12. Versprechen

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Kayas Augen starrten in die von Kazutora, sein Blick war fragend und so warm, dass sich das Mädchen plötzlich erbärmlich vorkam. Sie wollte ihn nicht die Ohren voll jammern, hatte er selbst doch auch kein leichtes Leben. „Komm schon, du kannst mir alles erzählen", begann der Schwarzblonde und hob eine Hand, um ihr sacht über die Wange zu streichen. Kurz verspannten sich alle Muskeln in ihrem Körper, ihr Atem stockte und die fürsorgliche Berührung brannte wie Feuer auf ihrer Haut.
In ihren Gedanken tauchten die Worte ihrer Mutter auf, ihr Gesicht und die Tränen, die die Ältere damals vergossen hatte. Die unbedeutende Geste von Liebe, die sie ihr geschenkt hatte, die Zuneigung, die nur eine Mutter geben konnte. Ihr Herz begann wild zu pochen und ihre Augen begannen erneut zu brennen.
„Meine Mutter, sie... sie war eine so liebe Frau", konnte die Verletzte ihre eigene Stimme hören. In der kompletten Basis war es vollkommen still, nur ihre eigenen Worte hallten durch die kalte Spielhalle.
Die schlanken Finger ihrer linken Hand umfassten den weißen Stoff von Hanemiyas Jacke, die Dose in ihrer rechten ließ sie einfach auf die Polsterung fallen und klammerte auch diese Hand in die Bandenjacke. „Sie hat es immer am schlimmsten erwischt, Jahre lang prügelte mein Vater diese liebe Frau. Sie hatte uns so oft beschützt und wenn sie es mal nicht geschafft hatte, entschuldigte sie sich bei uns", jämmerlich kratzte Kayas Stimme bei den Erläuterungen. Ein paar stumme Tränen liefen ihr über die Wangen, doch ihre Worte setzten sich einfach fort. „Sie hatte drei Kinder und versuchte diese bis aufs Blut zu schützen, sie hatte uns immer wieder gesagt, wie besonders wir sind und wie sehr sie uns doch liebt."
Ihr Blick glitt an dem von Kazutora vorbei, fixierte etwas hinter der Sitzecke und blieb dort hängen. „Es gab keinen Menschen, dem wir mehr vertrauten. Kein Mensch, der uns mehr bedeutet hatte und niemanden, der mehr für uns getan hatte", ein kurzes Lächeln zeichnete diesen Satz, doch es verschwand genauso schnell, wie es aufgetaucht war. Hinterließ bei dem Mädchen nur eine schmerzende Leere.

Behutsam fuhren die Finger des Delinquenten über Kayas Seiten, strichen beinahe unmerklich über den dünnen Stoff ihres Shirts. Dabei sah er seiner Freundin die ganze Zeit über ins Gesicht, wollte keine Regung verpassen und erkannte einen bitteren Schmerz in den warmen Iriden.
Ihre Mutter klang so vollkommen anders, als seine eigene, so einen Eindruck hatte er selbst nie von dieser Frau. Sie war schon immer feige und drängte ihn selbst in eine Position, die nichts Gutes für ihn bedeutete. Doch Kayas Mutter klang, als wäre sie perfekt gewesen. Sie behütete ihre Kinder und nahm sie als Geschenk an.
„Sie hat uns verlassen, als ich 7 Jahre alt war. Am Tag davor hatte sie uns noch ins Bett gebracht. Sie sagte mir, dass alles gut werden würde, dass sie nicht zulassen würde, dass unser Vater uns weiter Schmerzen zufügen würde. Ihre letzten Worte an mich waren, dass sie mich liebt und immer bei mir bleiben würde." In Kazutoras Ohren klangen diese Worte wie etwas, dass Kaya nicht selbst erlebt hatte, als hätte sie die ganze Situation nur von außen betrachtet und würde nur erzählen, was passiert war. Als Dritter.
„Sie hatte über Nacht alles gepackt und war einfach abgehauen, in der Küche lag ein Brief. Es tut mir leid. Mehr war nicht von dieser Frau geblieben", schloss die Gepiercte monoton ab, klammerte ihre Finger aber tiefer in seine Jacke. Von den Gefühlen zu Beginn ihrer Erzählung war nichts mehr geblieben, nur vollkommene Gleichgültigkeit. Vorsichtig zog Kazu sie weiter an seine Brust, legte eine Hand auf ihren Hinterkopf und strich behutsam darüber. Er wollte nicht weiter nach ihrer Mutter fragen, denn das ganze wirkte auf ihn, als hätte Kaya das ganze vollkommen von sich distanziert. „Und dein Bruder?", erinnerte sich der Junge daran, dass seine Kleine auch ihn erwähnt hatte.
Ein kurzes Zucken durchfuhr den schlanken Leib auf seinem Schoß und der warme Atem, der plötzlich hektisch entgegenschlug, zeigte, dass sie diese Geschichte noch nicht so abgeklärt sah, wie das mit ihrer Mutter.

