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(Wir schreiben das Jahr 1984)

Das Klingeln meines Weckers holt mich ganz früh am Morgen aus dem Bett. Wie sonst auch, gehe ich der üblichen Routine nach. Eine Schüssel Harfer mit Früchten und Hafermilch und anschließend ein Glas Wasser. Danach folgt das Anziehen. Mein Tages Outfit besteht meistens aus Baggy oder Streetwear/Grundge. Wenn ich arbeiten geh, folgt in der Praxis der weiße Kittel. Außerhalb, bin ich jedoch in Zivil unterwegs. Auf dem Weg ins Bad werfe ich noch einen kurzen Blick auf den Wandkalender. 25.6.84? "Wow. Die Zeit vergeht echt schnell". Kopfschüttelt betrete ich mein Bad und style meine Haare. Heute ein etwas lockererer Zopf. Ich mochte es, nicht zu brav zu wirken, sondern den Rebell raushängen zu lassen. Um genau 8:30 Uhr verließ ich mein Apartment. Wie so oft Sonntags, ließ mir mein Arbeitgeber auch heute keine freie Minute. In der Praxis angekommen, ziehe ich noch beim Betreten des Raumes den Kittel über und klemme mein Namenschild fest. Elijah M. lautet das Schildchen. "Mit wem hab ich es heute zu tun, Jane?" Jane, meine Kollegin deutet auf die Tür und zwei Pfleger bringen eine junge Frau zu mir herrein. "Das ist die Verrückte aus Amity" Ich werfe einen Blick auf die Akte. "Mehrfacher Ausbruch?", frage ich Jane. Sie nickt und führt die etwas hagere  groß gewachsene Frau auf den Stuhl gegenüber von mir. "Dankeschön. Ihr könnt uns alleine lassen." Jane nickt und verlässt den etwas abgedunkelten Raum. "So Miss- Winchester.", ergänze ich mithilfe der Akte. "Sie sind tatsächlich mehrfach ausgebrochen? Bewundernswert!" Gegenüber von mir kommt nur ein schweigen. "Sie sind wohl nicht sehr gesprächig, was?". Wieder reagiert die Frau nicht. Das wird schwieriger, als gedacht. Seufzend öffne ich die bereits vergilbte Akte. "Sie wollen mir also wirklich nichts erzählen?", versuche ich es erneut. Die Frau schüttelt den Kopf. "Aber wieso denn nicht?" Sie zuckt mit den Schultern. Mit dem Blick zurück auf die Akte setze ich mich. Der Blick der Frau wendet sich zu Boden. Es wirkt fast so, als meide sie Augenkontakt. "Aus der Akte nehme ich hervor, dass sie bereits 5. Jahre in dieser Einrichtung sitzen. Ist das richtig?" Miss Winchester nickt erneut. Ich Blätter um. "Weswegen genau sitzen sie hier?", frage ich mit ruhiger Stimme.  Anstatt zu antworten, knabbert sie nur an ihren Nägeln. Sie schien wirklich verängstigt zu sein.  Den Eindruck hatte ich schon, seit sie rein gebracht worden ist. "Haben sie vor irgendetwas Angst?", hake ich nach. Ein paar Minuten passiert nichts. Dann nickt sie. Ich notiere mir jeden einzelnen Schritt. "Wovor genau haben sie Angst?" Miss. Winchester geht sich durchs Haar und zieht einen sehr verdreckten Papierfetzen aus ihrem Kittel. Dann schiebt sie ihn mit zittriger Hand zu mir rüber. Ich nehm den Zettel und öffne ihn. "Nebel", steht dort mit  dunkler bräunlichen Tinte  geschrieben. Ich vermute eher, dass das Blut ist. Denn Tinte wäre bei diversen Körperflüssigkeiten mit Sicherheit verlaufen. Doch Mutmaßungen sind bei solchen Befragungen absolut nicht angebracht. Aspekte wie diese muss ich später neutral in den Bericht schreiben. Bericht schreiben heißt in unserem Job: Plan 1 bis 2 Wochen ein, wenn es hochkommt. Wenn du aber Pech hast, heißt es: 1 bis 3 Tage maximal. Wehe der Bericht liegt nicht pünktlich auf Mr.Cobrights Schreibtisch.  "Sie fürchten sich also vor Nebel?", setze ich die Konversation fort. Miss Winchester nickt kaum merklich mit dem Kopf. "Weswegen denn? Wegen der Kälte? Oder, weil man nicht mehr sieht was vor und hinter einem liegt?". Sie zeigt eine Zwei mit ihren Fingern. Das Zweite war es also. "Gibt es sonst noch einen Grund, für ihre Angst?" "Sterben...", krächzt sie. In meinem Kopf fing ich an, die Aussagen zu ordnen. Unwissenheit, Kälte, Angst, Sterben. Was haben all diese Worte mit dem Tod gemeinsam? Ich grübel noch ein paar Minuten. Natürlich! Jetzt verstand ich. Und mit einem erneuten Blick auf die Akteneinträge, bestätigte sich meine Vermutung. Denn in der Akte stand ein Hinrichtungsbefehl. Dieser lautet: "Exekution durch Gas oder Stuhl." Ich schließe die Akte und nehme sachte ihre Hand. "Es ist in Ordnung, Angst zu haben, okay? Ich habe auch vor dem was mich erwarten könnte Angst. Das ist menschlich, Ellen. Und sie sind ein Mensch." Ellen Winchester beginnt zu schluchzen. "Ich bin kein Mensch! Ich bin ein Monster!  Ich habe meine...meine Familie erschossen. Meine Kinder. Meinen Mann..." Ihren Handrücken streichelnd lächel ich. "Und trotzdem haben Sie sich entschuldigt und gestanden. Sie haben geweint und waren verzweifelt." Ich mach eine kurze Atempause. "Finden sie nicht, dass all diese Eigenschaften zeigen, dass sie ein Mensch sind? Es ist in Ordnung Schmerz , Trauer, Hass, Wut und Liebe zu spüren." Ellen weint stärker und drückt meine Hände. "Ich weiß ich werd sterben. Aber ich habe Angst!"  "Das verstehe ich. Doch noch ist es nicht soweit-". Das Öffnen der Tür unterbricht mich. "Miss Miguelez?" Ich blicke auf. "Ja?" Ich möchte sie bitten, das Gespräch zu beenden. Der Termin für die Vollstreckung wurde vor verlegt. Sie haben noch 10 Minuten." Ich werfe einen Blick zu Ellen. "Kann ich sie kurz sprechen, Sir?" Zusammen mit dem Abgeordneten geh ich vor die Tür. "Wäre es möglich, mich als Begleitung einzusetzen? Ich  würde  sie gern bis zum Ende begleiten." Der Abgeordnete schaut in den Raum. "Natürlich können Sie das. Ich erwarte sie dann gleich dort." Ich nicke. "Vielen Dank, Sir." Als er weg ist, geh ich zurück. Miss Winchester starrt mich an. "Ich werden sterben, oder!?" Ich seufze. "Ich...ich möchte nicht sterben! Ich-". "Shhh. Kommen Sie. Ich möchte ihnen was zeigen." Ich nehme Miss Winchester an die Hand und führe sie durch die Gebäude zu einem offen gehaltenen Gang. Rechts und Links Wasser und Blumen. Unter uns, eine Holzbrücke. Das Zwitschern der Vögel liegt in der Luft. "Schauen Sie mal. Können sie das Zwitschern der Vögel hören?" Miss Winchester nickt und schnuppert an den Blumen. "So bunt und friedlich". Ich lächele. Wenn ich mich Recht entsinne, waren sie früher oft in Parks dieser Art, oder? "Ja! Mit meinen kleinen Kindern. Jeden Sonntag." Auf Miss Winchesters Lippen erscheint ein Lächeln. Es war schön zu sehen, wie glücklich sie gerade war. Auch wenn ich wusste, dass sie in den nächsten 120 Minuten den Tod finden würde. Ein Blick auf meine Uhr und ich schau zu ihr. "Wir müssen weiter.. Kommen Sie." Stumm gehen wir zur End Schleuse. Alle waren bereits versammelt. Angehörige, soweit sie noch am Leben waren und die Geschworenen. Miss Winchester und ich werden einem Raum geführt. Der Vollstrecker beginnt zu sprechen: "Miss Winchester. Sie sind heute hier, um das durch Gotteshand beschlossene Urteil für ihr Vergehen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Haben sie noch etwas zusagen?" Sie schweigt und die Tür wird geöffnet. Drinnen warten bereits zwei Menschen. Ich führe Miss Winchester hinein. "Elijah? Sie können leider nicht weiter." "Natürlich." Ich lasse ihre Hand los und geh zurück. "Miss Miguelez?" Ich schau zurück. "Wird es weh tun?". Bevor ich antworten kann, schließt sich die Tür. Ich schüttel langsam den Kopf und heb die Hand zum Abschied. Dann wird das Fenster der Tür bereits von dickem Nebel verdeckt und von Miss Winchester ist nichts mehr zu sehen. "Gute Reise, Ellen." Stück für Stück leert sich der Raum und auch ich trete meinen Heimweg an. Es war schon spät, als ich zuhause ankam. Also leg ich die Akte und Notizen vom Fall Winchester auf meinen Schreibtisch und geh ins Bett. "Der Bericht kann bis morgen warten", murmel ich und knipse das Licht aus.

AHS- Dem Teufel so nah Richard Ramirez StoryWhere stories live. Discover now