Hab die Zeit vergessen.

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Wesley

June stolziert mit wehenden Haaren davon. Die Lichter der entgegenkommenden Autos lassen sie für einen Augenblick zu einer schwarzen Silhouette werden, die in der Nacht verschwinden will. Doch ich folge ihr mit den Augen, ziehe langsam an der Zigarette und spüre die Wirkung des Nikotins.

Sie schaut nicht zurück, als sie die Stufen zu ihrer Haustür emporsteigt und sich mit ihrem Gewicht energisch dagegen wirf. Trotz der üblichen Geräusche der Großstadt - Musik, Motoren, Gelächter - glaube ich zu hören, als die Tür ins Schloss fällt.

Sie ist weg.

Hat Abstand zwischen uns gebracht und mich alleine unter dieser Laterne zurückgelassen.

Der Qualm entgleitet meinen Lungen und ich lasse die Zigarette zu Boden fallen, betrachte das letzte Aufglühen, ehe ich es mit dem Fuß austrete.

Dann überquere ich die die Straße, erhasche einen kurzen Blick auf die widerlich idyllische Straße mit den bewuchterten Fassaden und abartigen glücklichen Gesichtern, die man durch die erleuchteten Fenster entdecken kann - jedenfalls zu einer angemessenen Tageszeit und nicht um drei Uhr morgens.

Ich ziehe den kleinen Schlüsselbund aus meiner Jackentasche, als ich zu dem Gebäude laufe, dass schräg gegenüber vom Junes Hauseingang liegt. Die alte Tür knarschtscht, als ich sie aufdrücke und in den schmalen Hausflur trete. Die Glühbirne summt, als ich das Licht einschalte und mir fallen sofort die alten Hausschuhe des Mieters auf, der im Erdgeschoss lebt. Er trägt sie jeden morgen, wenn er die Post holt und grüßt mit einem scheinheiligen Lächeln die Nachbarin, über die er sich anschließend leise beschwert.

Hinter mir rastet die Tür ein und ich stiege die alte Holztreppe empor, deren Stufen unter meinem Gewicht hin und wieder protestieren. Im Obergeschoss angekommen, dringt ein Stöhnen, gemischt mit Flüchen durch die geschlossene Tür, die ich öffne. Das Licht erlischt, als ich in die Wohnung komme, in der es nach verbrannter Pizza und Kaffee riecht. Ein sanfter Lichtschein dringt aus dem Zimmer am Ende des Flures.

Das Handy vibriert in meiner Jackentasche, als ich weitergehe und nicht daran denke die Schuhe auszuziehen. Stattdessen folge ich den Flüchen und trete in das düstere Wohnzimmer. Auf dem großen Sofa in der Ecke, entdecke ich die Lichtquelle in Form eines Laptopdisplays, der das angestrengt verzerrte Gesicht eines Typens erhellt. Obwohl seine langen, lockigen Haare in einem Zopf stecken, haben sich einige Strähnen gelöst und verleihen ihm einen leicht verwirrten Ausdruck.

Er ist so auf das Geschehen konzentriert, dass er mich gar nicht wahrnimmt.

Um mich bemerkbar zu machen, schalte ich das Licht ein und verpasse Troy einen gewaltigen Schock. So deute ich es jedenfalls, als er das Gerät beinah von seinem Schoß wirft und den Kopf hochreißt.

»Scheiße, Wes!«, flucht er und zieht das Headset vom Kopf, wobei sich ein paar seiner dunkelbraunen Locken verknoten.

»Hätte nicht gedacht, dass du noch wach bist«, ignoriere ich seinen bösen Blick und werfe klirrend die Hausschlüssel auf den Wohnzimmertisch.

»Hab die Zeit vergessen.«

»Wieder ein Zwölfjähriger, der dich plattgemacht hat?«, frage ich und kann das grinsen nicht vermeiden, als ich mich aus der Jacke schäle und diese über die Stuhllehne hänge.

»Du unterschätzt diese kleinen Biester, Die sind wie kleine nervige Mücken, die dich nachts wachhalten.«

»Ich würde dir raten, dass du die einfach kaputt klatscht. Funktioniert ganz gut«, antworte ich und trete an das Fenster. Behutsam ziehe ich die Vorhänge ein Stück zur Seite und schaue auf das gegenüberliegende Gebäude.

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