13 | Das mit der Mitbewohnerin

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Unsere neue Mitbewohnerin war an Unausstehlichkeit nicht zu übertreffen. Anfangs hatte ich (gutgläubig wie ich war) noch gedacht, dass das kurzzeitige Zusammenleben mit ihr schon in Ordnung ging, da es 1. nur vorübergehend war und ich 2. den halben Tag ohnehin in der Schule verbrachte. Wenn sie dann genauso viel redete, wie bei unserem doch recht einseitig verlaufendem Gespräch in der Küche, würden die folgenden Tage oder schlimmstenfalls Wochen ruhig vergehen. Tja. Falsch gedacht. Großmutter Adelaide liebte es zu reden. Mehr noch. Sie liebte es an allem herumzunörgeln, was sie in die Finger oder vor die Nase bekam. Ihr liebstes Vorzeigeobjekt war natürlich ich. Das letzte Mal, dass ich so gerne in die Schule gegangen war, war ich noch in der Grundschule gewesen und trug Zahnspange und süße Zöpfe. Meine Pippi-Langstrumpf-Phase, wie mein Bruder gerne sagte.

„Hast du keinen Kamm, Kind? Deine Haare sehen so aus, als hätte ein Vogel darin ein Nest gebaut.", hieß es an jedem zweiten Morgen.

„Stell dich gerade hin, sonst wird dein Rücken krumm, Katara.", konnte ich mir jeden Nachmittag anhören.

„Junge Dame, diesen scheußlichen Pullover solltest du wirklich wegschmeißen. Der passt nicht zu deiner Figur. Du solltest anfangen Sport zu machen. Ich musste in deinem Alter jeden Tag eine Stunde zur Schule laufen. Wir hatten keine Automobile."

Bei dieser Stichelei musste ich alle Kraft aufwenden, der Frau nicht an die Gurgel zu springen. Ich war vielleicht kein Victoria's Secret Model, aber ich hatte verdammt nochmal andere Probleme, als auf die Ratschläge einer Frau zu hören, die sich seit dem Tod meines Vater nur zu Geburtstagen und an Weihnachten gemeldet hatte und unsere Gesellschaft nur aus dem Grund in Anspruch nahm, weil sie ihr eigenes Haus verloren hatte. Sie tat mir deswegen leid und nur deshalb verkniff ich mir jeden bissigen Kommentar.

Ich nickte brav, wenn sie wieder etwas zu beanstanden fand, auch wenn ich innerlich vor Wut platzte. Zum Beispiel, wenn sie mich junge Dame nannte. Wie ich es hasste, wenn sie mich so nannte. Wahlweise ging auch junges oder kleines Fräulein. Das „klein" schlug mir dabei besonders auf den Magen. Ich war mindestens einen ganzen Kopf größer als sie und obwohl ich es vermied, mich in demselben Raum wie sie aufzuhalten, fand ich auch in kurzer Zeit mindestens doppelt so viele Mängel an ihr wie sie an mir.

So hatte sie beispielsweise die schlechte Angewohnheit das Licht im Flur anzulassen, wenn sie nachts auf Toilette ging. Früher oder später wachte ich dadurch immer auf, stand auf und löschte das Licht. Die kurze Zeit auf den Beinen sorgte allerdings dafür, dass ich hellwach war und mindestens eine Viertelstunde brauchte, bis ich wieder einschlief. Diese Viertelstunde (wenn es wirklich gut lief) fehlte mir dann natürlich am Morgen. Man konnte also durchaus sagen, ich sah nur wie eine Vogelscheuche aus, weil sie das Licht immer anließ. So gesehen war es also gar nicht meine Schuld, dass ich seit Tagen nicht richtig geschlafen hatte und ihr deswegen die morgendliche Aussicht auf den taubedeckten Garten verdarb.

„Ich in deinem Alter habe immer nur höchstens fünf Stunden am Tag geschlafen. Morgens hab ich meiner Mutter schon beim Kochen fürs Sanatorium geholfen, dann bin ich zur Schule gegangen und danach habe ich Kuchen für die Leute in der Heilanstalt gebacken. Mindestens zwei Bleche und nur die besten Köstlichkeiten. Und Schulaufgaben hatte ich auch noch zu erledigen. Das habe ich dann meistens nachts gemacht. Ich habe mich nie ausgeruht und hat es mir geschadet?" Was ihre Empathie anging, auf jeden Fall.

Weil das Leben mit ihr unter einem Dach so anstrengend war, freute ich mich ausnahmsweise auch auf das vereinbarte Treffen am Freitag. Eva hatte mich aufmuntern wollen und hatte vorgeschlagen, dass wir danach noch etwas unternahmen. Ich war sofort Feuer und Flamme. In der Stadt hatte nämlich ein neues Café eröffnet, von dem ich bislang nur Gutes gehört hatte und das ich schon seit einem Monat hatte besuchen wollen. Emma, die am Mittwoch mit dunklen Augenringen zur Schule erschienen war, zögerte noch.

Katara - Bound To Trust (2)Where stories live. Discover now