Auch wenn ihr Bruder schon vor drei Jahren verschwunden war, schmerzte das ganze noch immer als wäre es erst gestern gewesen. Denn an ihrem großen Bruder hing Kaya sehr, er war es, der sich immer zwischen Iroh, sie und ihren Vater gestellt hatte. Er hatte seine Rolle als großer Bruder so ernst genommen, dass er dafür einige Male im Krankenhaus gelandet war. Er war es, der ihr gesagt hatte, sie solle sich in der Schule unauffällig verhalten und derjenige, der ihr das Baseballspielen vorgeschlagen hatte.
„Mein Bruder... er ist... er ist tot", sprach sie aus, wie sein Leben nun aussah. Bei der Erinnerung an diese Tatsache konnte das Mädchen nicht mehr anders und begann von neuem zu weinen.
Sie wollte Kazutora alles erzählen, wenn er schon von ihrer Mutter wusste, würde sie ihm das nicht verheimlichen. Und das, wo nicht mal Iroh davon wusste.
Sie konnte spüren, wie sich die Arme des Größeren etwas fester um sie legten, wie er ihr Halt gab und das, ohne dass sie es verlangen musste. „Daisuke war ein echt schräger Kerl, er prügelte sich ständig mit allen möglichen Typen. Hat geklaut und nur Ärger gemacht, er konnte so gut lügen, dass selbst er manchmal nicht mehr wusste, was jetzt wahr war und was nicht", versuchte sich Iwasaki an die Charakterzüge ihres vier Jahre älteren Bruders zu erinnern. „Dai hatte die Rolle des Beschützers übernommen, nach dem unsere Mutter uns einfach im Stich gelassen hatte. Er war es, der Vater immer zu die Stirn geboten hatte. Doch dafür wurde er nur noch schlimmer verprügelt. Aber er hat nie aufgehört, dem Alten seine Meinung zu sagen", ein kurzes Lachen erklang, als sie sich an eine Situation erinnerte, in der der Ältere ihrem Vater ihr Schulbuch an den Kopf geworfen hatte.
Kaya spürte, wie sie sich etwas entspannte. Seit Jahren hatte sie mit niemandem mehr über Daisuke gesprochen und es tat gut, sich in die schönen Zeiten zurückzuversetzen.
„Er war es ja auch, der Choji angeschleppt hat. Da war ich aber gerade mal 8 Jahre oder so. Die beiden haben sich echt super verstanden und als dann auch noch klar wurde, dass er im selben Haus wohnt, war der Blödian nicht mehr von Dai zu trennen", bei ihren beinahe schon heiteren Worten, setzte Kaya sich wieder richtig auf und blickte in die warmen sandfarbenen Augen ihres Pünktchens. „Du hättest ihn sicher auch gemocht. Irgendwie hat er es immer geschafft andere für sich zu begeistern und dabei war er so ein Tollpatsch." Erneut musste sie etwas lachen, denn ihr großer Bruder ist mehr als einmal bei ihnen im Wohnhaus die Treppen heruntergefallen, oder ist beim Putzen in den Wassereimer getreten.

