10 - Meine Schuld, deine Schuld

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Kent, Drew, Bobby und ich saßen im Warteraum der Notaufnahme. Ich zitterte, obwohl ich meinen dicken Mantel trug. Wir starrten alle ins Nichts.

Sie hatten Rosie mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht. Wir dürften nicht mitfahren, nicht einmal Bobby. Er machte sich Vorwürfe, dass er sie nicht beschützt hatte. Wir alle hatten diese Schuldgefühle, doch keiner außer mir wusste, dass ich allein schuld war.

Diese Wette war schuld. Dass ich Parker kennengelernt und ihn versetzt hatte, hatte auch dazu geführt. Dieses Arschloch. Ich hatte noch nie so viel Hass für eine Person empfunden. Wie hatte ich mich so in ihm täuschen können? Er hatte sie vergewaltigt. Und das auf brutalste Art und Weise. Ich hatte nie glauben wollen, dass er wirklich Menschen gab, die von Grund auf böse waren, doch der heutige Abend hatte mich eines besseren belehrt. Menschen konnten Monster sein. Triebgesteuerte Wesen, deren alles egal war. Auch Parker hatte man ins Krankenhaus gebracht.

Unsere Geschichte, dass er die Verletzungen durch Notwehr erlangt hatte, glaubte man uns.

„Es ist meine Schuld", sagte ich und starrte auf meine Finger.

Dieser Warteraum war grausam. An den Wänden hingen all diese furchtbaren Gemälde, die italienische Gässchen zeigten und einen vorgaukeln wollten, wie toll das Leben doch angeblich war. So eine Lüge!

„Es ist nicht deine Schuld", sagte Drew entschieden.

Wir alle hatten unsere Streitigkeiten für diesen Abend bei Seite gelegt. Selbst Bobby und Kent sprachen wieder miteinander. Uns verband die Sorge um Rosie und alles andere war unwichtig.

„Doch, ist es", entgegnete ich.

Ich musste mir das von der Seele reden. Ich hielt das nicht aus. Ich konnte das nicht mehr für mich behalten.

„Du konntest nicht ahnen, dass dieser Parker so etwas tut", sagte Drew sanft.

Ich schniefte. Ich fühlte mich so unglaublich schuldig.

„Nein, das nicht, aber sie hat sich nur an ihn rangemacht, weil wir eine Wette hatten."

Die Drei sahen mich nun an. Sie ahnten schon Schlimmes. Ihre Blicke wirkten verängstigt. Angst vor dem, was ich als nächstes sagen würde.

„Was für eine Wette?", fragte Bobby scharf.

Ich schluckte schwer. Das würde Ärger geben, aber ich konnte es nicht für mich behalten. Rosie und ich hatten Scheiße gebaut und sie war diejenige, die darunter leiden musste.

„Es war Rosies Idee. Wir hatten so einen Deal. Wer zuerst in New York entjungfert wird, gewinnt."

Es hörte sich so bescheuert an, wie ich das sagte. Was hatten wir uns nur dabei gedacht? Wieso hatte ich mich darauf eingelassen? Den Jungs hatte es die Sprache verschlagen. Sie starrten mich ungläubig und mit offenen Mündern an.

„Ihr habt was?", fand Drew als erstes die Sprache wieder. Es klang eindeutig ein Vorwurf in seiner Stimme mit.

„Ich weiß, es war dumm. Es war so unglaublich dumm."

„Deshalb hast du dich an Parker rangemacht! Weil du dein erstes Mal hinter dich bringen wolltest? Wegen einer Wette? Seid ihr völlig bescheuert?", mischte sich nun Bobby ein.

Beschämt sah ich zu Boden und nickte.

„Rosie wurde deswegen vergewaltigt! Meine Schwester!", brüllte Bobby und sprang wütend von seinem Stuhl auf. Wir hatten nun die Aufmerksamkeit von allen, die ebenfalls mit uns ihr warteten.

„Ich konnte doch nicht ahnen, dass das passiert!", verteidigte ich mich halbherzig.

Bobby lief aufgeregt hin und her.

