Part 6

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Mit einem Ohr hörte ich Mr. Lee zu, falls er mich aufrufen sollte, aber meine Gedanken konnten sich wie sonst auch nicht voll und ganz auf seinen Unterricht konzentrieren. 

Ich dachte an Jisung und an sein unerwartetes Auftauchen. Irgendwo habe ich damit gerechnet, dass ich ihn nicht mehr wiedersehen würde, dass er wie ich die Schule gewechselt hatte. Ich freute mich darüber, dass dies nicht der Fall war und das verwirrte mich. Bei dem Gedanken, dass er direkt neben mir saß machte mein Herz einen Satz und ich wusste nicht, was ich von dieser Reaktion halten sollte. Zum einen war ich neugierig und wollte erfahren, was hinter seinem verschwinden steckte und zum anderen wollte ich wissen, was das für eine Anziehung war, die ich bereits an Tag eins zu ihm verspürt hatte. 

Ich verdrehte innerlich die Augen über mich selbst. Wahrscheinlich übertrieb ich maßlos und das was mich zu ihm zog war einfach nur Mitleid, weil ich mich in seine Situation hineinversetzen konnte. 

Wir hatten noch nie ein Wort mit einander gewechselt und uns erst zweimal gesehen, da konnte ich doch gar keine Gefühle für ihn aufbauen. Ja das war unmöglich... oder? Ich war mir sicher, mir das Kribbeln von eben nur eingebildet haben zu müssen. 

Wie Automatisch war meine Aufmerksamkeit komplett von dem Unterrichtsgeschehen auf Jisung übergegangen. Er sah aus dem Fenster. Ich bemerkte, dass er die Mauer die er vorhin hochgezogen hatte, als er meinen Blick bemerkt hatte wieder fallen lassen hat. 

Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er sich wieder der Tafel zuwandte. In der Bewegung begegneten sich unsere Blicke und da war die Mauer wieder. Das Lächeln war so wie vorhin innerhalb von Sekunden verschwunden und der kalte Blick war wieder da. Ich begann mich daran zu gewöhnen. Er hielt meinem Blick stand und ich hatte das Bedürfnis den Blick abzuwenden, doch ich war wie erstarrt. Jisung kam mir zuvor indem er begann in seinem Rucksack zu kramen. 

Der Unterricht zog sich in die Länge und ich begann auf meinem Block herum zu kritzeln hörte aber sofort damit auf, als meine Gedanken um ein Bestimmtes Motiv zu kreisen Begannen. Ich schielte zu Jisung hinüber der den Hefteintrag zu übertragen schien. Wäre noch ein Funken des Selbstbewusstseins von meinem ersten Schultag übrig würde ich noch einmal den Versuch wagen ihm Zettelchen zu schreiben, aber da war nur noch Unsicherheit in mir. Wenn ich ihm noch einmal einen Berg Nachrichten schreiben würde, würde er mich unausweichlich für nervig halten, wenn er das nicht sogar bereits tat. 

Die Pause kam und Jisung und ich saßen schweigend neben einander. Ich wollte nicht auf meinen Platz und ich wollte auch keine Musik hören. Falls Jisung doch noch mit mir Kontakt aufnehmen wollte, wollte ich anwesend sein. Ich konnte ihn natürlich auch einfach ansprechen, aber allein bei dem Gedanken begann alles in mir unruhig zu flattern, also lies ich es bleiben. 

Die Minuten zogen sich dahin wie Kaugummi und wenn ich gedacht hatte, dass der Unterricht bereits langsam verging so änderte ich meine Denkweise. Wenn man einfach nur zwanzig Minuten dasaß und nichts tat, verging diese Zeit um einiges langsamer, als wenn man sich zumindest zwingen konnte jemandem zuzuhören oder Formeln abzuschreiben. Frustriet ließ ich den Kopf auf meine Arme fallen. 

"Ach was! Hält es Mister-ich-bin-ja-so-viel-besser-als-ihr-alle-Park mal wieder für nötig die Schule zu besuchen? Gibt es nicht! Wir alle fühlen uns ja so geehrt! Ich würde jetzt sagen, dass wir dich vermisst haben, aber man soll ja nicht Lügen. Sorry Jijiiii", ertönte auf einmal Sumis Stimme vor uns. 

Langsam hob ich den Kopf und sah in die, zu einem selbstzufrieden Grinsen verzogene, Fratze von Gesicht. Ich fragte mich unweigerlich, wie sie es geschafft hatte, dass die riesen Menge an Schminke auf ihrem Gesicht kleben blieb. Ich verzog automatisch das Gesicht. 

"Würdest du mir die Würde erweisen jetzt auch noch etwas zu sagen? Oder machst du jetzt wie immer wieder einen auf Mitleid. Den Neuen scheinst du mit der Masche ja ganz schön eingelullt zu haben was." Sie beugte sich über den Tisch und hielt die Hand so als würde sie Jisung etwas vertrauliches zuflüstern wollen, das ich nicht hören sollte. Dann begann sie übertrieben Laut zu flüstern. "Ein kleiner Rat Park, weil ich heute so gute Laune habe. Bei ihm würde ich aufpassen Jiji, sonst stellt er sich noch als eine Saesang-Schwuchtel heraus."