Leichte Falten bildeten sich auf Kazutoras Stirn, als er ihren Erzählungen lauschte. Denn wenn sie ihren Bruder so sehr mochte, weswegen wollte sie dann nie über ihn sprechen?
Doch, gerade als er zum Nachfragen ansetzte, veränderte sich der Ausdruck auf dem blau geschlagenem Gesicht. Eine Mischung aus Trauer und tief sitzendem Hass breitete sich darauf aus, nahm die Leichtigkeit und den melancholischen Hauch, um die schönen Erinnerungen zu vernichten.
„Doch am 27.11.2002 änderte sich unser Leben. Daisuke hatte Iroh Wochen lang versprochen, er würde uns hier rausholen, er würde mit uns in eine andere Wohnung ziehen, auch wenn das als 16-Jähriger beinahe unmöglich war. Doch der Kerl hatte sich mit einer Gang eingelassen, die ihm genau das ermöglichte. Iroh hatte sich so gefreut, er wollte nur von unserem Vater weg, hatte all seine Hoffnung in unseren großen Bruder gesetzt", ihre Stimme wurde kühl und in den sonst so warmen Augen breitete sich eine eisige Kälte aus.
Gespannt, was geschehen war, horchte Kazutora einfach weiter zu, denn er konnte sich nicht vorstellen, was genau Daisuke getan hatte. Nach allem, was Kaya über ihn gesagt hatte, hätte er seine Geschwister nicht alleine gelassen und noch dazu hatte seine Kleine schon erwähnt, dass er tot war.
„Aber Dai war feige!", verbissen rammte die Schwarzweißhaarige ihre Zähne in die Unterlippe und unterdrückte ein zorniges Zittern. „Ich hab ihn mitten in der Nacht dabei erwischt, wie er seine Sachen gepackt hat. Er wollte einfach ohne uns abhauen, weil der Alte seinen Plan mitbekommen hatte und ihm mit wer weiß was gedroht hatte. Ich hab ihm vertraut, hab darauf gesetzt, dass gerade er so was durchziehen würde. Doch als es ernst wurde, hat er den Schwanz eingezogen und wollte alleine verschwinden", wütend erzählte sie, was damals geschehen war.

„Dad hat uns Streiten gehört und kam dazu, als Dai gerade die Wohnung verlassen wollte, seine Tasche hatte er dabei schon auf dem Rücken und auch einige wichtige Papiere hatte er in der Hand. Die beiden gerieten wieder aneinander, nur dass es dieses Mal anders endete." Die Szene tauchte wieder vor ihren Augen auf, die dumpfen Schläge, die immer wieder auf den bewegungslosen Körper einschlugen. Das Blut, das sich über das starre Gesicht von Daisuke zog und die Schimpfworte, die ihr Vater bei seinem Wutausbruch immer und immer wieder schrie.
„Er hatte Daisuke erschlagen. Ich selbst stand in der Küchentür und konnte nichts tun. In dieser Nacht war es so still wie noch nie in unserer Wohnung", erinnerte sich Kaya und spürte, wie ihr Körper erneut zu zittern begann. Der bohrende Schmerz des Verrats und die Tatsache, dass auch ihr eigener Bruder sie verlassen wollte, kehrte erneut zurück.
„Was der Alte mit Dais Körper gemacht hatte, weiß ich bis heute nicht und Iroh habe ich nie erzählt, dass er uns belogen hatte. Dass er Angst bekommen hatte und uns einfach zurücklassen wollte. Für Iroh ist er noch immer der beste Bruder der Welt und ich will nicht, dass er ihn genau so hasst wie ich", ihre Stimme geriet ins Stocken. „Ich bin echt eine schlechte Schwester. Belüge ihn und verheimliche ihm einfach, was mit seinem großen Bruder passiert ist. Er glaubt immer noch, dass Dai uns irgendwann abholen kommt. Aber ich kann ihm nicht auch noch das letzte bisschen Hoffnung nehmen, er soll nicht werden wie ich", sprach sie und wurde dabei immer leiser. Ihr Körper fiel wieder nach vorne, schlug gegen den von Kazutora und klammerte sich an seine Präsenz.