„WIESO?", brüllte er in meine Richtung. „Was habt ihr euch dabei gedacht? Wieso baut ihr immer so eine Scheiße?"

Nun stand Drew auf und ging zu Bobby. Dieser konnte sich gar nicht mehr beruhigen.

„Guck dir an, was mit Rosie deshalb passiert ist! Man hat sie vergewaltigt!"

Viele Augenpaare sahen uns erschrocken an.

„Ich weiß, dass es scheiße gelaufen ist, aber jetzt schrei deshalb nicht Sunny an. Dieser Parker ist schuld und niemand anderes!", stand Drew mir nun bei, wofür ich ihm unglaublich dankbar war.

Bobby funkelte mich böse an. Er gab mir zumindest eine Mitschuld.

„Sie hätte es verhindern sollen! Guck dir an, was mit Rosie passiert ist. Nur wegen Sunny, war dieser Scheißtyp in ihrer Nähe! Deshalb konnte er sie überhaupt vergewaltigen! Es hätte Sunny treffen sollen und nicht meine Schwester!"

„HEY!", riefen Kent und Drew sofort im Chor. „Hör auf so einen Scheiß zu labern!"

Damit war Bobby eindeutig zu weit gegangen. Er liebte seine Schwester, aber das gab ihm nicht das Recht mir eine Vergewaltigung zu wünschen. Drew packte Bobby unsanft am Arm und zog ihn aus dem Warteraum. Ich sah durch die Glastür, wie sie in Richtung Cafeteria verschwanden.

Tränen kullerten über mein Gesicht. Bobby hatte Recht. Nicht damit, dass es mich hätte treffen sollen, aber damit, dass ich eine Teilschuld hatte. Vielleicht hatte es Parker wirklich aus Rache getan. Und selbst wenn nicht: Er hatte Rosie nur wegen mir kennengelernt. Nur wegen mir hatten sie sich kennengelernt Ich war schuld daran, dass meine beste Freundin vergewaltigt worden war.

„Es ist nicht deine Schuld", flüsterte Kent mir zu, während uns die Leute um uns herum immer wieder seltsame Blicke zuwarfen.

„Aber ich trage eine Teilschuld."

Er nahm meine Hand.

„Nein, tust du nicht! Diese Wette war scheiße und das war verdammt dumm, aber deshalb hast du keine Schuld! Merke dir das! Du hast keine Schuld!"

Ich wischte mir meine Tränen weg, doch sofort kamen neue.

„Wieso seid ihr nur so besessen davon eure Unschuld zu verlieren?", fragte Kent nach einer Weile des Schweigens. „Ich versteh das nicht."

Ich sah zu ihm. Kent wirkte müde.

„Weil es alle schon getan haben. Selbst die Looser an unserer Schule hatten schon Sex. Wir wollten es einfach endlich hinter uns haben und nicht als Jungfrau ans College gehen."

Kent, der auf eine andere Schule als Rosie und ich ging, schüttelte unverständlich mit dem Kopf.

„Nehmt euch doch nicht ein Beispiel an all diesen Schlampen!"

„Es geht nicht nur um die Schlampen. Wir haben so eine graue Maus an der Schule, die eigentlich nicht mal Freunde hat: Hazel Richards. Selbst die hatte schon Sex! Als wir erfahren haben, dass selbst sie keine Jungfrau mehr ist, hat das irgendwie alles seinen Lauf genommen."

Er runzelte die Stirn.

„Meinst du nicht, dass viele es einfach nur sagen und in Wirklichheit noch nie einen Mann nackt gesehen haben?"

Ich schüttelte den Kopf.

„Hazel Richards ist schwanger! Und wenn selbst sie schon Sex hatte, wollten wir es eben auch."

Kent war auf einmal blass geworden. Als er merkte, wie ich ihn beobachtete, riss er sich zusammen.

„Ihr solltet dann Sex haben, wenn ihr euch dazu bereit fühlt und nicht weil irgendeine Streberin sich einen Braten in die Röhre schieben lässt!", sagte er entschlossen.

Dann stand er auf und ging zum Snackautomat.

Wir waren 5Where stories live. Discover now