp zwei Stunden in Höchstgeschwindigkeit über den Rasen, ohne auch nur einmal sein Tempo zu zügeln.

Obwohl ich nur auf der Tribüne saß, fühlte ich mich, als wäre ich fast genauso außer Atem wie er es sein musste.

Ich zupfte an dem lockeren Stoff meines Trikots herum. Wir alle saßen im Partnerlook in Robins Nummer und mit seinem Namen auf unseren Rücken im Familienbereich des Vereins, sein eigener kleiner Fanclub, den man so schnell nicht mehr verließ, wenn man erstmal Mitglied geworden war. Bis auf Micah – Micah hatte Forsters Namen auf seinem Rücken stehen.

Was wir aber alle gemeinsam hatten – die Anstecknadel mit den Farben des Regenbogens, die wir uns an die Brust gesteckt hatten. Sogar Robins Eltern, die nicht gezögert hatten, als ich ihnen die kleinen Plaketten angeboten hatte. Es schien immer noch nicht genug zu sein, nicht wenn man den Spielern verboten hatte, Farbe zu bekennen, weil man Fußball und Politik nicht vermischen sollte. Es war völliger Schwachsinn, doch es hinderte uns als Zuschauer nicht daran, unsere Stecknadeln anzulegen.

Der Abpfiff ertönte, es wurde eine kurze Trinkpause eingelegt, und dann positionierten die beiden Mannschaften sich vor einem der Tore. Paris Saint Germain würde mit den Elfmeterschüssen beginnen. Ich wusste nicht, ob ich erleichtert oder besorgt sein sollte.

weltschmerz | ✓Where stories live. Discover now