Ein tiefes Luftholen erklang von Hanemiya, während seine Freundin sich einfach nur an ihn lehnte und wohl noch in den Erinnerungen steckte. Er selbst verarbeitete jedoch auch noch, was sie ihm hier gerade alles offenbart hatte. Nicht nur, dass ihre eigene Mutter sie einfach zurückgelassen hatte und mittlerweile wohl ein schönes Leben ohne ihre Kinder führte. Nein, auch ihr großer Bruder, dem sie so vertraut hatte und der so lange zwischen ihr und dem Alten stand, wolle sie und Iroh einfach bei diesem Mann lassen.
Nach Kayas Worten, wunderte es den Größeren auch nicht mehr, dass sie so ein Problem damit hatte, wenn andere Menschen ihr sagten, dass sie bei ihr bleiben würden. Doch er meinte es genau so, er würde sie nicht alleine lassen, besonders nicht nach dem er nun von ihrer Vergangenheit wusste.
Entschlossen zogen sich seine Arme fester um den schmalen Körper auf seinem Schoß, seinen Kopf legte er dabei behutsam gegen die zerwuschelten schwarzen Strähnen. „Ich gebe keine leeren Versprechen! Irgendwann bringe ich deinen Vater um und dann werden wir zusammen leben. Ich werde dich nie wieder mit so einem Menschen alleine lassen, nicht wie deine Mutter und auch nicht wie dein Bruder! Denn für mich bist du viel mehr, Kaya, du bist mein Herz, ohne dich kann ich nicht leben." Offenbarte Kazu seine Gefühle und seine Pläne.
Für einen kurzen Augenblick rührte sich keiner von ihnen, doch das Bandenmitglied konnte deutlich spüren, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte und ihre Finger sich krampfend an seinen Seiten festhielten.
Schließlich erklang die Stimme des Mädchens wie ein Hauchen: „Versprich es mir... das sind keine wertlosen Worte, oder?"

Zum ersten Mal, seit Daisukes Tod, baute sich wieder Vertrauen zu einem anderen Menschen auf. Etwas sehr fragiles, dass nur mit Taten verstärkt werden konnte. Doch es war da und machte die Drittklässlerin noch verletzlicher, als es Kazutora ahnen konnte.
Die Wärme seines Körpers und die beruhigende Stimme in ihren Ohren nahmen Kaya auch den letzten Hauch an Zweifel. „Keine wertlosen Worte!", bestätigte der Größere.
Wie schön es doch war, sich einem anderen Menschen gegenüber so sehr fallen zu lassen. Einfach nur darauf zu vertrauen, dass dieser sie nicht verletzen würde. Dass er bleiben würde und nicht, wie die Menschen aus ihrer Familie, abhauen würde.
Verzweiflung klammerte sich an dieses winzige Gefühl, von dem die Gepiercte erwartete, dass ihr Pünktchen nicht war, wie ihre Mutter oder Daisuke.
„Kazutora, ich liebe dich!", entkam es der Kehle Kayas vollkommen ungeplant, doch diese Worte entsprachen der Wahrheit.
Sie liebte ihn und das von Tag zu Tag immer mehr. Er hatte sich in ihr Herz geschlichen und mit dem heutigen Abend hatte es der Junge geschafft, auch den letzten zweifelnden Rest ihrer Gedanken zum Verstummen zu bringen.