Verwirrt runzelte ich die Stirn. Saesang... Das waren doch- Nein, da hatte ich mich bestimmt verhört. Dass sie mich eben eine Schwuchtel genannt hatte verursachte einen kleinen Stich, aber ich verdrängte das Gefühl. In meiner alten Schule hatten sie mich mit schlimmeren Dingen beschimpft, also zwang ich mich dazu, Sumis Worte einfach zu ignorieren. 

Mein Herz wurde schwer, als Jisung wie versteinert dasaß, die Hände zu Fäusten geballt und gegen seine Oberschenkel gepresst. Er hatte die Schultern nach oben gezogen, so als würde er dadurch verschwinden können. Bei genauem Betrachten fiel mir auf, dass seine Augen leicht glasig waren und er zitterte. Sorge überrollte mich, gefolgt von einer brennenden Wut. 

In meiner alten Klasse hatte sich nie auch nur ein Schwein für mich eingesetzt. Sie alle hatten einfach weggesehen oder an der psychischen und physischen Folter teilgehabt. 

Mein größter Wunsch war es gewesen, dass irgendwann mindestens eine Person einmal für mich einstand. Es war nie geschehen und das hatte mich damals so oft beinahe über den Rand der Klippe gebracht. 

Ich wollte nicht, dass sich irgendjemand so fühlen musste wie ich in den vergangenen 10 Jahren. Außerdem konnte ich nicht einfach wegsehen. Das würde mich genauso schlimm wie alle anderen machen. 

Gott wie sehr ich Menschen hasste. 

"Ich wüsste nicht, dass es dich irgendetwas angeht, wann Jisung in der Schule ist und wann nicht. Wenn du noch einmal auf diese Weise mit ihm sprichst, dann werde ich dir eigenhändig die Schminke vom Gesicht kratzen und glaub mir, dass willst du nicht. Wenn die anderen deine hässliche ungefilterte Fratze zu Gesicht bekommen stehst du nämlich ganz schnell alleine da." Ich hatte mich total in Rage geredet und ließ alle Wut raus, welche sich in mir angestaut hatte.

Ich merkte erst, dass meine Stimme immer lauter geworden war als ich in Sumis verschrecktes Gesicht sah, die zwei Schritte nach hinten gewichen war. Ich war von meinem Stuhl aufgesprungen und hatte mich in ihre Richtung gebeugt als würde ich sie anfallen wollen. Verwirrt ließ ich mich in meinen Stuhl zurückfallen. Was war das denn gewesen? So aufbrausend und aggressiv war ich doch sonst nicht.

Um uns herum brandete Getuschel auf. Ich beobachtete jedoch weiterhin jede Regung von Sumi. Sie versuchte ihre Angst und Unsicherheit hinter ihrer selbstgefälligen Miene zu verstecken. Als sie merkte dass es nicht klappte warf sie hilfesuchend einen Blick hinter sich auf der Suche nach ihrem Gefolge. Keiner von ihnen eilte ihr zu Hilfe. 

Wäre sie nicht eben noch so respektlos mit Jisung umgegangen, täte sie mir nun wahrscheinlich leid. Keiner ihrer Freunde schien wirklich hinter ihr zu stehen und sie zu mögen, sie alle wollten nur in ihrer Nähe sein weil sie cool war. Ich verzog angewidert das Gesicht. Was war nur mit unserer Gesellschaft geschehen?

Sumis Blick wanderte wieder zu mir, dann zu Jisung und dann wieder zurück. Ich meinte in ihren Augen Reue und auch Traurigkeit zu erkennen ehe sie sich ohne ein Wort abwandte und aus dem Klassenzimmer stürmte. Die Blicke der Klasse folgten ihr, bis sie aus ihrem Sichtfeld verschwunden war und ich meinte einige gehässig kichern zu hören als die Türe hinter ihr zugeknallt war. Mein Blick wanderte zu Puma die mich mit großen Augen anstarrte und schließlich Sumi hinterher hastete. 

Als die beiden verschwunden bleiben wurde ich wieder Zentrum der Aufmerksamkeit. Unsicher sah ich mich im Klassenzimmer um und begann mit meiner Hand gegen meinen Oberschenkel zu klopfen, eine Angewohnheit in Stresssituationen. Mein Herzschlag beruhigte sich erst wieder, als Augenpaar um Augenpaar sich von mir abwandte.  

Heute war echt kein guter Tag. Ich ließ meinen Kopf wieder auf die Tischplatte fallen und schloss die Augen, versuchte auch ohne Musik für kurze Zeit alles um mich herum zu vergessen. 

Ich war gerade dabei einen Song in meinem Kopf zu singen als ich etwas neben mir Rascheln hörte. Ich hatte aber nicht die Kraft nachzusehen woher es kam. Es war mir auch egal. Ich wollte einfach nur noch nach Hause in mein Bett, dass ich an diesem Tag nicht hätte verlassen dürfen. 

Ich driftete gerade ins Land der Träume, als ich auf einmal einen Oberschenkel an meinem Spürte. 

Just Want To Start Again//NCT DREAM ffWhere stories live. Discover now