0 1 | s c h w e i g e n d e r ä u m e

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Sofort saß ich etwas gerader. "Ich bin Künstlerin."

Das ließ Leon etwas aufhorchen. Seine Augenbrauen wanderten in die Höhe. "Und hauptberuflich?"

Das war's. Egal, wie sehr ich Micah mit dem The Rock Kommentar gekränkt haben mochte, dieses Date hatte ich nicht verdient.

"Künstlerin", wiederholte ich eisern, doch ich wusste bereits, worauf dieses Gespräch hinauslaufen würde. "Ich bin Künstlerin."

Sofort wanderten Leons Augen, die über meine Beine gehuscht waren, wieder zu meinem Gesicht hinauf. "Oh, Himmel. Also von der Künstlersozialkasse abhängig."

Meine Züge entgleisten mir. "Wie bitte?"

Er verzog das Gesicht, beinahe als wäre es ihm unangenehm, mir das sagen zu müssen. "Nimm es mir nicht übel... Sophie–" Hatte er gerade wirklich nach meinem Namen gerungen? "–Aber ich muss genug Steuererklärungen von selbstständigen 'Künstlern' gegenprüfen, um zu wissen, dass es eine fruchtlose Tätigkeit ist. Vielleicht solltest du dir das nochmal überlegen. Oder willst du dein ganzes Leben von der Hand in den Mund leben? Ich bin mir sicher, deine Bilder sind ganz hübsch, aber im Zeitalter der Fotokopierer und Handykameras wird wohl keiner mehr sonderlich viel Geld für ein Bild ausgeben."

Okay, das hier war ganz offiziell mein letztes Date für meine gesamte restliche Lebensdauer. Männer waren scheiße. Ich nahm mir vor, Micah das zu sagen. Vielleicht sollte er doch noch etwas herumexperimentieren. Die Hoffnung bestand, dass er Frauen vielleicht doch noch etwas abgewinnen konnte. Oder vielleicht sollte ich mal versuchen, das Ufer zu wechseln...

"Vielen Dank für diese professionelle Einschätzung", erwiderte ich und musste mich zusammenreißen, um nicht sein langweiliges Hemd und seine Vorliebe für einen Sport zu beleidigen, in der zweiundzwanzig Männer einem Ball hinterherjagten und dafür Millionen bekamen. "Aber ich komme eigentlich ganz gut klar. Willst du meine Einkommenssteuererklärung aus dem letzten Jahr sehen? Deine Kollegen vom Finanzamt haben sich im Gegensatz zu dir gefreut, als sie gesehen haben, wie viel sie mir abziehen dürfen."

Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Ich hätte wissen müssen, dass dieses Date ein absoluter Reinfall werden würde. Denn alles, was ich spürte, als ich in Leons dämlich monotones Gesicht sah, war Sehnsucht. Aber nicht nach ihm, seiner Berührung, seiner Zuneigung. Sondern nach Robin.

Es war lächerlich, ganz und gar. Aber jeder Mann auf dieser Welt, egal wie spannend und egal wie umwerfend, hatte ein ganz großes Manko – sie alle waren nicht Robin. Und es nützte nichts, dass ich mir das letzte halbe Jahr über eingeredet hatte, dass ich ihn nicht mehr brauchte, ihn nicht mehr vermisste. In diesem Moment war die Sehnsucht nach ihm so groß, dass seine Gestalt, die gerade wieder auf das Spielfeld lief, nicht ausreichte.

"Versteh mich nicht falsch", erwiderte Leon, etwas überrascht von meinem Kommentar. "Ich finde es süß, dass du an der Kunst interessiert bist. Ich mag Fußball zum Beispiel auch. Aber ich bin kein Robin Jung. Ich weiß, dass meine Chancen, erfolgreich zu sein, so schmal wären, dass ich wahrscheinlich beim Versuch verarmen würde. Ich sage nur, dass du wahrscheinlich nicht der nächste Van Gogh wirst. Dass du etwas realistischer sein solltest."

Ich wollte auflachen. Weil es so ironisch war, dass er sich mit meinem Exfreund verglich, ohne es zu wissen. Manchmal hasste ich das Universum und die blöde Bundesliga, die ihn auf so ziemlich alle Plakate und Shampooflaschen druckte, an die sie nur die Finger bekamen. Es war einfacher, über jemanden hinwegzukommen, der einem nicht von jedem Supermarktregal aus anlächelte.

"Ich denke an dich, wenn ich mein Hartz IV beantrage", antwortete ich mit einem bitteren Lächeln. Gott, ich würde Micah erwürgen.

Leon sah mich beinahe angewidert von der Seite an. "Findest du das lustig? Dem Staat aus Faulheit, sich einen richtigen Beruf zu suchen, auf der Tasche zu liegen, ist nicht unbedingt mein Humor."

weltschmerz | ✓Where stories live. Discover now