Überrascht blinzelte der Tätowierte und brauchte einen Augenblick, um die Worte zu verarbeiten. Sein Körper war da deutlich schneller, denn an der Stelle, an der sein Herz saß, begann es heiß zu werden. Der Muskel trieb die Wärme in rasender Geschwindigkeit durch seine Venen und brachte seinen gesamten Leib zum Kribbeln. Kazutora konnte nicht genau sagen, wo das Gefühl am stärksten war, das einzige, dass er mit Gewissheit sagen konnte, war, dass er Kaya jetzt nie wieder ziehen lassen würde.
Denn es war das allererste Mal, dass ein anderer Mensch, ein Mädchen, IHM diese Worte gesagt hatte. Natürlich war er an Mädchen sehr interessiert, doch das alleinige geifern war nicht mit dem jetzigen Zustand seiner Gedanken zu vergleichen. Die warme Stimme hallte noch immer in seinem Kopf wider und erzeugte bei jeder Wiederholung eine angenehme Gänsehaut. Dem Schwarzblonden war nicht klar, dass diese banalen Worte in dieser Reihenfolge von dem Mädchen, in das er selbst verliebt war, eine solche Reaktion bei ihm auslösen würden.
Vollkommen unbewusst, schlang er seine Arme fest um die schmale Taille und zog den Körper dich an sich, drückte ihr seine Lippen mit etwas zu viel Kraft auf, um Kaya zu zeigen, wie glücklich ihn ihre Worte machten.
Ein leises Keuchen erklang und ein paar Hände klammerten sich um seine Oberarme. Nur ganz kurz stieg sie auf den Kuss ein, drückte Kazutora dann aber wieder von sich und sah ihn mit schmerzverzerrtem Gesicht entgegen.
Ihre Augen waren leicht zusammen gekniffen und sie holte scharf Luft, wobei sich eine ihrer Hände gegen die linke Seite drückte. „Pünktchen, nicht so stürmisch", erklang die sanfte Stimme leicht abgehackt.

Hanemiya hatte es geschafft, zielsicher direkt auf die Rippen zu drücken, die von ihrem Vater vor wenigen Stunden noch bearbeitet wurden. Ein stechender Schmerz zog sich ihren Körper entlang und lies diesen leicht nach rechts weichen. Das Luft holen wurde für einige Atemzüge beinahe unerträglich, weswegen sich das Mädchen schwer schnaubend nach vorne beugte und ihren Kopf auf der breiten Schulter ablegte.
„Ich bin froh, dass du so reagiert hast", presste die Kleinere dennoch zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. Denn das war sie wirklich. Jemandem zu sagen, dass man ihn liebt, war neu für Kaya. Zumindest, wenn es ein Mensch war, der nicht mit ihr blutsverwandt war.
Nur sehr langsam, ließ der Schmerz nach und sie lehnte sich ein Stück zurück, zog dabei den grauen Stoff ihres Shirts ein wenig hoch und entblößte damit ihren Bauch. Darauf zog sich ein tief blauer Streifen, auf der linken Seiten, über die unteren Reihen ihrer Rippen.
Kazu zog scharf die Luft ein und hob dann seine rechte Hand, um vorsichtig über die erhitzte Haut zu streichen. „Dein Vater ist wirklich ein Wichser!", brachte der Drittklässler mit einem wütenden Ton hervor. Doch Kaya lachte nur freudlos auf und ließ das Kleidungsstück wieder los, sodass es über seine Hand fiel. „Ich muss nur noch fünf Jahre durchhalten, dann kann ich da raus und nehme Iroh mit. Mit 20 lasse ich diesen Fickfehler hinter mir und werd mich alleine durchs Leben schlagen."
Karamellfarbene Augen trafen auf sandbraune, diese sahen ihr entschlossen entgegen, wobei die kühlen Finger jetzt deutlich vorsichtiger, noch immer über die blau unterlaufene Haut fuhren. „Nicht alleine, du hast mich. Ich lass dich nicht alleine! Wenn wir aus der Schule raus sind, werde ich es irgendwie schaffen, dich da wegzuholen! Nicht mehr fünf Jahre, nur noch vier Jahre. Wenn wir das dritte Oberschuljahr abgeschlossen haben, suche ich uns eine Wohnung und dann musst du ihn nie wieder sehen. Hast du das verstanden? Auf keinen Fall lasse ich dich länger bei dem Kerl, als es sein muss", erklärte Kazutora vollkommen ernst und strahlte bei seinen Worten eine Entschlossenheit aus, die Kaya ein Lächeln auf das Gesicht zauberte.
Die Gepiercte schaffte es zu nickten, mehr brachte sie einfach nicht zustande. Überglücklich über diese Aussuchten, war es die Baseballerin, die ihr Pünktchen vollkommen überschwänglich in einen Kuss verwickelte.

