Kapitel 6

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22.1.2022 - 16:30

Seit ich von meiner Fahrstunde nach Hause gekommen bin, schreibe ich mit Dario. Ich habe ihm anvertraut, was mir im Moment Sorgen macht. Zumindest die Sachen, die nicht ihn betreffen. Natürlich weiss ich, dass es einfacher wäre, die Punkte, die mir Sorgen machen einfach bei ihm anzusprechen. Dann könnte er mir ehrlich antworten und ich wüsste mit Sicherheit, wo ich bei ihm stehe.

Dario reagiert sehr verständnisvoll auf die Sachen, die ich ihm erzähle. Er sagt aber auch ehrlich, wenn er etwas nicht verstehen oder nachvollziehen kann. Dadurch habe ich den Entschluss gefasst, dass ich ihn Heute fragen will, ob er nächsten Samstag einen Harry Potter Filmmarathon machen möchte.

Was meinst du, wollen wir nächsten Samstag gemeinsam Harry Potter schauen? 😊

Habe ich ihm geschrieben.

Ich versuche mich so gut wie möglich mit Lesen abzulenken. Jedoch will das nicht so gut funktionieren und ich muss die Buchseite mehrfach lesen. Und trotzdem ist das Gelesene noch immer nicht in meinem Kopf angekommen.

Denn mein Kopf ist momentan gefüllt mit Gedanken wie: Was wenn er mich versetzt? Was wenn er jetzt gar nicht mehr mit mir schreiben will? Was wenn ich es jetzt völlig versaut habe?

Verzweifelt schnaube ich. Ich will diese Gedanken gar nicht haben. Ich hasse sie. Sie ziehen mich runter.

«Ich bin noch etwas draussen.» rufe ich in Richtung des Wohnzimmers. «Okey» kommt prompt die Antwort meiner Mutter.

Ich ziehe mich dick an, mit Schneejacke, Mütze, Handschuhe, Stiefel und nehme noch eine Decke mit.

Draussen suche ich mir eine ruhige Ecke und kuschle mich mit der Decke und meinem Buch ein. Mit der frischen Luft kann ich schon viel besser meinen Kopf abschalten. Und kaum habe ich das geschafft, vibriert mein Handy.

Ja, können wir sehr gerne machen 😊

Hat Dario mir geantwortet. Ich stehe kurz vor den Tränen. So ehrleichtert bin ich. Er will sich also auch mit mir treffen. Das ist schon mal gut zu wissen. Jetzt kommt jedoch die Panik vor dem ersten Treffen. Wir werden nur zu zweit sein. Keine Tanja, keine anderen Kollegen. Ja meine Eltern werden beim Mittagessen dabei sein. Aber vorher hole ich ihn bei sich Zuhause ab und das bedeutet 30 Minuten gemeinsam in einem Auto ohne Ausweg. Und entweder werden wir viel zu reden finden und uns super verstehen oder es werden 30 Minuten in peinlicher Stille.

Darüber will ich mir jetzt jedoch noch keine Gedanken machen. Ich werde es sicher nicht verhindern können, aber ich werde versuchen mich davon abzulenken. 

23.1.2022 - 10:00 

Ich kann es einfach nicht glauben. Der Tag hat eigentlich gut angefangen. Ich bin mit meinem Vater probeweise nach Oppigen gefahren, dass ich es nächsten Samstag ohne Probleme finden werde. Und noch auf dem Weg, hat meine Mutter angerufen und gesagt, dass sie ein schweransteckendes Virus erwischt hat.

Das bedeutet für die ganze Familie fünft Tage zuhause in Quarantäne bleiben. Das heisst, ich muss meine Fahrprüfung verschieben. Und das heisst, ich kann Dario am Samstag nicht abholen gehen.

So ein verdammter Bockmisst. Für einmal wäre alles in meinem Leben perfekt gelaufen und dann muss so etwas kommen. Es war so klar, dass es einfach zu gut läuft gerade.

Ich werde die ganze nächste Woche verpassen. Ich werde meinen letzten Arbeitstag in der Kita verpassen. Ich werde meine Fahrprüfung verpassen. Meine Gedanken drehen sich nur noch darum. Ablenkung ist unmöglich.

Gerade das ich meinen letzten Arbeitstag in der Kita verpassen werde, bevor ich wechsle, ist hart für mich. 1 ½ Jahre meiner Ausbildung habe ich dort absolviert. Das Team und die Kinder sind mir ans Herz gewachsen. Und jetzt sind sie plötzlich alle kein Teil mehr meines Lebens. Ich freue mich natürlich auf meine neue Arbeit und vor allem auf das zusammenarbeiten mit Schulkindern. Jedoch hätte ich den klaren Schnitt gebraucht, nach der harten Zeit dort.

War das alles nur ein Spiel für dich?Where stories live. Discover now