Nervös

728 12 2
                                    

Joko war nervös. Obwohl nervös wohl noch untertrieben war. Trotzdem war er hier. Zurück in Deutschland. Einen Tag nach Nikolaus. Eine Woche nach ihrer Podcastfolge. Die natürlich Aufmerksamkeit erregt hatte wie keine Folge zuvor. So viele Nachrichten und Reaktionen hatte er seit Ewigkeiten nicht mehr bekommen.

Nicht zum ersten Mal stellte Joko sich die Frage, ob er das Richtige tat. Hatte er zu schnell nachgegeben? Aber richtig nachgegeben hatte er ja eigentlich gar nicht. Egal, wie sehr er es wollte. Egal, wie sehr Klaas gebettelt hatte. Sie konnten nicht einfach da weiter machen, wo sie aufgehört hatten. Dafür war zu viel passiert. Zu viel gesagt worden. Zu viel nicht gesagt worden.

Trotzdem war er hier. Hatte eine Nacht in seiner Wohnung in München verbracht, bevor er weiter nach Berlin gereist war, welches er erst vor gut einem Monat verlassen hatte. Mit dem Gefühl verlassen hatte, dass er lange Zeit nicht wiederkehren würde. Wie schnell sich Dinge ändern konnten.

Joko war viel gereist. Ibiza, Irland, Vancouver, New York, Berlin, Los Angeles. Alte Bekannte getroffen. Freunde getroffen. Hatte den Kopf frei bekommen. Zeit gehabt über sein Leben und seine Ziele nachzudenken. Seine Karriere. Klaas. Am Ende waren seine Gedanken ja doch immer wieder zu Klaas gewandert. Er war ein hoffnungsloser Fall. Nach dem Podcast hatten sie geschrieben. Immer wieder und zu jeder Tages- und Nachtzeit. Bei jeder Gelegenheit. Ab und zu ein Telefonat. Es war wie das Aufholen der verlorenen Zeit. Leicht und doch gleichzeitig bittersüß fühlte sich die Rückkehr zu ihrer Verbindung an. Joko fühlte sich schuldig, dass er das genoss. Durfte er sich nach allem so fühlen? Zwei Herzen schlugen in seiner Brust.

Paul war auch bei diesem Thema sehr deutlich geworden. Aufgezogen hatte er ihn, als Joko das Handy kaum aus der Hand legen konnte. Als eine Nachricht nach der Anderen eingetroffen war und er damit die gesamte Familie Ripke in den Wahnsinn getrieben hatte. Paul hatte ihn rausgeschmissen. Buchstäblich. Ihm das Handy aus der Hand gerissen, als sie abends auf der Terrasse gesessen hatten und ihn rausgeworfen.

„Dude, seriously! Ihr macht mich wahnsinnig! Ich freu mich, dass ihr wieder miteinander schreibt und so. Dass ihr einen Schritt aufeinander zu macht, aber das geht so nicht. Alter! Du bist wie ein Teenie, der seinen ersten Schwarm hat. Du legst das Handy nie weg. Als hätte ich ein neues Kind. Ich freu mich, dass du hier bist. Wirklich. Aber flieg nach Hause. Dein Kopf ist nicht hier, genauso wie dein Herz. Flieg nach Hause und sprich mit ihm von Angesicht zu Angesicht! Macht einen Neustart!"

Joko wollte diesen Neustart. Wollte ihnen eine neue Chance geben und sehen, wo es sie hin führte. Klaas schien zu allem entschlossen zu sein, aber er wollte offen in die Sache gehen. Keine Erwartungen haben. Zumindest keine allzu hohen Erwartungen, denn vielleicht waren sie besser als Freunde und Arbeitskollegen.

Also atmete Joko tief durch und sammelte seinen Mut zusammen, den er unerwartet aufbringen musste um das Gebäude vor ihm zu betreten. Auch das war neu für ihn. Denn da drin war seine Familie. Seine Wahlfamilie, die er viel zu lange im Stich gelassen und ihrem Schicksal überlassen hatte. Jetzt war es an der Zeit die Scherben aufzusammeln, die er hinterlassen hatte.

Nervös spielte Joko mit seinem Schlüssel. Drehte den kühlen Gegenstand zwischen seinen Fingern bis er nicht mehr kühl war. Und dann ging er einfach rein. Betrat die vertrauten Räume. Hörte die vertrauten Geräusche. Sah die vertrauten Gesichter. Und fühlte sich Zuhause. Und konnte die Tränen nicht verhindern.

Sie hielten ihn bestimmt für verrückt. Wie er so da stand und weinte. Aber er konnte nichts gegen die Gefühl machen, die sich ihren Weg nach draußen suchten und ihn fest im Griff hielten. Er fühlte sich schuldig. Jetzt kam alles hoch. Er war schuld, dass es im letzten halben Jahr so chaotisch gewesen war. Er war schuld, dass Prosieben Druck machte und neue Shows verlangte. Er war schuld, dass seine Mitarbeiter sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen mussten. Was hatte er nur getan? Er schob die Finger unter seine Brille und rieb sich die Augen.

Unbeschriebenes BlattWo Geschichten leben. Entdecke jetzt