(≧3≦)(^ε ^○)

Samstag, 29.10.2005

Seit Donnerstag, war Kaya nicht eine Sekunde ohne Kazutora. Den Freitag hatten die beiden einfach Schule geschwänzt und sich den kompletten Tag über nur in der Stadt herumgetrieben. Den Abend hatten sie sich wieder in das Versteck von Walhalla verzogen, wo sich das Mädchen erneut mit Kazutoras Kumpels unterhalten hatte. Keiner von ihnen hatte auch nur, mit einem einzogen Wort, ihre Hämatome erwähnt oder nachgefragt. Einzig und alleine Choji hatte ihr immer wieder prüfende Blicke zugeworfen. Jedoch wusste der Blonde auch deutlich mehr und ahnte ganz sicher, woher sie diese hatte.
Interessanter weiße, hatte Hanma ihr angeboten, erst mal im Versteck zu bleiben. Doch das Angebot musste das Mädchen ausschlagen, da sie irgendwann wieder in die Wohnung gehen musste. Alleine schon, weil Iroh auch nicht viel länger bei seinem Freund bleiben konnte. Zwei Tage ging das klar, doch er würde an diesem Abend wieder zu ihrem Vater zurückkehren müssen und es war für die Ältere unmöglich, ihren kleinen Bruder mit dem Monster alleine zulassen.
„Ach Menno, dabei ist es doch so Lustig mit dir", bemerkte einer der Schläger, als das einzige Mädchen auf die Worte des deutlich Größeren einging.
Kaya zog eine Augenbraue in die Höhe und sah dem Brünetten mit einem abschätzenden Blick entgegen. „Lustig? Du findest das doch nur spaßig, weil ich die einzige bin, die du in deinem Lieblingsspiel abziehen kannst!", bemerkte sie und verzog dann die Lippen zu einem etwas eingeschnappten Ausdruck.
Ehe der Ältere darauf reagieren konnte, schwang sich ein Arm um ihre schmalen Schultern und Baji lächelte dem anderen Jungen düster entgegen. „Dafür macht sie dich aber auch in allen anderen Platt!" Da sie sonst nichts zu tun hatte, zockte Kaya seit beinahe 4 Stunden jedes Spiel mit den Bandenmitgliedern, denn Kazutora hatte sich für irgendetwas abgeseilt, dass er alleine erledigen wollte.

