Echt jetzt?

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June

»Sag mir, dass du eine Halluzination bist«, kommt es mir leise über die Lippen und ich komm nicht umhin, die feinen Fältchen zu mustern, die sich beim Grinsen um seine Augen bilden.

»Dein Mascara hat auch schonmal besser gehalten«, erklärt er amüsiert.

Nein.

Das kann nicht sein.

Ich weiche so weit es geht zurück, schaue zu, wie er erneut in das Popcorn greift.

Das ist nicht real.

Ich bin verrückt geworden.

Mir stockt der Atem und ganz langsam drücke ich mich an der Wand hoch, lasse den Geist meiner Vergangenheit nicht aus den Augen. Mein Gegenüber folgt meiner Bewegung und erhebt sich ebenfalls. Dabei kaut er genüsslich und überragt mich schließlich um mehr als einen Kopf.

»Popcorn?«, bietet er schließlich an, was für mich eine Art Startschuss ist. Ich reiße mich von der Erscheinung los und schüttle den Kopf, während ich mit schnellen Schritten durch das verlassene Foyer eile. Mit meinem gesamten Gewicht stürze ich mich gegen die Damentoilettentür und stolpere in den verlassenen Raum. Meine unkontrollierten Schritte hallen an den raumhohen Fliesen wider. Keuchend stemme ich die Hände gegen das Waschbecken und starre auf den Wassertropfen, der an dem Hahn hängt.

Mein Kopf dreht sich, als ich darauf warte, dass die Tür zuschlägt.

Stattdessen vernehme ich weitere Schritte und als ich in den Spiegel schaue, starrt mich eine aufgelöste junge Frau an, sowie ein junger Kerl, der ein Stück hinter ihr steht.

»Es ist ziemlich unhöflich, wegzurennen«, erinnert er sanft und ignoriert das Schild, dass auf die Damennutzung hinweist.

Eine Sekunde huscht mein Blick zu meinem Spiegelbild. In den geröteten Augen blitzt Entschlossenheit auf und ich presse die Zähne zusammen, was die eingefallenen Wangenknochen betont.

Zwei Möglichkeiten bleiben mir: Wegrennen oder direkte Konfrontation.

Die erste Variante ist kläglich gescheitert und das hätte ich kommen sehen müssen. Er war schon immer der Typ für den direkten Angriff.

Entschieden puste ich mir die lange, dunkelblonde Strähne aus dem Gesicht und wirble auf der Stelle herum. Unsere Blicke begegnen sich und es ist, als würde Feuer auf Eis treffen.

Die Temperatur im Raum fällt unter den Gefrierpunkt und ein unangenehmes Knistern liegt in der Luft, während wir einander anstarren. Doch er lässt sich nicht davon beirren, genießt das Popcorn, als sei ich eine gute Show, die er sich ansieht.

»Was willst du hier?«, entfährt es mir eisig und die traurigen, fast vernichtenden Gedanken rücken in den Hintergrund. Meine Frage sorgt dafür, dass seine Mundwinkel sich noch ein Stück weiter heben.

»Wir sind in einem Kino, June. Gibt nicht viel, was man hier macht außer Filme zu gucken.« Er zuckt mit den Schultern, die Herausforderung schwingt in seiner Stimme mit, kitzelt in meinen Fingerspitzen.

»Gut.« Ich verschränke die Arme vor der Brust und stelle mich auf Abwehr ein. »Formuliere ich es anders: Warum sitzt du nicht in einem beschissenen Kinosessel?«

»Hab auf mein Popcorn gewartet«, erklärt er gelangweilt und macht einen kleinen Schritt auf mich zu. Mein Körper will den Abstand wahren, doch ich lehne mich bereits gegen den Waschtisch, habe keine andere Wahl als ihn gewähren zu lassen.

»Schön«, erwider ich und kann das feine Zittern in meiner Stimme nicht verhindern. »Wie ich sehe, hast du dein Popcorn, also kannst du jetzt gehen.« Ein amüsiertes Grinsen huscht erneut über die Gesichtszüge, die im Laufe der Zeit noch härter geworden sind.

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