Kapitel 5

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Die Vögel zwitschern munter, das Laub nimmt langsam aber sicher herbstliche Farben an und ich sitze mit Kalle und Artemis auf einer Wiese in unserem Lieblingsort im Park. Es könnte nicht schöner sein.

„Ich brauch auch 'nen Freund", sagt Artemis und trinkt einen Schluck von dem Whisky, den Merlin ihr geschuldet hat. Ich gebe ihr ein Zeichen, dass ich auch einen Schluck trinken möchte. Immerhin hat sie nur durch mich die Wette gewonnen.

„Wo ist Merlin eigentlich?", frage ich, denn er wollte ursprünglich auch kommen.

„Der hängt mit Freya rum." Artemis verdreht die Augen und bringt damit Kalle zum Lachen. Sofort fällt mir auch, wie gut die beiden zusammen passen würden. Doch gleich darauf verbanne ich diesen Gedanken in die Hölle. Kalle ist viel zu lieb und gutgläubig für Artemis. Sie braucht jemanden, der die gleiche Liebe für Schallplatten empfindet und der genauso ein freiheitsliebender Mensch ist wie sie.

„Die Liebe kann man nicht suchen, sie findet dich", mein Kalle, worauf auf Artemis erneut die Augen verdreht. „Wo hast du das denn gelesen?"

Kalle zuckt mit den Schultern. „Weiß ich nicht mehr. Aber ich glaube, ein Lehrer hat das früher immer im Aufklärungsunterricht gesagt." Er wird leicht rot und starrt seine Schuhe an.

Ich stupse ihn leicht an. „Ich wusste gar nicht, dass es Lehrer an unserer Schule gibt, die hoffnungslose Romantiker sind."

„Ich auch nicht", sagt Artemis und reicht mir die Flasche weiter. Ich trinke eine Schluck und gebe ihr sie dann sofort zurück. Whisky ist nicht wirklich mein Fall.

Einen Moment lang hängen wir alle unseren Gedanken nach. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich auch gerne mal wieder eine Freundin. Meine erste Beziehung hatte ich im Alter von Sechzehn. Ich hatte mich noch nicht geoutet und daher hielten das Mädchen, sie hieß Lyria, und ich unsere Beziehung geheim. Allerdings wurde das von Woche zu Woche immer anstrengender und daher hatten wir uns nach drei Monaten getrennt. Soweit ich weiß ist Lyria dann nach New York gezogen, wo ihr Vater sein Traum verwirklichen und ein Modegeschäft gründen wollte. Ob daraus was geworden ist, weiß ich nicht.

Jedoch hatte ich einen ziemlich schlimmen Liebeskummer und ich konnte ja mit niemanden darüber reden. Daher war ich zwischen Queen und ABBA gefangen und es hat lange Zeit gedauert, bis The Winner Takes It All nicht mehr auf Dauerschleife lief.

„Ist das Leben nicht schön?" Kalle seufzt leise und ich frage mich, ob er irgendwas genommen hat.

Artemis hebt eine Augenbraue und schaut ihn fassungslos an. „Ist ja auch wirklich schön, wenn man als Frau Angst haben muss, in der Nacht alleine rauszugehen. Oder wenn man schlechter bezahlt wird, nur weil man eine Frau ist." Sie setzt zu einen weiter Punkt an, doch Kalle unterbricht sie: „Seh doch nicht immer alles gleich so negativ." Er stupst Artemis freundschaftlich in die Seite, doch sie schlägt fester zurück, sodass Kalle ein „Aua", entfährt.

„Artemis hat schon recht", mische ich mich in die Diskussion ein, „Es toll eine Frau zu sein, aber du willst nicht wissen, wie viele Jungs mir schon hinterher gepfiffen haben. Oder ihre Augen auf Körperteile von mir gerichtet haben, wo ich sie lieber nicht sehen wollte."

Ein erneutes Schweigen tritt ein, doch diesmal ist es ein bedrücktes. Ich weiß, dass das Leben im Grunde genommen eigentlich sehr schön ist, aber es gibt zu viele Probleme auf dieser Welt. Mein Umfeld hat es gut aufgenommen, dass ich lesbisch bin, aber es gibt sicherlich einige, deren Freunde in Familie nicht damit klarkommen. Dabei ist es völlig normal, nicht auf das andere Geschlecht zu stehen und absolut nichts schlimmes.

„Okay." Dee fröhliche Ton aus Kalle Stimme ist verschwunden. Stattdessen hört sie sich ziemlich hohl an. „Ich kann gut verstehen, dass das scheiße für euch sein muss."

Artemis schnaubt laut auf. „Scheiße?! Ich hasse es. Ist ja nicht so, dass man einen auch normal ansprechen kann. Aber nein, Anmachsprüche sind ja so toll." Sie verdreht erneut die Augen und tut dann so, als müsse sie sich übergeben.

Und auch wenn an der Situation nichts lustig ist, entlockt sie mir damit ein Grinsen. Aus dem Schauspielkurs, den wir früher mal besucht hatten, hat sie einiges mitgenommen.

Kalle nickt und schlägt unbewusst aufs Gras ein. „Trotzdem ist das Leben nicht komplett unschön." Und da muss selbst Artemis ihn recht geben.

Manchmal ist das Leben einfach ein Arschloch. Man denkt, es geht einem gut, doch dann stellt sich das Gegenteil heraus. Menschen wie Freya kämpfen wahrscheinlich jeden Tag gegen ihre inneren Dämonen und verlieren trotzdem. Doch es gibt Menschen, die mit einem kämpfen. Und ich habe meine Armee gefunden und bin verdammt stolz auf sie.

und mittendrin sind wirWhere stories live. Discover now