Das neueste Mitglied, war erst vor einigen Minuten in der Basis eingetroffen, da er zuvor noch dem Grabmal der Sanos einen Besuch abgestattet hatte. Das musste er einfach tun und dennoch hatte er sich beeilt, um Kaya nicht so lange hier alleine zu lassen. Sein Freund hatte ihm im Groben erzählt, was mit dem Mädchen passiert war und Baji war sich sicher, er wäre auch alleine darauf gekommen, ohne dass der Kleinere es ihm gesagt hätte. Immerhin ahnten alle Walhalla-Mitglieder woher Kaya die Verletzungen hatte, es war ja nichts Außergewöhnliches, dass manche Eltern so drauf waren. Sicher gab es innerhalb der Bande mehr Kerle, die schon so aus dem Haus gegangen waren. Jedoch war Iwasaki ein Mädchen und ihm war klar, dass ihr Charakter genau auf solche Zustände zurückzuführen waren.
Gestern noch hatte die Kleinere den gesamten Abend über die Schlagringe getragen und auch heute hatte sie diese griffbereit in den Jackentaschen. Zu einhundert Prozent vertrauen tat sie wohl nur Choji und Kazutora. Bei allen anderen war sie noch immer sehr vorsichtig. Jedoch wirkte ihre sonstige Einstellung viel zu selbstbewusst, als dass auch nur einer der Vollpfosten bemerkt hätte, wie argwöhnisch sie ihnen gegenüberstand. Ein Fremder, hätte sie wohl zu einem der Mitglieder gezählt, doch war sich das Ex-Toman-Mitglied sehr sicher, Kaya tat das nur, um ihre Zeit zu vertreiben.
„Sag mal, wo ist eigentlich dein Bruder untergekommen? Hab vorhin ganz vergessen ihn zu fragen", harkte der Langhaarige nach und ließ sich wieder in die zerschlissene Polsterung fallen.
Aufmerksam starrten ihn die warmen braunen Augen entgegen, wobei sich ein fragender Blick bildete. „Wie vorhin? Wann hast du den Iroh getroffen?", begegnete Kaya ihm mit einer Gegenfrage und ging nicht auf seine ein.
Ein leises Lachen erklang und Baji fuhr sich durch die Haare, um diese aus seinem Blickfeld zu bekommen. „Ach, hat er dir das nicht erzählt? Wir treffen uns öfter, er will doch die Maschine eures Bruders wieder auf Vordermann bringen. Und weil du ja was dagegen hast, wenn er nach Roppongi geht, schleppe ich ihn halt an andere Orte, wo es nicht so gefährlich ist."

Überrascht wusste die Schwarzweißhaarige nicht, was sie darauf sagen sollte, musste dann aber erleichter lächeln. „Oh verdammt, der hat echt nen Narren an dir gefressen, was? Sorry man, Iroh kann manchmal wie eine Klette sein", entschuldigte sie sich und schüttelte dabei ein wenig den Kopf. Schließlich schnaubte Kaya leise aus: „Ich bin eben kein Kerl, er ist der Meinung ich kapier eh nicht, warum ihm das so viel bedeutet."
Ihr Gesprächspartner grinste sie überzeugt an, dabei blitzen wie üblich die spitzen Eckzähne auf. „Du bist eben seine Schwester und hast nichts mit Motorrädern am Hut. Dem Kleinen fehlt nur ein Kerl, mit dem er sich darüber unterhalten kann. Tja und seine Klassenkameraden interessieren sich leider auch nicht dafür", begann er zu erzählen, was die Gepiercte nur noch verwunderter aus der Wäsche schauen ließ. „Was zum Teufel? Du weißt aber schon einiges über ihn, wie oft seht ihr euch bitte?", reagierte die Mittelschülerin ein klein wenig gereizt, denn ihr kleiner Bruder hatte mit keinem Wort erwähnt, dass er sich so gut mit Baji verstand.
„Keine Ahnung, wenn ich halt Zeit hab. Der will das Teil echt dringen zum Laufen bekommen. Und ne Klette ist er nicht wirklich, eher ziemlich verbissen", erwiderte der Schläger und zuckte leicht mit den Schultern. Diese ganzen Informationen waren vollkommen neu für die Drittklässlerin, doch es beruhigte sie ein wenig, dass es Baji war, mit dem Iroh sich herumtrieb. Denn der Junge wirkte nicht so, als würde er ihn in Schwierigkeiten bringen, auch wenn er in einer Gang war.
„Tz, der soll das Ding endlich vergessen. Als ob wir Geld für so nen Mist über hätten!", beschwerte Kaya sich trotzdem gleich.

