[Prolog]:[ein Donnerstagabend]

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Er sah sie das erste mal an einem dieser verhassten Donnerstagabende. Sie stolzierte durch die Gänge wie eine Göttin, die zu den Sterblichen hinabgestiegen war, gnädig ihnen die Hand reichend, ihnen einen Bruchteil ihrer wertvollen Aufmerksamkeit schenkend, um dann mit deren Gaben weiterzuziehen. Zu den Sterblichen am nächsten Tisch, die sie mit derselben Begeisterung empfingen.

Aber keiner von den Sterblichen an diesen Tischen erkannte die Göttin in ihr; sie sahen lediglich eine Dragqueen. Hitze stieg in ihm auf, er spürte den Irrsinn an seinem Gehirn um Einlass klopfen, als er sich dachte, dass ihr niemand auf gerechte Weise huldigte.
Aber vielleicht spürte er auch lediglich das, was all die Propheten bei ihren göttlichen Eingebungen gespürt hatten.

Vielleicht war es auch nur der Alkohol und der Zweifel, der an solchen verhassten Donnerstagabenden in seinen Adern lungerte, der ihn dies spüren ließ. Doch dieser Zweifel verstummte bei dem Anblick der strahlenden Gestalt vor ihm.

Er wusste nicht, wie er hier gelandet war. Seine Füße hatten ihn einfach getragen, während er denselben Gedanken nachging, die an solchen verhassten Donnerstagabenden in ihm spukten. Jetzt kam es ihm wie Schicksal vor.

Hätte er sich nicht in die geschützte Ecke, umgeben von Polstern und Vorhängen, begeben, so hätte ihn seine Göttin vermutlich gleich ertappt und seine Eingebung erkannt. Vielleicht war es gut so; so könnte er dieser berauschenden Prophezeiung vielleicht einfach entfliehen. Weder gut noch menschlich konnte so viel Emotion sein.

Tosender Applaus holte ihn aus seiner Trance. Im nächsten Moment war seine Göttin hinter einem Vorhang verschwunden und er verfluchte sich dafür, nur ihr großes Ganzes und nicht jedes kleinste Detail ihrer selbst absorbiert zu haben.

Er musste hier raus. Wenn ihre Kraft so stark war, seinen verhassten Donnerstagabend zu verzaubern, dann musste das Hexenwerk sein. Auch wenn es sich wie der Himmel auf Erden anfühlte - oder vielleicht genau deswegen.

Hektisch stand er auf. Eine Frau, die wohl seine ruckartige Bewegung wahrgenommen hatte, zischte ihm zu: "Man genießt nicht einfach eine Performance und haut dann ab!"
Ertappt starrte er sie an. "Da hinten", sie zeigte neben die Bar, "da stehen die Trinkkassen der Queens. Kat Candys ist die mit der bonbonfressenden Katze."

Als er vor den Kassen stand, klang ihr Name immer noch in seinen Ohren. Kat Candy. Die Ägypter hatten Katzen ebenfalls verehrt.
Er öffnete seine Brieftasche und fünf Hundertdollarscheine blickten ihm entgegen. Seit wann hatte er so viel Bargeld dabei? Es musste wohl ein Zeichen sein. Obwohl ihm seine Göttin noch viel mehr wert gewesen wäre als fünfhundert Dollar.

Sie sollte es als Entschuldigung sehen, dass er nicht mehr wiederkommen würde. Ob sie wohl Blasphemie verzeihen könnte?

Gott, er wurde verrückt, dachte er sich, als er aus dem Farbspiel hinaus auf die Straße trat. Aus seinem verhassten Donnerstagabend war ein einfacher Donnerstagabend geworden - beinahe schon ein guter Donnerstagabend, doch dieses Geständnis verbot er sich. 

Kat Candy. Er hob den Kopf. Edge of Glory leuchteten ihm die lila Reklamebuchstaben entgegen. Ja, vermutlich hatte er das Ende seines Ruhmes erreicht. Morgen würden ihn starke Kopfschmerzen neben dem sonst üblichen schwammigen Magen begleiten; das würde ihm von diesem Abend bleiben und das wäre auch gut so.

Am nächsten Morgen begleiteten ihn tatsächlich Kopfschmerzen durch den Tag. Seine Prophezeiung des gestrigen Abends schob er auf sein besonderes Bedürfnis nach Bestimmung an Donnerstagabenden. Doch Kat Candy verließ ihn nicht. Und auch wenn er ihr blasphemisch ihre Göttlichkeit absprach, so änderte das nichts:

Jeden weiteren verhassten Donnerstagabend pilgerte er zum Ende seines Ruhmes, in der - erst unruhestiftenden, dann friedlichen - Gewissheit, dass dies nun für immer lediglich ein Donnerstagabend sein würde.

EDGE OF GLORY ǁ ᵞᴼᴼᴺᴶᴵᴺWhere stories live. Discover now