Angepisst, schmiss Kazutora dir Tür zur Basis auf und schritt durch die anwesenden Typen, die ihm ohne zu fragen den Weg frei machten. Seine Laune war so weit in den Keller gerauscht, dass er es wohl deutlich nach außen ausstrahlte. Wo sonst ein lockeres Lächeln auf seinen Lippen lag, zeichneten sich jetzt tiefe Wutfalten auf seiner Stirn ab. Diese Hackfresse Draken! Was denkt der sich! Knurrte die Nummer drei in seinen Gedanken und ignorierte dabei vollkommen, was um ihn herum geschah.
Erst als er Baji, gemeinsam mit Kaya auf der verwahrlosten Couch sehen konnte, gelangten seine Gedanken wieder in der Gegenwart an. Das brauchte er jetzt, genau das!
Ohne zu darauf zu achten, dass die beiden sich gerade unterhielten oder um Erlaubnis zu fragen, zog der 15-Jährige seine Kleine am Arm hoch. Ein überraschter Laut erklang dabei, doch ehe Kaya auch nur ansatzweise schimpfen konnte, ließ er sich neben Baji fallen und ließ seine Freundin auf seinem Schoß Platz finden. Noch immer genervt, schlang er die Arme um ihren Körper und drückte seinen Kiefer gegen ihr linkes Schulterblatt. Es tat so unwahrscheinlich gut, ihren Duft zu inhalieren und die Nähe des schlanken Körpers zu spüren.
„Pünktchen? Was ist denn passiert?", fragte das Mädchen augenblicklich nach. Ihr Kopf drehte sich ein wenig, wodurch sie zu ihm zurücksehen konnte. Doch der Größere antworte nicht, öffnete nur seine Augen einen Spalt breit und blickte zu Baji. Sein Freund wusste genau, wo er bis gerade eben noch war, denn ihm hatte er von Drakens Nachricht erzählt.
Das neue Mitglied stützte sich etwas nach vorne und murrte ein leise: „Du kennst ihn doch."
Daraufhin verkrampften sich die Muskeln in Hanemiyas Körper ein bisschen und er verzog erneut wütend das Gesicht. „Mir scheiß egal, als ob wir das nicht durchziehen würden! Mikey hat es nicht anders verdient!", zischte der Walhalla Kapitän bissig. Dass seine Freundin nicht verstand, um was es ging, fand er nicht weiter schlimm. Sie sollte mit dem ganzen nichts zu tun haben, außerdem würde Toman am 31. so oder so Geschichte sein.
Kaya sollte ihn nur wieder beruhigen, so sollte mit ihrer Gegenwart dazu beitragen, dass er sein Ziel nicht zu vorschnell erreichen will. Denn auch wenn er die Motivation dazu hätte, würde es nichts bringen. Er alleine gegen die gesamte Tokyo Manji Gang? Selbst ihm war klar, dass er das nicht schaffen würde. Mikey sollte Sterben! Er war der Feind und wenn er ihn beseitigen würde, wäre er ein Held. Genau so war es. Nicht er war der böse, sondern Mikey.
Als Kazutoras Gedanken langsam wieder dieses Karussell des Hasses verließen, kam ihm etwas vollkommen anderes in den Sinn. Nachdenklich drehte sich sein Kopf ein wenig und er sah in die warmen braunen Iriden, die ihn seit Tagen mit einer solchen Zuneigung ansahen, dass es ihm jedes einzelne Mal den Atem verschlug. Es fühlte sich unheimlich toll an, in ihren Augen lesen zu können, wie sehr sie ihn liebte. Dass er zu ihrem Lebensinhalt geworden war und alles mit ihm teilen wollte. Doch genau hier lag das Problem, Hanemiya war klar, dass er sie am Montag auf jeden Fall von der Gegend um den Schrottplatz fernhalten musste. Sie sollte nicht sehen, wie er Mikey tötete. Bei jedem anderen Menschen war es ihm egal, jedoch sollte seine Kleine diese Seite nicht zu Gesicht bekommen.
„Hey, wie siehts aus? Willst du Montag mit mir ins Kino gehen? Ich zahl auch", grinste er vollkommen entspannt und die Lüge hinter seiner perfekten Maske versteckend. Kaya ließ sich weiter zurück fallen, drückte ihn damit in die Rückenlehne und drehte ihr Haupt so weit, dass sie seine Lippen kurz streifen konnte: „Ein Date also? Ich dachte schon du willst gar nicht fragen, immerhin sind wir doch jetzt wirklich ein Paar."

Vicinity [Tokyo Revengers]Where stories live. Discover now